07. September 2017 Lesezeit: ~5 Minuten

Das Polaroid-Projekt: Die Eroberung durch die Kunst

Mit dem Buch „Das Polaroid-Projekt – Die Eroberung durch die Kunst“ bringt der Münchner Verlag Hirmer einen umfangreichen und spannenden Band zur Polaroid-Fotografie heraus. Konzipiert als Begleitbuch zu einer Ausstellung in Wien im Dezember über das „Projekt“ Polaroid-Fotografie, erheben die Herausgeber*innen den Anspruch, das Phänomen nicht nur aus technischer und künstlerischer Sicht, sondern auch auf unternehmerischer und gesellschaftlicher Ebene zu beleuchten.

Um es vorwegzunehmen: Das Buch lässt mehr Fragen offen, als es beantworten kann. Aber genau das macht andererseits auch den Reiz dieses Werks aus, es fordert mich als Leser heraus, mich tiefer nicht nur mit der Sofortbild-Fotografie als solcher, sondern überhaupt mit dem analogen und digitalen Fotografieren, auch in sozialen Netzwerken, auseinanderzusetzen.

Ein Polaroid wird vor eine Straße gehalten

Der Reihe nach

In „Das Polaroid-Projekt“ findet man nicht nur sehr viele, sondern auch sehr spannende und sehr unterschiedliche Polaroids. Auch wenn ganz klischeehaft, und so auch in vielen Apps heute digital simulierbar, das quadratische Foto mit dem Rahmen, der unten breiter ist, stellvertretend für die Polaroid-Fotografie steht, so sieht man schnell, dass eine Vielzahl weiterer Größen und Formate entwickelt wurden, bis hin zu Riesenformaten, die 60 cm breite Bilder lieferten. Schade ist, dass viele Abbildungen rahmenlos wiedergegeben wurden und somit der technische Aspekt bei vielen Bildern nicht weiter vertieft werden kann.

Angesichts der teils fast surreal anmutenden Ergebnisse bleibt man als Betrachter*in oft ratlos zurück. Was lieferte die Kamera, was wurde nachträglich – oft auch ganz konventionell mit Klebstoff, Chemikalien oder Schere – bearbeitet? Andere Bilder offenbaren ihre Machart und zeigen dadurch auch, welche Stärken analoge Fotografie hat, zum Beispiel bei teils aberwitzig großen Collagen. Schnappschüsse und ganz konventionell realisierte Fotos wechseln sich ab mit komplexen, fast skulpturalen Installationen. Es scheint, als ob die Limitierungen der Polaroid-Fotografie gleichzeitig großer Ansporn waren, sich kreativ mit dem Medium auseinanderzusetzen.

Ein Po in surrealen Farben

Neben dem Bildteil finden sich über das Buch verteilt mehrere Essays über Polaroid. Geschichtliches über die Entwicklung der Technologie lernt man hier ebenso wie die Bemühung von Polaroid, durch „Influencer“ diese Technik einer breiten Masse attraktiv zu machen. 1978 besaß Polaroid einen Marktanteil von 27 % am amerikanischen Markt für Filme – eindrücklicher kann man kaum belegen, wie erfolgreich das Unternehmen in seiner Blütezeit in den 70er und 80er Jahren war.

Doch der Bogen wird selbst zu sozialen Netzen wie Instagram gespannt. Gerade die preisgünstigen Modelle wie die „One Step“ waren auch bei Familien beliebt und wer unterwegs andere Polaroid-Fotograf*innen traf, hatte eine Gemeinsamkeit, für die man sich begeistern konnte, und mit den sich sofort entwickelnden Bildern konnte man gemeinsame Erinnerungen mit nach Hause nehmen.

Eine Rasierklinge

Dieses spontane Schaffen von Erinnerungen ist auch ein wiederkehrendes Sujet in Filmen aus dieser Zeit, das so eben nur mit Sofortbildern zu realisieren war, und nicht mit der klassischen Fotografie. Erst die mobile Fotografie konnte dann im 21. Jahrhundert wieder ein vergleichbar verbindendes Erlebnis schaffen.

Es ist eine ironische Randnotiz, dass ein ikonisches Sofortbild im 1991 gedrehten Film „Terminator“ gerade nicht mit einer Polaroid-Kamera, sondern mit einer Kodamatic-Kamera geschossen wurde. Kodak und Polaroid führten in der Folge einen längeren Rechtsstreit über die Urheberschaft der Kameratechnologie, den Polaroid am Ende für sich entscheiden konnte.

Ein tatowierter Rücken

Sehr spannend und informativ sind die Bildstrecken, in denen aktuelle Modelle und Prototypen der verschiedenen Polaroid-Kameras dargestellt werden. Gleichzeitig ist das aber auch genau der Abschnitt, der am meisten zu wünschen übrig lässt. Man erfährt leider weder umfassend, wie viele unterschiedliche Filmtypen und -formate es gab, noch werden alle Kameratypen eingeführt. Genau das hätte aber wesentlich besser erklärt, wie viele der Fotos im Buch entstanden sind. Andererseits veranlasst genau das interessierte Leser*innen, sich intensiver mit dem Thema zu befassen.

Eine Zeitachse, die von der Erfindung der Sofortbild-Fotografie durch Edwin Land bis heute reicht, vergegenwärtigt Aufstieg und Niedergang dieses spannenden Zweigs der analogen Fotografie. Die Behauptung eines der Essayisten im Buch, dass die Polaroid-Fotografie nun in der Zombiephase angelangt sei, ein lebender Toter, der durch Archäolog*innen und Enthusiast*innen am Leben gehalten wird, ist freilich gewagt. Denn neben dem „Impossible Project“, das sicher eher ein Nischendasein führt, konnte gerade Fuji mit der Instax-Serie ein breites, junges Publikum finden und auch Leica findet mit der „Sofort“ ein eher älteres, nostalgisches, dafür aber zahlungskräftiges Klientel.

Nicht zuletzt dank Preisen von ca. einem Euro pro Bild wird die Sofortbild-Kamera sicher nicht die „Immer dabei“-Kamera sein. Aber der Faszination, wie sich aus einer einfarbigen Fläche ein erst blasses und dann sehr farbkräftiges Bild entwickelt, kann man sich nur schwer entziehen, das Bild ist anfassbar und hat daher einen höheren „Gefühls“-Wert.

Für alle, die sich einen umfassenden Einstieg und Überblick in diese Sparte der Fotografie wünschen, ist „Das Polaroid-Projekt“ eine empfehlenswerte Investition. Der Hardcover-Band mit Umschlag ist wertig, deutlich schwerer als ein Kilogramm und daher in jeder Hinsicht kein Leichtgewicht. Und am Ende verspürt man den Drang, sich doch wieder Filme für die ungenutzt im Schrank liegende Sofortbildkamera zu organisieren oder eines der günstig am Flohmarkt angebotenen Exemplare zu ersteigern.

Buch Cover

Informationen zum Buch

Das Polaroid-Projekt – Die Eroberung durch die Kunst
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden mit Schutzumschlag
Seiten: 288
Maße: 23 x 27,5 cm
Verlag: Hirmer
Preis: 49,90 €

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