21. Dezember 2011 Lesezeit: ~3 Minuten

Buchrezension: Swarm

Das Modewort unserer Gegenwart ist Schwarmintelligenz. In einer Zeit, in der sich Gleichgesinnte über Netzwerke wie Google+, Facebook und Twitter praktisch sekundenschnell gruppieren können, erhält das Thema eine unvorhergesehene Präsenz.

Warum bewegt sich eine Ansammlung von Individuen in die eine oder andere Richtung? Wer oder was ändert das Gleichgewicht? Wie entsteht Zusammenhalt ohne Hierarchie? Wie formen sich neue Gruppen aus einer bestehenden? Warum formen sie sich und weshalb zerstreuen sie sich wieder?

Das Fotobuch „Swarm“ zeigt Bilder von Vogelschwärmen, die der Fotograf Lukas Felzmann auf einer Autoreise von San Francisco in den mittleren Westen beobachtet und mit der Kamera festgehalten hat.

Das Schöne an diesem Werk ist: Man muss nicht tiefgründig philosophisch bewandert sein, um einen Teil für sich daraus zu gewinnen. Nein, es vermag auch den darin Blätternden auf einer wesentlich einfacheren Ebene anzusprechen – der grafisch-strukturellen Ebene.

Die Bilder spielen mit dem Rhythmus von Nah und Fern – mal sieht man die schwarzen Vögel miniaturisiert vor einem weißen Himmel segeln, mal steckt man praktisch tief im Kern des Getümmels.

Mal spielen die Bilder mit einer gewissen Maßstabslosigkeit, insbesondere, wenn die kleinen schwarzen Flugkörper den Himmel versommersprossen und selbst im einzelnen an Detail verlieren. Genau dann aber beginnen sich in der Masse abstrakte Figuren abzuzeichnen, die Felzmanns Schwarmgebilde so eindrucksvoll machen.

Durch ihre geschickte Abfolge erfahren die auf den ersten Blick vielleicht inhaltsarmen Bilder eine kraftvolle Verdichtung – einen lebhaften Wechsel aus Gleichmäßigkeit und scheinbarem Chaos.

Mal tauchen in ihnen Elemente der Verhältnismäßigkeit auf – seien es Bäume, Strommasten oder andere Hinweise auf menschliche Zivilisation – dann verwaschen die Größenverhältnisse wieder gen Horizont, um sich schließlich abstrakt ins Weiß zu verlieren.

Ob der Fotograf selbst über seine Beobachtung schreibt, Peter Pfrunder – Direktor der Fotostiftung Schweiz in Winterthur – sich fragt, ob die Natur eigentlich spielt, der Verhaltensforscher Gordon H. Orians unter wissenschaftlichen Aspekten das Schwarmverhalten von Tieren beleuchtet, der amerikanische Dichter Wallace Stevens mit „Thirteen ways of looking at a blackbird“ ein lyrisches i-Tüpfelchen setzt oder die Biologin Deborah M. Gordon über Kontrolle ohne Hierarchie nachsinnt, alle diese Texte vervollkommnen das Buch und ergänzen Felzmanns Bilder. So entsteht ein Werk, das Wissenschaft und Kunst auf ästhetische Weise vereint.

Swarm* ist ein griffiger Zweieinhalbpfünder, der versteht, das grafikhungrige Auge zu entzücken und ist ein Muss für alle, die gern die Ästhetik der Natur genießen. Der gebundene Band ist bei Lars Müller Publishers auf Englisch erschienen, hat 240 Seiten und kostet neu 36€.

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, bekommen wir eine kleine Provision, Ihr bezahlt aber keinen Cent mehr.

10 Kommentare

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  1. Das hat mich doch glatt weg so fasziniert das ich’s gleich bei Amazon bestellt habe. Die Idee eine thematisch orientierte ästhetische Bildsprache und Wissenschaftlich-Philosophisches miteinander zu verbinden gefällt mir außerordentlich gut und das Thema selbst ist natürlich absolut oberspannend (zumindest für mich). Schwarmintelligenz passt irgendwie zur wissenschaftlich neueren Idee vom „plastischen Gehirn“ (siehe Literatur von Gerald Hüther) und der Fähigkeit des Gehirns Daten immer wieder neu zu modellieren.

    • ich bin da ganz bei dir. und werde es mir heute auch gleich bestellen..also jetzt danach…und was diese aussage von dir angeht

      „plastischen Gehirn“ (siehe Literatur von Gerald Hüther) und der Fähigkeit des Gehirns Daten immer wieder neu zu modellieren.

      bin ich ebefalls und aus überzeugung bei dir denn mein hirn tut das dauernd und ob das gut ist lass ich mal meine umwelt beantworten. viele meinen ich denke zu kompliziert ..und nun habe ich die passende antwort darauf…ich bin ein von schwarmintelligenz getriebener…wenn das keine erkenntnis des frühen tages ist und eine ausrede für mich und allerlei unsinn den ich so verzapfe, dann, ja dann,… hab ich auch keine bessere erklärung.

      • …. viele meinen ich denke zu kompliziert …. statt kompliziert passt vielleicht „vielschichtig“ oder „weiträumiger“ besser.

        Viel Spaß beim neuen „ausSchwärmen“ … :-)

  2. Vielen Dank für diese Rezension – auch wenn ich nicht gleich bestelle, schließlich will ich noch etwas Geld für Weihnachtsgeschenke übrig behalten (hoffentlich werde ich es noch rechtzeitig sinnvoll los!).

    Die Idee, das Konzept gefällt mir ausgesprochen gut. Sehr vielschichtig und doch thematisch auf dem Punkt. Es wirkt auch mich irgendwie museal.

    Kennt ihr weitere Veröffentlichungen (Bücher, www-Seiten etc.) die eine ähnliche Kombination aus Bildsprache/Geschichte/visueller Betrachtung mit künstlerisch-sprachlich-wissenschaftlichen Texten kombinieren?