Nein, nein, nein – ja!
Ich habe vor 30 Jahren angefangen, immer wieder zu fotografieren und mit der Zeit viele Genres von Landschaft über Stillleben bis hin zu Straßenfotografie bearbeitet. Geboren wurde ich in London und lebe nun im Süden Englands.
Lange war ich Fan von traditionellen Straßenfotografen wie Doisneau und Cartier-Bresson und ein paar sehr bekannten Farbfotografen wie beispielsweise Martin Parr.
Bevor das Internet viel genutzt wurde, war es schwer für mich, über Straßenfotografen in lokalen Büchereien und Bibliotheken mehr herauszufinden. Erst nach der Jahrtausendwende lernte ich andere einflussreiche Fotografen wie Winogrand, Frank und Eggleston über Internetforen kennen.
Etwa zeitgleich bekam ich meine erste digitale Kamera und begann, mich zunehmend auf ungestellte Menschen-Fotografie zu konzentrieren. Weg davon, jeden Monat einige Schwarzweiß-Filmrollen aufzunehmen, fotografierte ich mit dieser unglaublichen Kompaktkamera in wenigen Monaten Tausende und Abertausende Bilder.
Nachdem ich alle schlechten Fotos durchgesehen und über digitale Kanäle Feedback eingeholt hatte, wurde klar, dass die Fotos, die am besten wirkten, die mit Menschen waren. Ich postete meine Fotos von dpreview bis Urban75 in jedes Forum, das ich finden konnte, um Feedback zu bekommen.
Letzteres war oft widersprüchlich („zu nah dran“ bis „zu weit weg“), aber im Großen und Ganzen hilfreich. Auf eine Art gab mir das Internet Feedback und neue Anregungen und digitale Kameras gaben mir das Werkzeug, um Komposition und Technik ganz einfach zu üben. Und die Kompaktkamera wurde bald drauf eingetauscht gegen eine erschwingliche DSLR, die Nikon D70.
Heute sind meine Lieblingsfotografen unter anderem Trent Parke, Mark Powell, Koudelka, Weegee, Ray-Jones und Winogrand, sowie meine In-Public-Kollegen.
Wonach ich suche
Ich bin daran interessiert, Geschichten zu erzählen – entweder selbsterklärende Bilder oder mit einer Sequenz von Fotos. Die Geschichten können einfach visuell sein, wie das „fighting ladies“-Foto oder sie sprechen zuweilen über die Gesellschaft, in der wir leben.
Beispielsweise könnte eine Interpretation des CCTV-Fotos sein, dass Menschen ohne Probleme Überwachungskameras akzeptieren, selbst, wenn die Kameras auf eine lustige Familienaktivität gerichtet sind, selbige Menschen aber sehr misstrauisch reagieren, sobald ein Fremder eine Kamera auf sie richtet. (Siehe Titelbild, d. Red.)
Grundsätzlich möchte ich examinieren, wie menschliches Verhalten durch unsere Umgebung beeinflusst wird. Zum einen von der psysischen, nicht-lebendigen und der biologischen Umgebung (andere Menschen und Tiere).
Ich habe Tierverhalten und Evolution an der Universität studiert und ich betrachte meine Fotografie als eine Art bildliche Naturgeschichte und Ökologie des Menschen.
Wir lieben traditionelle Naturdokumentationen über andere Spezies und Vogelbeobachter warten oft Stunden, bis ein kleiner, unscheinbar brauner Vogel sein Nest verlässt, aber wir halten selten inne, um unser eigenes tägliches Verhalten mit derartiger Akribie zu untersuchen. Die Gewohnheit kann uns vergessen lassen, dass wir Menschen ebenfalls eine sehr interessante Spezies sind!
Deshalb schaue ich oft nach einer Interaktion von Menschen mit ihrer Umgebung – anderen Menschen oder der physischen Umgebung.
Und ich denke, dass es möglich ist, etwas von Menschen zu übermitteln, ohne nah dran zu sein. Faktisch zeigt mir ein Großteil der Arbeit von beispielsweise Bruce Gilden, wie jemand aussieht, der von einer Kamera überrascht wird.
Das ist keine großartige Einsicht ins Menschliche, wenn es immer und immer wieder gemacht wird. Deswegen tendiere ich dazu, aus mittlerer Distanz interessante Aufnahmen von Menschen zu machen, ohne meine Kamera direkt ins Gesicht der Leute zu halten.
Technik
Zum Thema Technik hatte ich noch nie viel zu sagen. Ich mache sehr wenige Aufnahmen im Vergleich zu vielen Straßenfotografen. Wenn ich einen Tag lang durch London wandere, dann drücke ich ca. 60 Mal den Auslöser. Das ist das Maximum – und wenn ich in einer weniger belebten Gegend fotografiere, mache ich ein oder zwei Fotos pro Tag.
Ich fotografiere schnell und zwanglos. Wenn ich herumlaufe, kann ich sofort „ernsthafte“ Fotografen erkennen – diese schauen mit ihrer fest umklammerten Kamera superernsthaft drein und manchmal wickeln sie ihren Kameragurt um ihre Handknöchel, als ob es für sie superwichtig wäre.
Ich versuche so nicht-ernsthaft und unprofessionell wie möglich auszusehen. Ich bummle normalerweise mit der umgehängten Kamera langsam in der Gegend herum und wenn ich etwas Interessantes sehe, mache ich schnell das Bild und laufe weiter.
Und da ich eher weniger Close-Up-Sachen mache, bei denen Leute sich im Vergleich zur Kamera sehr schnell bewegen, ist die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen relativ gering.
Meistens weiß ich, ob ich ein gutes Foto mache oder nicht. Ich bin das Gegenteil von Winogrands Satz, er würde „ein Foto machen, um zu sehen, wie etwas fotografiert aussieht.“ Ich habe in der Vergangenheit so viele Fotos gemacht, dass ich einfach weiß, wie etwas fotografiert aussieht.
Und das ist Fotografie für mich: Die Welt anzusehen, einen vorgestellten Rahmen drum herum zu setzen und zu denken „nein“, „nein“, „nein“, bis ich irgendwann ein „ja“ sehe. In anderen Worten: Wenn ich ich draußen bin und fotografiere, dann schaue ich einfach auf Tausende und Abertausende potentielle Fotos und nehme 99,99% nicht auf.
Nichtgestellte Fotografie hat die Grundlage des selektiven visuellen Editierens und ich muss kein einziges dieser „nein“-Fotos aufnehmen. Weniger Fotos zu machen reduziert auch die Wahrscheinlichkeit, in Konflikt mit Leuten zu kommen.
Manchmal mache ich ein Foto, das ich ganz okay finde und das öffnet Türen für viele weitere Bilder, die ich ein paar Minuten vorher nicht machen konnte. Wenn das am frühen Morgen passiert, entwickelt sich der Tag zu einer erfolgreichen Session.
Wenn sich mein Tag jedoch ohne Erfolge zu Ende neigt, schleichen sich Selbstzweifel ein und ich beginne mich zu fragen, ob es ein verschwendeter Tag war. In solchen Situationen versuche ich mich aufzuraffen, indem ich mir versichere, dass ein Foto jederzeit entstehen kann und nicht davon abhängt, was zuvor passiert ist.
Wie Football-Manager Brian Clough sagte: „Es dauert nur eine Sekunde, um ein Tor zu schießen.“
Für mich gibt es zwei Stufen in dieser Art Fotografie. Du kannst ein paar gute alleinstehende Fotos haben, so wie meine beiden kämpfenden Frauen. (Siehe oben, d. Red.) Ich sehe das wie einen guten Popsong, der eigenständig funktioniert und populär ist – jedoch würdest Du ihn nicht jeden Tag Deines Lebens hören wollen.
Die zweite Stufe kann ein narratives Element sein, wenn eine Vielzahl Bilder arrangiert wird, um eine tiefere Bedeutung zu erreichen. Hier entsteht dann die Möglichkeit, Kreativität insofern anzuwenden, indem eine Fotoselektion gemacht wird, um eine visuell und thematisch kohärente Erzählung zu erzeugen.
Das Maß aller Dinge ist für mich Robert Franks The Americans*. Und das ist auch der Grund, warum ich manchmal eher zurückhaltend bin, was das Zeigen mancher Fotos im Netz betrifft. Denn diese Fotos sind für sich gesehen nicht besonders großartig, aber ein Teil einer Erzählung, die nur als Ganzes Sinn macht – idealerweise in Buchform.
Seaside
Meine seaside-Fotos scheinen recht gut bei den meisten Leuten anzukommen und haben schon zu einigen Solo-Ausstellungen im Vereinigten Königreich geführt – wahrscheinlich deshalb, weil der Besuch am Meer eine sehr übliche, angenehme, kollektive Erfahrung ist.
Die Küste ist ein beliebtes Thema zum Fotografieren, jedoch habe ich im Gegenteil zu vielen anderen Fotografen versucht, die stillen, eleganten, ungewohnten Aspekte des Strandes zu zeigen.
Ausrüstung
Eine Weile habe ich mit der Nikon D70, dem Kit-Zoom und ein paar Festbrennweiten wie dem 28mm (42mm equivalent in Vollformat) fotografiert. Dann kam die D90, die ein wenig groß für mich war – zu schwer und auffällig.
Momentan benutze ich die günstige Nikon D3200 mit einer 20mm Voigtländer-Linse, weil dies die kleinstmögliche DSLR-Kombination ist. Seit Kurzem habe ich auch die Fujifilm X10 in Gebrauch, weil ihr Sucher gut ist. Da ich ungern mit dem Display komponiere, ist das besonders wichtig für mich.
Brighton
Dieses Jahr arbeite ich an einem Projekt über einen Ort, den ich sehr gut kenne: Brighton. Nicht zu verwechseln mit New Brighton von Martin Parrs „Last Resort“ – beide sind an unterschiedlichen Enden das Landes gelegen.
Die Küste an sich wurde mit Fotos und Filmen wie Brighton Rock und Quadrophenia schon ausgiebig portraitiert und deshalb konzentriere ich mich auf die Stadt dahinter.
Ich beginne und beende das Projekt dieses Jahr 2013, um eine deutliche Sektion von Zeit und Ort herauszuarbeiten: Den zweifellos schäbigen, heruntergekommenen Glanz, den ich mit dem Ort verbinde.
Ich fotografiere exklusiv in England. Auch bin ich nicht daran interessiert, ein paar Wochen an spektakulären fremden Orten zu verbringen, um dort oberflächliche Fotos zu machen, wenngleich große Teile Englands viel zu wenig erforscht sind. Die einzige für mich denkbare Ausnahme wäre, dies gegen Bezahlung zu tun.
Zusätzlich zum Brighton-Projekt fotografiere ich kontinuierlich alle möglichen Sachen, um alleinstehende Fotos zu bekommen, die gut in bereits existierende Projekte passen und dabei hoffe ich, dass sich wieder neue Themen entwickeln werden.
Dieser Artikel wurde von Martin Gommel aus dem Englischen übersetzt.