Lineare Stadtbilder
Wie sich Städte und urbane Räume abbilden lassen, erforschen Fotografen, seitdem es die Fotografie gibt. Ein selten gesehener Sonderweg ist die Montage ganzer Straßenzüge zu einem Bild. Das Online-Archiv PanoramaStreetline hat sich auf diese linearen Panoramen spezialisiert.
Hinter PanoramaStreetline steckt die simple Idee, Städte anders darzustellen. Gerade in Stadtzentren und historischen Altstädten, wo der Fokus nicht zwangsläufig auf einzelnen herausragenden Bauwerken liegt, drängt sich einem fast zwangsläufig die Frage auf, ob man all die unterschiedlichen Architekturen nicht irgendwie zusammen auf ein Bild bekommt und gleichberechtigt nebeneinander stellen kann.
Von einem Standpunkt aus ist das aus Platzgründen meist unmöglich und klassische Panorama-Fotografie ist dafür zu sehr durch Kurven und Fluchtpunkte geprägt. Es bleibt die Möglichkeit, Architektur von parallel versetzten, wechselnden Blickpunkten zu fotografieren und anschließend zu einer Gesamtansicht zu montieren.
Ich brauchte letztendlich sieben Jahre, um aus dieser Idee etwas Brauchbares zu machen. 2003 in der eng bebauten Leipziger Innenstadt schoss ich die ersten Fassadenserien mit einer Altkamera meines Vaters und einer Art abgeschwächtem Fisheye-Objektiv. Mit den entsprechenden Krümmungen waren sowohl ich als auch mein damaliger PC überfordert.
Sieben fotografiearme Jahre später hatte ich eine bessere Kamera, bessere Hardware und einige Künstlerbeispiele gesehen, die bestätigten, dass solche fotografischen Fassadenaufrisse möglich sind. Zudem war mittlerweile die Idee entstanden, ähnlich wie vergleichbare Panorama-Projekte, ein überregionales Archiv aus linearen Panoramen aufzubauen.
Also fing ich an, allerorts Fotoserien zu schießen und mit Freunden und weiteren Fotografen die Webseite zu entwickeln. Auf der Weltkarte des Projektes sind mittlerweile etwa 1000 dokumentierte Straßen markiert, während lediglich etwa 90 fertiggestellte Straßenpanoramen existieren.
Denn im Gegensatz zu klassischen Panoramen gibt es keine Softwarelösung, die die Bildserien automatisch zum gewünschten Ergebnis verarbeiten könnte. Das macht die Bildbearbeitung gegenüber der Fotografie in unserem Fall zu einem sehr zeitintensiven Faktor.
Dennoch bleibt es entscheidend, die Fotografie gut durchdacht und zügig durchzuführen. Logischerweise würde ein langer Zeitraum während der Dokumentation zu stark schwankenden Lichtverhältnissen führen. Daher ist es ratsam, bei Tagaufnahmen auf ein Stativ zu verzichten.
Für die gewählten Stadtansichten bleibt es natürlich wichtig, den geeigneten Fotografiezeitpunkt zu finden, man bleibt also wie immer von den Wetterbedingungen abhängig. Komplett sonnenbestrahlte Fassaden oder Früh- und Abendlicht machen sich da am besten.
Doch da der Fokus stärker auf der Architektur als auf der Lichtstimmung liegt, kann auch ein bewölkter Himmel funktionieren. Zudem wird das Resultat immer eine Montage und kein einzelnes Foto sein, also muss man sich auch nicht davor scheuen, den Himmel später nachzubearbeiten.
Damit man abschließend die einzelnen Gebäude und deren Linien auch passend zueinander montieren kann, ist es hilfreich, den Abstand zu den Fassaden und die Fotografiehöhe annähernd gleich zu halten, sich also beispielsweise am Bordstein zu orientieren. Außerdem ist es ratsam, die komplette Front in einer Reihe aufrechter Einzelfotos aufzunehmen.
Aufgrund der fehlenden automatischen Montagelösung wäre eine Bearbeitung mehrerer Reihen ein ziemliches Mammutprojekt. In unseren Beispielen wurden bisher maximal einzelne erhöhte Gebäude aus zwei vertikalen Fotos zusammen gesetzt.
Soviel zur Theorie. In der Praxis zeigt sich erst vor Ort, ob eine Straße tatsächlich auf diese Weise fotografierbar ist. Entscheidend ist dabei die Dreidimensionalität vor und hinter der Fassadenebene. Im Vordergrund stören Autos, Bäume, breite Straßenunterbrechungen, Straßenbahnen, Ampelverkehr, Straßenstände und Tunneleinfahrten.
In der Hintergrundebene können nach hinten versetzte Dachaufbauten, Hochhäuser und Bäume hinter flachen Gebäuden die Bearbeitung erschweren oder eine Dokumentation gar unmöglich machen. Andererseits lassen sich Vordergrundobjekte häufig durch geschickt gewählte Winkel in der späteren Montage eliminieren.
Straßenschluchten können, von einem mittigen Standpunkt aus fotografiert, als interessante Blickachse zur Kombination mehrerer Häuserblöcke dienen. Zudem ermöglicht es die Montage sogar, Knicke in der Straßenfront oder Platzbebauungen so zu fotografieren, dass sie wie eine gerade Bebauung wirken. So wird ein Zusammenspiel der Architektur im Bild sichtbar, wie man es vor Ort mitunter nie hätte sehen können.
Womit wir letztendlich bei der eigentlichen Montage landen, die im Kern aus den Schritten Geradestellen der Fotos, Überblenden und Montieren sowie Endbearbeitung mit Himmels- und Vordergrundkorrektur besteht.
Auch wenn die Theorie kurz klingt, die Bildbearbeitung kann je nach Komplexität der dokumentierten Straße das 20- bis 40-fache der Fotografiezeit betragen. Wer sich mit genannten Bearbeitungsschritten nicht auskennt, kann folgende Techniken recherchieren:
Für das Geradestellen von Fotos haben professionelle Bildbearbeitungsprogramme Perspektiv-, Dreh- und Schertools oder Plugins mit entsprechender Funktionalität. Beim Montieren der Fotos miteinander sollte man sich mit der Ebenenbearbeitung auseinandersetzen und wie man mittels Ebenenmasken Bilder überblendet.
Außerdem helfen Hilfslinien bei der Orientierung der an den Gebäuden vorhandenen Waagerechten und Senkrechten. Für die Nachbearbeitung helfen Kenntnisse im Weißabgleich, mit Histogramm-Kurven und mit Kontrasteinstellungen, für die Bearbeitung des Himmels findet man bei einer kurzen Recherche sicher zahllose Tutorials.
Trotz aller Bildfrickelei kann auch die Montage spannend bleiben. So entdeckt man gelegentlich wiederkehrende Personen im selben Bild oder stellt fest, dass die vier Uhren am Stuttgarter Bahnhof in der Montage unterschiedliche Zeiten anzeigen.
Letztendlich soll der Aufwand aber nicht davor abschrecken, es mal zu versuchen. Die Erstellung einer solchen Ansicht gleicht für sich einer kleinen Entdeckung, da man seine Stadt sicher nie zuvor so gesehen hat. Zudem sind wir als Projekt offen für interessierte Fotografen, die lineare Stadtansichten zu unserem Archiv beisteuern wollen.
Eine fotografische Nische wird es sicher bleiben, einerseits wegen der beschriebenen Komplexität, die eine Automatiklösung praktisch unmöglich macht und zum anderen auch, weil sowohl Google als auch Microsoft ihre Straßenblickprojekte ursprünglich in linearer Technik umsetzen wollten, dies dann aber aus technischen Gründen verwarfen.
Oh wow!
Ich finde Panoramabilder ja schon sehr spannend aber das ist nochmal ein ziemlicher Schritt weiter. Es sieht wirklich klasse aus und Repekt an jeden, der so viel Zeit vor dem Bildschirm verbringt, um die wirklich tollen Bilder zu bekommen!
Schöne Grüße
Christina
Interessanter Artikel. Allerdings brauchte ich den erläuternden Text um den Zugang zu den Bildern zu finden. Wenn man die Örtlichkeiten nicht kennt fällt es schwer das Besondere an den Aufnahmen sofort zu erkennen.
Interessante Idee. Ich hätte mir aber gewünscht, dass die groben Schritte der Montage mal anschaulich im Bild dargestellt werden.
Das hätte dem Artikel ein deutliches Plus an Information und Faszination gegeben.
Gute Idee. Und die Umsetzung ist auch gelungen. Sehr ansprechende Stadtbilder, finde ich. :o)
Auf den ersten Blick vielleicht etwas, pardon, langweilige statische Bilder, wo eigentlich nur das Panoramaformat den Reiz ausmacht. Auf den zweiten allerdings mit überraschenden Sichten (s. Website) und dem Spiel der Perspektiven. Danke für den Einblick, finde ich gelungen.
klasse!
finde die idee und die umsetzung super. so etwas habe ich noch nicht gesehen.
sehr interessantes Projekt. Erinnert mich von der Sichtweise her stark an die City-Serie von LEGO.
Wow, echt interessant und beeindruckende Bilder, wenn man sich dann noch die Nacharbeit am PC nur mal in etwa vorstellt. Das muss wirklich Arbeit sein.
Stitcht das Hugin nicht? das kann doch sonst alles…. Von den Auswahlmöglichkeiten kann es aber das 0815 Canon Programm.
Ein sehr interessanter Artikel, danke, das werde ich bei Gelegenheit ausprobieren!
Es erinnert mich an mittelalterliche Bilder von ganzen Straßenzügen, z.B. http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d6/Vicke_Schorler_Rolle.jpg
Damals wie heute eine heiden Arbeit – die sich aber offensichtlich lohnt!
Und langweilig, weil zu statisch auf keinen Fall!!!
Die Bilder sprechen mich leider nicht an. Die Bearbeitung erscheint mir nicht gelungen.
Hallo Hans-Wurst. Wie meinst Du „nicht gelungen“?
die Idee finde ich cool und die Umsetzung super ist.
Schöne Grüße
Die Bilder sind klasse und dein Engagement in diesem Bereich ist wirklich faszinieren. Mich würde es aber auch mal interessieren, wie die Bilder letztendlich zu Stande gekommen sind (Worksteps halt). Dann wäre es PER-FEKT! :)
Vielleicht ein separater Beitrag dazu? :)
Ein interessanter Beitrag mit tollen Bildern! So etwas würde ich auch mal machen, da ich Bildbearbeitung genauso gern mache wie das Fotografieren. Ich würde mich freuen, wenn es dazu noch einen Beitrag geben würde, in dem Du ein wenig aus dem Nähkästchen plauderst – ein paar Tipps zur Praxis gibst.
Aber auch so ein prima Ansatz, um mal etwas neues auszuprobieren. Dafür ein herzliches Dankeschönan Dich und der Redaktion! Gruß aus Berlin Andreas
Eine schöne inspiration, das werde ich auf jeden Fall probieren. Vielen Dank für diesen Beitrag und die tollen Bilder !
Ich sehe schon, ich sollte in Zukunft bei einer Umsetzung mal einplanen den Ablauf mit zu dokumentieren ;) Vielen Dank Euch allen für das tolle Feedback, ich sehe die Montagen immer ein wenig als recht spezielle Nische an, da bin ich positiv überrascht, dass die positiven Kommentare so deutlich überwiegen. Das es einige ästhetisch nicht gleich anspricht entspricht der Natur der Sache, so vielfältig wie Fotografie nunmal ist.
@amelie: Danke für den Link, kannte diese Art Stadtbild noch nicht und dann auch noch ausgerechnet Rostock, schöne Sache!
Ein interessanter Artikel, erinnert mich etwas an Andreas Gursky.
Mit dieser Vorgehensweise lassen sich erstaunlich viele Details herausarbeiten, was zu verblüffenden Resultaten führen kann.
Auch würde ich die Bildbreite etwas einschränken, ein schmaler Schlauch ist nicht mein Ding.
Bezogen auf die Detail Qualität ist ein Stativ Einsatz ratsam.
Vg
Willy