18. Januar 2021

Not the Only Gay in the City

Ein gutes Projekt ist eines, das langsam wächst und das einem als Mensch nah am Herzen liegt. Daher habe ich mich längere Zeit mit der Themenwahl meines ersten größeren Fotoprojekts beschäftigt. Wobei schnell klar war, dass es ein queeres Thema sein würde.

Als schwuler und queer engagierter Mann lag das nah. Mir ist es wichtig, dass das Thema der Akzeptanz von und Toleranz für queere Lebensformen in der Öffentlichkeit präsent ist und bleibt; gerade angesichts der zunehmenden Homophobie in Europa und weltweit.

Die Frage nach einem „schwulen Ort“ stellte sich mir. Gibt es ihn überhaupt? Was macht ihn aus? Ist er heute noch relevant? Ist er für Jung und Alt verschieden? Ist es nur ein Ort, an dem sich die LGBT-Community trifft? Oder ein sichtbares Symbol für den Slogan „We’re here, we’re queer!“?

Oder hat jeder schwule Mann seinen ganz individuellen schwulen Ort, abhängig von der eigenen Sozialisation und Biografie, von der eigenen Identitätsfindung? Ich habe schwule Männer gefragt: Was ist ein prägender Ort Deiner schwulen Biographie?

PortraitGeld auf einem Kopfsteinpflaster

Anfang der 90er Jahre als Däne nach Hamburg zu gehen, war nicht meine freie Entscheidung. Hamburg ist mir quasi passiert. Meine erste Wohnung, die mein Arbeitgeber mir stellte, hat mir die nötige Freiheit gegeben, Neues zu probieren und mir selbst näherzukommen. Und Hamburg hat mir meinen Mann geschenkt.

PortraitSchrift auf einer Wand

Meine Ursprünge liegen in Hagen. 2018 dann habe ich in Amsterdam Techno für mich kennen und lieben gelernt. Ein Jahr später in meiner neuen Heimat Berlin wusste ich, was mich dort erwartete: Das Berghain aka. die Kathedrale des Technos wurde zu meiner regelmäßigen Wochenend-Location, zu meinem persönlichen schwulen Safe Space. Dort kann ich tun und machen, aussehen und sein, wie ich will, ohne gejudged zu werden. Ich genieße diese volle Diskretion.

Säulen im DetailPortrait

Ich kam 2012 aus Frankreich nach Hamburg als Erasmus-Student. Freunde verkuppelten mich mit einem süßen jungen Deutschen, den ich das erste Mal vor dem prachtvollen Eingang der Universität traf. Was für ein schöner Ort für ein erstes Kennenlernen!

Es war Liebe auf den ersten Blick und wir sind seitdem zusammen – trotz eines Jahres, in dem ich weiter in Frankreich studierte. Er bringt mir Deutsch bei und ich ihm L’Amour à la Française. Als ein schwuler Mann fühle ich mich in Hamburg viel sicherer und wohler als in Frankreich.

PortraitKlingeln

In diesem Haus hatte ich meine erste eigene Wohnung in Hamburg, nachdem ich Anfang der 90er Jahre von zu Hause ausgezogen war. Hier hatte ich mein Coming-Out, meinen ersten Sex, meine erste schwule Beziehung. Mein Leben hat sich hier stark verändert. Ich habe mich unabhängig gemacht, bin selbstbewusster und erwachsener geworden.

kleine EngelfigurPortrait im harten Sonnenlicht

Vor über zwanzig Jahren hat mich die Arbeitswelt ins Wendland gezogen. Hier habe ich nach einer jahrelangen heterosexuellen Beziehung mein Coming-Out gehabt und meinen heutigen Ehemann kennengelernt. Zusammen haben wir hier unser Traumhaus und unseren Traumgarten verwirklicht. Das Wendland hat mich eingefangen. Wir waren das erste schwule Königspaar in einem niedersächsischen Schützenverein. Hier fühle ich mich wohl und aufgehoben.

PortraitWand voller Bilder

Als ich 1994 frisch aus Wien in Hamburg ankam, habe ich viel in verschiedenen Bars auf St. Pauli gearbeitet. Das „Camelot“ war damals der Ort, an dem ich mich als Ausgleich zur Arbeit richtig austoben konnte, um den Kopf auszuschalten. Hier habe ich mich frei gefühlt. Ich brauchte damals die schwule Szene, um selbstbewusster zu werden. Das „Camelot“ schloss 1999 seine Pforten, aber ich denke gern an diese Zeit.

 

Männer verschiedener Altersgruppen und Herkünfte, die meisten von ihnen heute in Hamburg zu Hause, haben mir ihre Geschichten erzählt. Geschichten ihres Coming-Outs, ihrer Selbstfindung als schwuler Mann, Geschichten von Angst und Mut, von Unterdrückung, Verdrängung und Befreiung.

Die Teilnahme an meinem Fotoprojekt ist für sie auch Ausdruck ihrer Selbstdarstellung als schwuler Mann, ist gleichsam visueller Ausdruck von Pride. Und ihres Wissens und ihrer festen Überzeugung: Sie sind nicht allein, they are most certainly: Not the Only Gay in the City.

Im Podcast Bildstörung gibt es ein ausführliches Interview zum Projekt. Wenn es Euch gefällt, hört doch gern mal rein!

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