Ein Mann läuft der Sonne entgegen.
24. Mai 2014 Lesezeit: ~8 Minuten

Eine Million Likes

Perfekt soll es sein, das Foto. Keine Makel, nur schillerne Großartigkeit, gepaart mit filigraner Bildbearbeitung und erfüllt mit solchem Drama, dass es ist, als ob man einem Liebslied zuhöre. Es soll sie begeistern, die Massen. Ihnen die Sprache verschlagen.

Das dachte ich. Als ich anfing mit der Fotografie. Ich wollte es so. Wünschte mir, dies einmal zu erreichen. Den Trick zu wissen, wie es funktioniert.

Damit ich es tausende Male wiederholen könnte, von jeder Sitiation ein perfektes Bild aufzunehmen. Ich sah mich mit dem Laser-Blick, der alles durchdringt und aus hunderttausend Perspektiven die beste findet.

Um allen zu zeigen, dass ich es kann. Dass meine Fotos einfach perfekt sind. Großartig. Unerreicht. Wahnsinn. Eine Million Likes bekommen.

Bullshit.

Ein Mann mit aufgeschminktem Hitlerbart guckt in die Kamera.

Was sich hinter meiner romantisierten Vorstellung der Fotografie versteckte, war die Sucht nach Anerkennung. Ja, wir haben Dich alle lieb und Du bist der Beste. Der Allergeilste.

Und der Angst vor Ablehnung. Wehe, mein Bild ist nicht perfekt. Wehe, es hat nicht mindestens so und so viele Favs und Likes. Wehe!

All das wollte ich übertrumpfen. Und allen gefallen. Die Fotografie war nur Mittel zum Zweck.

Doch diese Wunschvorstellung vom perfekten Bild erzeugte in mir vor allem das: Immensen Druck und eine riesige Kreativ-Blockade.

Moment, ich muss hier kurz ausschweifen. Kreativ. Das hört sich nervig esoterisch an. Kreativ-Workshop für Erwachsene. Töpfern mit Panflötenmusik. Ausdruckstanz in lilanen Kleidern. Irgendwie 80er.

Wenn ich „kreativ“ sage, dann meine ich nicht das. Wenn ich kreativ sage, dann meine ich, mit der Kamera unterwegs zu sein und einfach Spaß zu haben. Bock darauf zu haben, rauszugehen und zwei Stunden zu fotografieren, das Licht einzufangen und mich ins Chaos der Stadt zu werfen.

Verschiedene Menschen gucken in die Sonne und heben die Hand.

Das ist für mich kreativ sein.

Doch die bescheuerte Illision, das eine, perfekte Foto zu machen, torpedierte ein Kreativ-Werden die komplette Zeit über. Ich verkrampfte innerlich. Setzte mich unter Druck. War sehr, sehr streng zu mir.

Spaß am Fotografieren? Kaum. Ich verlor zunehmend die Lust daran. Zwang mich zwar immer wieder, loszuziehen und dachte, dass ich einfach nicht diszipliniert genug wäre. Einfach zu faul wäre und mich zwingen müsste.

Irgendwann würde ich es sicher machen, das

super
derb
geile

Foto.

Wenn ich gut genug wäre. Wenn ich meine Technik bis ins Hunderttausendstel ausgefeilt hätte. Dann. Irgndwie, irgendwo, irgendwann.

Ein Mann rast auf dem Fahrrad vorbei.

Dann würden mich die Leute beklatschen. Ich würde bekannt werden. Bekannt als Fotograf.

1.000.000 Personen gefällt das.

Doch, wie gesagt, es funktionierte einfach nicht. Ich bekam schon Kopfschmerzen beim Gedanken an die nächste Fototour. Alles fühlte sich taub und so komisch an.

Meine Vorbilder waren all diejenigen, die auf DeviantArt und Flickr absahnten. Die hunderttausend Views auf ihren Fotos hatten und die jeder geil zu finden schien. Sowas wollte ich. Das spornte mich an. Das war so… perfekt.

Und ich hörte auf die Foto-Profis, die ständig Disziplin predigten. Die allen erzählten, dass sie ihre Ärsche hochkriegen müssten. Die ach-so-erfahrenen, die jedem unter die Nase reiben, wie lange sie doch schon fotografierten und was für geile Burschen sie doch wären.

Nochmal Bullshit.

Ein Mann zieht eine Erotik-DVD heraus.

Der Perfektionismus hat meine Fotografie kaputt gemacht. Oder zumindest das, was ich mir unter perfekt so vorstellte. Dieser Hunger nach Anerkennung und die scheiß Angst davor, negative Kritiken, fiese Kommentare zu bekommen oder gänzlich links liegen gelassen zu werden.

Ja, all das hat meine Kreativität so lange gelähmt, bis ich in ein riesenfettes Loch fiel.

Das Loch war nicht schwarz und es war auch nicht rund. Nein, es sah so aus: Ich genehmigte mir ständig Fotopausen, die immer länger wurden. Noch eine. Dazwischen mal rausgehen, fotografieren, doch das reichte, um die alten Dämonen zu wecken und gleich wieder das Handtuch zu werfen.

Es fühlte sich an, als hätte ich alles verloren. So viel Hoffnung hatte ich auf die Fotografie gesetzt. So viel hineingewünscht, herbeigesehnt und so viel gewollt. Doch es schien so, als ob mir nicht mal ein einigermaßen gutes Foto gelingen könnte.

Klar, wenn der Maßstab perfekt ist.

Vor zirka fünf Jahren nahm ich dann Abstand von allem und fühlte in mich hinein. Spürte hin, was das alles mit mir machte und dachte nur eines:

Leckt mich doch. Alle.

Eine Frau steht von einer Fensterscheibe mit Plakatierungen zum Ausverkauf.

Denn langsam wurde ich wütend. Wütend auf alles, was ich mit (perfekter) Fotografie in Verbindung gebracht hatte. Auf alle tollen Fotorockstars, Superprofis und Disziplin-Prediger. Wütend Auf Kamera-Nerds, Foto-Blogger, Fotomagazine. Alles war scheiße. Und ich hätte am liebsten direkt aufgehört.

Vor allem aber war ich wütend auf mich. Ich wollte und konnte nicht zugeben, dass ausgerechnet ich jetzt in diesem Loch war. Ich, der doch schon zig Artikel über Disziplin und kreative Lösungen mit Blockaden geschrieben hatte. Ich, der doch dachte, alles verstanden zu haben. Der sein Blog „Digitale Fotografie Lernen“ genannt hatte.

Wie dumm.

Doch genau an diesen Punkt musste ich kommen. Denn irgendwann begann ich, diese Sehnsucht nach Perfektion und Anerkennung zu hinterfragen. Die Angst vor der Ablehnung anzusehen und zu überlegen, was denn daran so schlimm wäre, wenn meine Bilder auf einmal nicht mehr gemocht würden.

Keiner Person gefällt das.

Ein Mann mit Hornbrille.

Ja, und?

Ich fragte mich, ob es das alles wert ist. Überlegte, ob es nicht eigentlich alles anders wäre. Dass der Traum vom perfekten Fotografen ein Luftschloss war, in das ich mich selbst eingesperrt hatte.

Und irgendwann, ich weiß nicht mehr genau wann, machte es wortwörtlich klick. Ich schaute auf die letzten Monate zurück und entschied mich ganz bewusst gegen die Fotografie, wie ich sie bis dahin kannte. Und erfand meine eigene Version davon.

Ich stellte meine eigenen Regeln auf. Und die hießen ungefähr so:

1. Jedes Foto, das besser als völlige Scheiße ist, ist gut.
2. Ich fotografiere, was ich will und wie ich es will.
3. Ich ignoriere in den kommenden Monaten jede Meinung zu meinen Bildern. Auch die Lobhudeleien.
4. Wenn meine Fotos nicht gemocht werden, ist das nicht mein Problem.
5. Disziplin my ass.
6. Perfektion my ass.
7. Likes
8. My
9. Ass.
10. Ich glaube niemandem, der mir ungefragt meine Fotos „zerreißt“.

Für mich war erst einmal wichtig, zu klären, was ich nicht will. Um später eine Grundlage für das zu schaffen, was ich will.

Und auf einmal öffnete sich etwas in mir. Mir wurde im Herzen ganz warm und leicht. Hansi Hinterseer klingelte an meiner Tür und sang mir ein wunderschönes Lied.

Scherz.

Ein Mann spielt auf der Ziehharmonika – an der Wand hinter ihm steht LOL.

Scherz beiseite.

Irgendwann bekam ich wieder Lust. Hatte auf einmal wieder Bock auf’s Fotografieren. Wollte wieder losziehen. Neue Fotos machen.

Und das alles, ohne mich zu irgendetwas zwingen zu müssen. Ganz ohne Disziplin. Wer hätte das gedacht. Ich fand meinen Zugang zum Nicht-Perfekten. Zum Komplexen. Unfertigen.

~

All das ist heute Teil meines Fotografierens. Ich zwinge mich nicht, rauszugehen. Das Gegenteil ist der Fall: Ich habe heutzutage extrem viel Lust, neue Fotos zu machen und muss mich eher bremsen, damit der Rest der Arbeit nicht liegen bleibt.

Nein, ich bin nicht geheilt. Immer wieder werde ich neidisch auf andere Fotografen, die hunderttausend Fans auf Facebook haben oder ständig perfekte Fotos zaubern, die dann bejubelt werden.

Doch ich habe mich verändert. Ich verfalle dem Hype nicht mehr und weiß, dass es keinen Sinn macht, all dem hinterher zu hecheln. Der Wert meiner Bilder liegt nicht in der Anzahl der Likes.

Meine Fotos haben sich auch verändert. Ich habe mein Ding gefunden. Und ich weiß, dass meine Fotos nicht perfekt sind. Das müssen sie auch nicht mehr sein.

Einer Person gefällt das.

Mir.

Ein Mann lacht in die Kamera.

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