Rezension: Die eine Ansicht
Das Buch „Die eine Ansicht – Fotografische Bilder und ihre Wahrnehmung“ , erschienen im Verlag Kehrer, beschäftigt sich mit den Sehweisen der Betrachtenden und ihrer Aufschlüsselung durch die Erfahrungen aus der Sehbeschäftigung heraus. Wortgewaltig wird das Sehen an sich erläutert und das Betrachten fotografischer Bilder im Besonderen untersucht und aufgeschlüsselt.
Hierbei werden die verschiedenen Perspektiven eingenommen von Personen, die Bilder erstellen, die aus einem Kenner-Hintergrund an Fotografien herantreten ebenso wie von unbedarften Betrachter*innen, die quasi im Vorbeigehen Bilder wahrnehmen. Erlerntes Sehen, persönliche Erfahrungen und Sehgewohnheiten sind Begrifflichkeiten, die man innerhalb des Buches zueinander zugeordnet findet.
Günther Kebeck (Text) und Thomas Wrede (Fotografien) haben mit diesem Buch eine gemeinschaftliche Arbeit erstellt, die auf 104 Seiten unser Wissen zur Seherfahrung und zum Betrachten von (künstlerischen) Fotografien auf den Kopf stellt, um sie dann wieder neu zu ordnen. Das Buch ist lehrreich, aber in einer Form geschrieben, dass man es auch trotz der vielen enthaltenen Informationen angenehm lesen kann.
Der Bildteil von Thomas Wrede leitet die essayistischen Überlegungen von Günther Kebeck mit doppelbödigen Interieuraufnahmen ein und stößt uns bereits von Beginn an an, unsere Seherfahrung permanent zu hinterfragen. Dieses Buch ist eine Mischung aus Kunst- und wissenschaftlichem Studienbuch zugleich. Die Fotografien verwirren, obwohl sie uns so klar erscheinen, da sie mit den Mechanismen, die im Buch beschrieben werden, arbeiten und uns direkt vor Augen führen, wie einfach unser Sehen manipuliert werden kann.
Wo findet das Sehen wie statt? Was ist naives Sehen und was hingegen kritisches Sehen? Wie unterscheidet sich das Netzhautbild vom betrachteten Bild oder Blickwinkel? Ist es wirklich adäquat, immer und immer wieder den Vergleich zwischen Kameralinse und Augenlinse heranzuziehen? Wissen wir wirklich viel über Farben und ihre visuelle Verarbeitung? Stimmt es, dass nachts alle Katzen grau sind? Kann ich dem, was ich sehe, überhaupt trauen?
Viele Fragen werden in diesem textlastigen Buch thematisiert und regen so nicht nur Fotografieschaffende zu einer neuen Sicht auf das visuellen Begreifen an, sondern vermitteln insgesamt fundiertes Hintergrundwissen dazu, wie unser Sehen und Begreifen insgesamt vonstattengeht. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden ebenso wie Erfahrungsstudien herangezogen und bauen Schritt für Schritt aufeinander auf. Jedoch so, dass man immer den Text in Begleitung mit passenden Beispielen findet, die sich schlüssig nachvollziehen lassen.
Die von Thomas Wrede erstellen Fotografien sind Bild-in-Bild-Situationen, die als eigenständige Arbeit das Buch ergänzen. Begriffspaare wie Illusion und Wirklichkeit, Innenwelt und Außenwelt, Erster und Zweiter Blick bestimmen Buch sowie Bilder im Buch in dieser Untersuchung. Aber keine Angst: Trotz viel fachlichem Inhalt ist es kein Buch, das schwer zu verdauen ist, sondern gut zu lesen und erschwert einem nicht durch zu viele Fremdwörter oder verschachtelte Sätze das Lesen.
Wer immer schon tiefer in die Verständniswelt des Sehens eintauchen wollte, findet hier eine Lektüre, die uns unsere Sehweise überdenken lässt und auch maßgeblich darauf Einfluss nehmen kann, wie wir in Zukunft fotografische Bilder erstellen oder betrachten werden. In der Zeit der Bilderflut und der stetig wachsenden Bilderdatenberge auf unseren Geräten lohnt es sich, all diese Bildmassen und ihre Auswirkung zu untersuchen und vielleicht sogar zu hinterfragen.
Informationen zum Buch
„Die eine Ansicht – Fotografische Bilder und ihre Wahrnehmung“ von Günther Kebeck (Text) und Thomas Wrede (Fotografien)
Sprache: Deutsch
Einband: Festeinband
Seiten: 104 (24 Farbabbildungen)
Maße: 17 x 23 cm
Verlag: Kehrer
Preis: 29,90 €