Im Gespräch mit Brad Wagner
Zugegeben, ich habe schon mehr als einen jungen Fotografen vorgestellt, der vor allem mit Selbstportraits arbeitet, erstaunlich viel seiner Zeit in die Fotografie steckt und dabei atemberaubende Fortschritte macht. Aber da gerade die fotografische Auseinandersetzung mit sich selbst besonders interessant sein kann, werde ich auch nicht müde, immer neue Künstler in dieser Sparte zu entdecken.
Brad Wagner gehört dazu und obwohl er mit ähnlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Laura Makabresku, Alex Stoddard oder Marwane Pallas arbeitet, zeichnen auch seine Fotos sich durch eine unverwechselbare Handschrift und seine ganz eigene Herangehensweise aus. Viel Spaß beim Blick in die Gedanken eines Selbstportrait-Künstlers und Geschichtenerzählers.
Hallo Brad. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Erzähl uns doch zuerst einmal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?
Also, ich heiße Brad, bin 21 Jahre alt und momentan studiere ich Spanisch und English auf Lehramt, um es später als zweite Fremdsprachen zu unterrichten. Aber immer, wenn ich nicht gerade studiere und sogar dann, wenn ich studieren sollte, dreht sich mein Leben um die Fotografie. Ich habe im letzten Sommer ein 365-Tage-Projekt angefangen, also ein Jahr lang jeden Tag ein Foto zu machen und seitdem bin von meiner Kamera im Grunde nicht zu trennen.
Was hat es eigentlich mit diesen 365-Projekten in letzter Zeit auf sich, jeder scheint eines zu machen. Was fasziniert Dich daran?
Ich denke, dass ungefähr jeder, den ich kenne und der das Projekt angefangen hat, das gemacht hat, weil er das Projekt eines anderen Fotografen gesehen hat und erstaunt war über die starke Verbesserung, die er währenddessen sichtbar erlebt hat. Ich hatte noch nie von den 365-Projekten gehört, bis ich über die Arbeiten von Alex Stoddard gestolpert bin, die mir eine ganz neue Seite der Fotografie gezeigt haben und mich im selben Moment dazu brachten, auch ein 365-Projekt machen zu wollen, um es selbst zu versuchen.
Die grundsätzliche Idee hinter dem 365-Projekt ist es, dass man sich ständig verbessert, wenn man jeden Tag fotografiert. Wie bei jeder Art von Kunst ist der beste Weg, um sich zu verbessern, zu üben. Und indem man es jeden Tag macht, wird man dazu gezwungen, sich an verschiedene Situationen anzupassen, neue Dinge auszuprobieren und aus seinen Fehlern zu lernen.
Bevor ich mein 365-Projekt anfing, bezeichnete ich mich gern selbst als Fotografen, aber die Wahrheit ist, dass ich vielleicht nur einmal im Monat Fotos machte und nur wenig über meine Kamera oder Photoshop wusste. Ich war eigentlich nur ein Junge mit einer schicken Kamera. Nun, nach weniger als einem Jahr, habe ich mich von einfachen Alltagsfotos zum Kreieren von Fotos entwickelt, von denen ich nie geträumt hätte, dass ich in der Lage wäre, sie zu machen!
Oh ja, Alex hat der Welt erst gezeigt, was man mit einem 365-Projekt wirklich anstellen kann. Hast Du in Deinen Fotos wiederkehrende Themen bemerkt? Was möchtest Du dem Betrachter erzählen?
Die offensichtlichsten Elemente, die in meinen Fotos immer wieder auftauchen, sind ich selbst und der Wald. Ich mache gern Selbstportraits, weil es den ganzen Prozess persönlicher macht, zu wissen, dass ich komplett dafür verantwortlich bin, wie das endgültige Foto aussieht. Es kann außerdem manchmal eine sehr lustige Herausforderung sein, gleichzeitig vor und hinter der Kamera zu stehen.
Der Wald spielt oft eine große Rolle in meinen Fotos, wobei ich ihn nicht nur als einen Ort sehe, sondern auch als eine Persönlichkeit. Ich habe so viele Ideen gehabt, zu denen ich einfach durch die Form eines Baumes oder einem Lichtfleck, der durch die Äste brach, kam.
Von diesen beiden Dingen abgesehen, versuche ich, die Dinge immer wieder zu verändern. Sobald ich bemerke, dass ich die selbe Requisite immer wieder verwendet habe oder die Bilder ähnlich nachbearbeitet habe, versuche ich, etwas komplett anderes zu machen. Das ganze Ding ist ja ein Abenteuer und es hat überhaupt keinen Sinn, dabei die ganze Zeit auf dem gleichen Pfad zu gehen.
Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, das ich dem Betrachter so sehr erzählen will, wie ich ihm etwas zeigen will. Ich sehe meine Fotos als flüchtige Einblicke in die Leben von verschiedenen Charakteren, die ich erschaffe. Ich will, dass der Betrachter, ausgehend von einem erstarrten Moment, in der Lage ist, sich eine ganze Geschichte für die Person im Foto auszumalen. Ich will eine Geschichte zeigen, in die sich ihre Gedanken flüchten können.
Meistens bist Du ja Dein eigenes Modell. Hat sich Deine Selbstwahrnehmung dadurch verändert, dass Du eine Menge Fotos von Dir selbst gemacht hast?
Zu wissen, dass man jeden Tag selbst vor der Kamera steht, hat definitiv einen Einfluss darauf, wie man sich selbst sieht. Auf eine Weise hat mich die Gewissheit, dass Hunderte Menschen mich im Internet sehen und mich wahrscheinlich beurteilen werden, sehr meiner selbst bewusst gemacht, aber gleichzeitig hat es dazu geführt, dass ich mit mir selbst zufriedener bin und besser verstehe, wer ich bin.
In den meisten meiner Bilder sehe ich den Gegenstand des Fotos trotzdem nicht als „mich“, sondern als jemanden, der so aussieht wie ich. Vor der Kamera zu sein, ist für mich wie Schauspielern, ich entwerfe dabei eine ganz neue Person. Aber jeder neue Charakter, den ich so erzeuge, enthält einen Teil von mir und erlaubt mir, eine andere Seite von mir zu erforschen.
Hast Du manchmal ein Gefühl von Langeweile bei dem, was Du machst? Wie gehst Du mit Zweifeln um?
Tatsächlich kann ich mich nicht an einen einzigen Moment erinnern, in dem mich die Fotografie gelangweilt hätte. Ich langweile mich oft bei anderen Dingen, aber zu fotografieren ist immer eine neue und andere Erfahrung. Ich werde beim Fotografieren nur ziemlich oft frustriert, wenn mir nichts Neues einfallen oder ein Bild einfach nicht funktionieren will, aber das ist es ja auch, was es interessant macht und immer eine Herausforderung bleibt.
Allerdings gab es Zeiten, in denen ich extrem frustriert von dem war, was ich produzierte und in denen ich anfing, an meinen Arbeiten zu zweifeln. Ich muss mich einfach immer wieder daran erinnern, dass ich Fotos für mich selbst machen und dass, solange ich selbst mit dem, was ich prodziere, glücklich bin, es alles ist, was zählt und dass, wenn ich damit nicht glücklich bin, ich mich selbst einfach weiter vorantreiben muss.
Ich sehe einen der Vorteile des Daseins als Selbstportrait-Künstlers darin, dass ich niemanden außer mir selbst habe, dem ich die Schuld dafür geben kann, wenn etwas schief geht oder nicht funktioniert. Wenn ich an meinen Arbeiten zweifle, muss ich mich selbst anschieben, um besser zu werden und so lange, wie ich meine eigenen hohen Erwartungen erfülle, sollte ich mich nicht um die Erwartungen anderer sorgen müssen.
Welche Rolle spielt die Nachbearbeitung bei Dir?
Ich würde sagen, dass Photoshop eine ziemlich maßgebliche Rolle bei dem spielt, was ich mache, aber ich versuche wirklich, meine Fotos eher natürlich zu halten. Meistens benutze ich Photoshop vor allem, um manuell mehrere Fotos zusammenzufügen und so den Bildbereich zu erweitern. Eine Technik, die oft als „Brenizer-Methode“ bezeichnet wird.
Und sonst nur, um mit den Farben zu arbeiten. Obwohl; ab und zu erstelle ich wirklich heftige Kompositionen, zum Beispiel lasse ich mich aus einem Baum wachsen oder vereine mehrere Klone von mir in einem Bild. Aber meine Theorie ist, dass ich alles, was ich direkt in der Kamera machen kann, auch dort mache. Ich will nicht, dass man mich als einen Photoshop-Künstler sieht, sondern als einen Fotografen, der die Nachbearbeitung nutzt, um seine Fotos zu unterstützen.
Was treibt Dich an? Was inspiriert Dich?
Anfangs war es wirklich das 365-Projekt, das mich angetrieben hat, weiterzumachen. Bevor ich es angefangen habe, habe ich wirklich maximal einmal im Monat Fotos gemacht und war auch nie wirklich glücklich mit ihnen. Aber jetzt liebe ich einfach das Gefühl, etwas zu erschaffen und dabei in neue Welten zu flüchten. Fotografie wurde zu meiner Art, mich zu entspannen.
Vor Kurzem musste ich mein 365-Projekt einen Monat lang unterbrechen, um mich auf die Schularbeiten zu konzentrieren und es war eine extreme Tortur für mich, nicht draußen zu sein und Fotos zu machen. An einem Moment etwa in der Mitte meiner Pause wurde ich geradezu schmerzhaft gestresst und beschloss, einfach rauszugehen und doch ein Foto zu machen. Währenddessen bemerkte ich, wie ich mich so sehr entspannte, ganz auf das Foto konzentrierte und alles andere einfach vergaß. Es ist wirklich mein Weg geworden, um meinen Verstand gesund und mein Inneres ausgeglichen zu halten.
Was die Inspiration angeht, würde ich sagen, dass meine hauptsächliche Quelle die Natur ist – die Art, wie sich ein Baum neigt, wie Licht durch den Wald scheint und Knochen von Tieren, die ich unterwegs finde. Eine andere große Sache ist es für mich, Geschichten zu erfinden. Meine liebsten Fotos sind die, die mehr als nur ein in der Zeit erstarrter Moment zu sein scheinen.
Die, die einen dazu veranlassen, sich zu wundern, was der Person im Foto vor diesem Moment passiert ist und was als nächstes kommen mag. Am meisten liebe ich es, ein Foto zu erschaffen, das so eine starke Geschichte aufspannt, dass ich mich entscheide, es fortzusetzen und die Geschichte über mehrere Fotos hinweg zu erzählen.
Inwieweit arbeitest Du mit anderen Fotografen zusammen?
Dadurch, dass ich mein 365-Projekt angefangen habe, während ich in einer kleinen Stadt wohnte und auch sehr beschäftigt mit der Schule war, ergab sich nie eine günstige Gelegenheit, direkt mit anderen Fotografen zu arbeiten. Erst vor Kurzem habe ich ähnliche Fotografen in meiner Gegend entdeckt, mit denen ich hoffentlich bald zusammen fotografieren kann.
Allerdings konnte ich mich mit einigen großartigen Fotografen auf der ganzen Welt anfreunden, weil ich meine Arbeiten auf Flickr ausgestellt habe. Im letzten Winter habe ich mit David Talley, Ethan Coverstone und Kiara Rose eine kleine Kollaboration gemacht, bei der jeder von uns eine Farbe des Kartendecks gewählt und interpretiert hat. Es war eine großartige Erfahrung, mit den dreien zu skypen, um herauszufinden, was wir interpretieren und wie wir es umsetzen wollen.
In diesem Juli werde ich die Chance haben, über 30 Fotografen von Flickr zu treffen, viele von ihnen sind schon ein paar meiner besten Freunde geworden. Wir haben bereits angefangen, die Requisiten, die Shootings und sowas alles zu planen und ich bin sehr aufgeregt, die Chance zu haben, mit so vielen inspirierenden Leuten zusammenzuarbeiten.
Ein paar wenige Deiner Bilder sind keine Selbstportraits. Arbeist Du dann mit Freunden oder auch mit fremden Modellen? Wie empfindest Du diese andere Herangehensweise?
Bisher hatte ich nur Freunde, die für mich Modell gestanden haben. Ich habe wirklich Glück, dass ich solche Freunde habe, die meine Fotografiebesessenheit unterstützen und die bereit sind, mit mir durch die Qualen eines Fotoshootings zu gehen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jemals dabei wohlfühlen würde, professionelle Modelle den Torturen auszusetzen, denen ich meine Freunde unterzogen habe! Ein Freund hat sich eine Verbrennung im Gesicht zugezogen, einen anderen brachte ich dazu, in einem eiskalten Wasserfall zu sitzen.
Ein anderer musste extrem still stehen, während ich 15 Minuten brauchte, zwischen ihm und meiner Kamera hin und her zu laufen und ein Laken auszurichten. Ich denke, das Problem ist, dass ich meine Freunde immer dann einspanne, wenn ein Foto zu kompliziert ist, um es ganz allein zu machen, deshalb bekommen sie immer die wirklich schweren Aufgaben!
Aber ich würde es gern einmal ausprobieren, mit richtigen Modellen zu arbeiten, sobald ich genug Vertrauen in meine Fähigkeit, Menschen anzuleiten, aufgebaut habe. Ich denke zwar, dass ich mich nie von der Freude entfernen werde, die ich bei Selbstportraits empfinde, aber für Fotos, die einen anderen Akteur als mich benötigen, wäre es interessant.
Wohin soll Dein Weg Dich in Zukunft führen, was willst Du aus Deiner Fotografie machen?
Für den Moment liegt mein Hauptaugenmerk darauf, das 365-Projekt zu Ende zu bringen, denn ich will mich so weit wie möglich verbessern, bevor ich mich in in irgendein allzu großes Projekt stürze. Aber mein ultimativer Traum wäre es, die Möglichkeit zu Reisen und Treffen mit anderen Fotografen zu haben, Fotos in neuen Umgebungen zu machen, in Galerien auszustellen und vielleicht sogar Workshops zu geben.
Aber was auch immer ich in Zukunft am Ende machen werde, ich weiß, dass ich immer Spaß haben werde, solange ich nur meine Kamera habe. Doch könnte ich es zu einer Vollzeit-Karriere als künstlerischer Fotograf bringen, denke ich nicht, dass ich mehr vom Leben verlangen würde!
Das ist doch ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für Deine Zeit und dieses Interview, Brad. Und alles Gute für Deine Zukunft!
Brads Arbeiten könnt Ihr bei Flickr und Facebook verfolgen.
Das Interview habe ich mit Brad auf Englisch geführt und anschließend übersetzt.