Im Gespräch mit Veronika Kurnosova
Veronika Kurnosova hat eine ruhige Handschrift in ihrer Familien- und Kinderfotografie, die sie mit natürlichem Licht aufnimmt und sensibel wiedergibt. Hierbei spielen nicht nur die Menschen im Bild selbst eine große Rolle, sondern auch die Umgebung, in der sie leben. Das Fotografieren von Personen kann sehr unterschiedliche gehandhabt werden; Veronika erzählt uns etwas über ihre Herangehensweisen und was sie zu ihrer Art der Bilder geführt hat.
Liebe Veronika, erzähl uns doch kurz etwas über Dich und Deine Beziehung bzw. Deinen Zugang zur Fotografie und wie Du überhaupt zur Fotografie gekommen bist.
Etwas über sich zu erzählen, bringt mich zu Geschichten aus der Vergangenheit. Ich erinnere mich an das Jahr 2011. Ich habe Öffentlichkeitsarbeit in Sankt Petersburg studiert, habe als Schaufenster-Dekorateurin bei H&M gearbeitet und später als Managerin von einem H&M Showroom in Moskau. Doch im Jahr 2012 packt mich das Fernweh, mein Leben wollte Veränderung und ich wusste, etwas soll sich ändern.
Die Idee war eine Reise nach Indien. Also suche ich in meinem Freundeskreis nach Gleichgesinnten. Zusammen mit einem Bekannten packen wir die Sachen und flogen für vier Monate nach Indien. Mit dabei natürlich meine Kamera. Sie hat in dieser Zeit für mich gesprochen. Sie war meinen lautlosen Monologen ausgesetzt, war meine Motivation, um 4 Uhr morgens aufzustehen, um den Nebel auf dem Fluss zu sehen. Eine längere Reise ist immer auch eine eigene Geschichte.
Wieder in Sankt Peterburg angekommen, hat mich natürlich eine Frage beschäftigt: Was kann ich jetzt machen, was kann ich jetzt ehrlich machen, aus dem Herzen heraus? So, dass ich das Leben nicht verschlafe. So, dass ich meinem Weg folge, einem Weg, den ich selber noch nicht kenne. Die Antwort war für mich die Fotografie, um meinen inneren Monologen zu folgen.
Den weiteren Weg verfolgte ich fast mit geschlossenen Augen und aus der Intuition heraus. Ich bewarb mich für eine Kunsthochschule in Deutschland, ohne Deutsch zu können, musste Deutschprüfungen ablegen, Motivationsschreiben verfassen und so weiter – und an einem Tag dann studiere ich Fotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen.
Du fotografierst überwiegend mit natürlichem Licht und in natürlicher Umgebung – wie kam es zum Beispiel zum Satz „Tief atmen, laut schreien, fasziniert gucken“ in der Rubrik „Kind“ auf Deiner Webseite? Dort sieht man auch Bilder, die es in einem klassischen Fotostudio wahrscheinlich nie ins Schaufenster geschafft hätten.
Ich habe vieles ausprobiert, auch viele Sets im Fotostudio. Ich kann gut oder sogar sehr gut mit Fashion-Fotografie im Studio arbeiten. Der Raum des Studios ist so minimalistisch, dass die Bilder automatisch einen starken Inhalt und enorme Kraft bekommen. Das passt für mich sehr gut zur Fashion-Fotografie. Im Gegenteil dazu, wenn es um Menschen und um die persönliche Ebene geht, brauche ich natürliches Licht, offenen Raum, den Wohnort des Menschen als Ort zum Fotografieren.
Kinder sind für mich magische Wesen. Sie wissen etwas, was wir schon vergessen haben. Ich mag es, sie zu beobachten, wie sie die Welt betrachten. Der Satz kommt also aus der Beobachtung und teilweise aus den eigenen Erinnerungen meiner Kindheit. Wenn ich heute in der Nacht auf einem Feld liege, um mir die Sterne genauer anzuschauen und mir vorzustellen, was da noch alles ist, ist es nie dasselbe, was ich als Kind gesehen und mir vorgestellt habe. Das war voller Magie. Wenn ich Kinder fotografiere, versuche ich, ein Stück näher an dieser Magie zu sein.
Welche Rolle spielen die Details, die immer wieder zwischen Deinen Fotografien von Menschen auftauchen?
Ich versuche, den Raum zu öffnen. Details schaffen Stimmung und zeigen die Seele des Menschen in seinem Zuhause. Es soll ein Bild für die Betrachter*innen sein, bei dem sie bei den eigenen Bildern in ihrer Vorstellung bleiben können oder meinen visuellen Vorstellungen von bestimmten Gefühlen, wie zum Beispiel dem Gefühl der Geborgenheit bei der Schwangerschaft, folgen können.
Viele Deiner Bilder haben einen Hauch von Melancholie in sich – vor allem bei den Portraits taucht dies häufig auf. Wie kommt es dazu? Oder siehst Du vielleicht etwas anderes als Melancholie?
Diese Frage finde ich grundsätzlich spannend und wichtig bei meiner Fotografie. Ich habe einige Male erlebt, dass Arbeiten, die ich schön finde, andere als melancholisch und traurig empfinden. Melancholie ist für mich ein wertvoller Zustand, der mir einen Abstand zu dieser Welt bietet, um unsichtbare Sachen zu sehen. Wie Antoine de Saint-Exupéry mit den Worten des kleinen Prinz sagte: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Welche Rolle spielt Deine fotografische Ausbildung für Dich und Deine Fotografie? Oder was hat vielleicht den größten Einfluss auf Deine Bilder?
Das Studium an der Folkwang Universität der Künste hat mich vor eine sehr große Herausforderung gestellt: Ich musste raus aus meiner gewöhnlichen „fotografischen Welt“. Nach vier Jahren habe ich meine Tür gefunden, ich habe für mich die abstrakte Fotografie geöffnet, Fotografien, die eine eigene Welt erschaffen. Obwohl der Fokus im Studium bei der Kunstfotografie liegt, hat es natürlich auch eine Auswirkung auf meine angewandten Fotografien.
Ich konnte klarer meine Interessen und meine Bildsprache definieren. Die Kund*innen bezeichnen meine Fotografie oft mit Worten wie: sensibel, natürlich, persönlich, sanft, stimmungsvoll. Es ist schwer zu beantworten, was den größten Einfluss auf meine Bilder hat. Obwohl, eine Antwort fällt mir dazu ein: der persönliche Kontakt mit meinen Kund*innen. Persönliche Fotografie fordert die Zeit und das Vertrauen von beiden Seiten.
Ist so etwas wie ein Buch mit Deinen Portrait- und Kinderfotografien geplant? Vielleicht hast Du schon öfter so etwas gehört, denn sie erinnern manchmal an Jitka Hanzlova.
Das ist eine überraschende Frage und ich höre sie zum ersten Mal. Es freut mich, da Jitka Hanzlova für mich eine Inspirationsquelle ist. Ich finde den Gedanken an ein Buch als Form für Portraits, vor allem Kinderportraits, ganz schön. Es ist so auch möglich, die Grenze zwischen der angewandten und freien Fotografie loszulassen.
Arbeitest Du ausschließlich digital? Wenn ja, mit welcher Ausrüstung bist Du in den teils ja auch schwierigen häuslichen Lichtsituationen unterwegs? Gibt es bei Dir auch „analoge Momente“?
Ich fotografiere überwiegend digital. Es gibt aber einige Sessions, die auf Film aufgenommen wurden, wie zum Beispiel eines mit Baby Abel – oder ein Portraitshooting mit Anne. Beim Fotografieren es ist mir wichtig, einen Moment „dazwischen“ einzufangen. Zwischen dem zwanghaften Posieren und dem Lächeln. Ich mache ziemlich viele Bilder bei einem Shooting und irgendwann kann das Modell nicht mehr nachvollziehen, nach welchen Kriterien ich fotografiere und entspannt sich.
Wir reden miteinander, machen Pausen und es fühlt sich ganz angenehm und vertraut an. Dafür sind natürlich eine digitale Kamera und lichtempfindliche Objektiven sehr wichtig. Ich fotografiere mit einer Canon 5D Mark 3 sowie mit den Canon-Objektiven 50 mm f/1.8 , 85 mm f/1.8 und 24–105 mm f/4 .
Zudem arbeite ich mit den nützlichen Mitteln von Lightroom. Mit guter Software kann man auch von sehr dunklen Bildsituationen viel aus einer RAW-Datei herausholen. Ich erinnere mich an die Bühnenbilder von Tänzer*innen und Schauspieler*innen, die ich in den letzten zwei Jahren gemacht habe. Kein Blitz, schnelle Bewegungen und das Ziel ist es, trotzdem scharfe Bilder zu bekommen.
Welches würdest Du sagen, ist Dein Hauptsujet in der Fotografie? Oder wie lässt es sich vielleicht in drei kurzen Worten zusammenfassen?
Vielleicht… Gefühle? Und in Adjektiven: verträumt, ehrlich, sensibel.
Sind konkrete Projekte für das neue Jahr geplant?
Im neuen Jahr möchte ich mich mit Portraits aus der Renaissance auseinandersetzen. Jetzt muss ich sofort an Deine Frage mit Jitka Hanzlova denken, da sie in der Serie „There is Something I Don’t Know“ auch an diesem Thema gearbeitet hat. Renaissance-Thematiken fließen bei mir bereits unbewusst in die Bilder mit ein. Ich mag leuchtendes Licht im dunklen Zimmer aus dem Fester, die Tiefe eines Blickes. Außerdem habe ich neuen Input aus unserem Interview bekommen – vielleicht mache ich auch ein Buch über die Kindheit.