31. Mai 2012 Lesezeit: ~3 Minuten

Buchrezension: Gärtners Reise

Elke und Lothar Gärtner sind ein Ehepaar in ihren Sechzigern. Sie sind schon immer gern gereist. Jahrelang quer durch Europa. Am liebsten im Campingwagen.

2006 wurde bei Elke eine aggressive Form von Demenz diagnostiziert. Trotzdem beschloss Lothar im Jahr 2008, noch einmal gemeinsam mit ihr auf eine große Reise durch Polen, Litauen, Lettland, Estland und Russland zu gehen.

Die Fotografin Sibylle Fendt begleitete die beiden auf ihrer Fahrt und zeigt in ihrem Buch „Gärtners Reise“ die berührende Geschichte zweier Menschen, denen die Natur allmählig die Einheit nimmt.

Während dieser Reise ist Elkes Demenz soweit fortgeschritten, dass sie schon längst nicht mehr sprechen kann. Ihr Blick, seltsam abwesend, enthält Spuren der Person, die sie einmal war und ist doch leer geworden. Zwar ist ihr Körper da, ihre Persönlichkeit ist jedoch im Begriff, sich aufzulösen.

Die Fotografin thematisiert mit ihren Arbeiten meist die Tabus einer perfektionistischen, leistungsorientierten Gesellschaft, indem sie Menschen zeigt, die sich in ausweglosen Lebenslagen befinden.

Sie haben alternativlose Endpunkte erreicht und fallen durch das Raster der gesellschaftlichen Ansprüche. Sie sagt selbst, sie versuche, sich immer mit etwas zu beschäftigen, das ihr Angst mache und dem dann zu begegnen.

Lothar ist die Schwierigkeit der Reise bewusst und doch sträubt er sich dagegen, den Dingen passiv zu begegnen. Er organisiert die Reise, er kümmert sich um Elke. Er wäscht sie, kleidet sie an, kämmt ihr die Haare und übernimmt Verantwortung für sie. Genauso eigentlich wie für ein Kind.

Auf diese Weise bewahrt er ihnen beiden, was sie auf ihren Reisen immer so gemocht haben – die Freiheit. Auch, wenn dies oft großer körperlicher Anstrengung bedarf, so lässt er sich mit einer gleichgültigen Sebstverständlichkeit auf diese Bürde ein und tut, was zu tun ist.

Die Bilder des Buches bauen einerseits in einem chronologischen Erzählstrang die Reise nach, erzählen gleichermaßen aber auch die Geschichte des Ehepaars Gärtner.

Ob im Schlafwagenabteil im Zug nach Sankt Petersburg, im Wald oder auf dem Campingplatz im Wohnwagen, wenn Lothar Elke pflegen muss: Immer ist Sibylle Fendt den beiden nah. Nie aber drängt sie sich ins Bild hinein, sie nimmt sich selbst zurück, betrachtet leise und dokumentiert einfühlsam.

Schließt man das Buch, fühlt man sich, als wäre man dabei gewesen und möchte ein wenig zurücktreten angesichts der Menge an Privatheit, die einem soeben entgegen gebracht wurde.

Und dann entpuppt es sich als eine verblüffend einfache und wunderschöne Geschichte – als die Geschichte der Liebe eines Mannes zu seiner Frau.

„Gärtners Reise“ ist im Kehrer Verlag erschienen, hat 120 Seiten und kostet 30,00€.

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