Instagram hat nichts mit Fotografie zu tun?
Mein erstes Mal fand an einem Donnerstag in Berlin statt, vorletzte Woche. Mein erster Instawalk. Eine neue und bereichernde Erfahrung im Zusammenhang mit dem Umgang mit Bildern und den neuen Medien. Wobei „neu“ wohl in diesem Sinne nur für mich zählt, da Instagram für viele ja bereits altbekannt ist und seit der Veröffentlichung 2010 eifrig genutzt wird.
Nur ich hinke zeitlich ein wenig hinterher. Unterwegs waren wir mit 16 Instagrammer*innen, die sich selbst gar nicht unbedingt als Fotograf*innen bezeichnen. Begriffe wie „mobile photographer“ oder „Content Creator“ fielen eher, einige betiteln ihren Stream mit offenen Begriffszusammenhängen wie zum Beispiel „visual Berlin“ oder ähnlichen Ausdrücken.
Im Gedächtnis geblieben sind mir von diesem Spaziergang einige Bilder, Erinnerungen und auch eine Menge neuer, offener Fragen und Erkenntnisse zu Instagram. Um meiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen und vielleicht auch, um meine eigene Perspektive und Feldforschung auf einen/diesen Instawalk von Euch wieder demontiert zu wissen, schreibe ich hier nun meine Sichtweise auf die Veranstaltung und meine Eindrücke zum „Instawalk“ auf.
Thema das Instawalks war #moskauberlin, initiiert vom Verlag Hatje Cantz anlässlich eines erschienen Fotobuchs von Sandra Ratkovic mit dem Titel
Moskau Moscow Москва , das sie in Art eines wiederkehrenden Ein-Personen-Fotospaziergangs in Moskau fotografiert hatte. Die Nähe zum Instawalk als Fotospaziergang bot sich also als Überbau an.
Es wurden verschiedene Orte in Berlin angelaufen, die mit Russland in Zusammenhang stehen. Exemplarisch nennen möchte ich hier den russischen Supermarkt Kasatschok, das – nicht nur – russische Theater P.A.N.D.A, das vom Künstler des berühmten Bruderkuss-Bildes Dmitri Wrubel geleitet wird, und das Ernst-Thälmann-Denkmal im gleichnamigen Park. Dem Instawalk ging eine intensive Vorarbeit voraus: Planung, Routenentwicklung und eine gemeinsame vorherige Erkundung der Route durch die Initiator*innen Hatje Cantz, Sandra Ratkovic und kwerfeldein.
Vorweg sei in aller Kürze gesagt, dass ich aus der analogen Riege komme. Erste Schwarzweiß-Dunkelkammer mit 14 Jahren, nun Studium der Fotografie an einer Universität, die einen starken Fokus auf analoge Technologien im Rahmen des Studiums legt, lange Zeit absolut unbedarft am Smartphone aktiv – Knöpfe drücken ohne Sinn und Verstand – und zudem, ebenfalls gefühlt ewig, eine Fotografin mit persönlicher Verweigerung der fotografischen Aktivität über Apps.
Zwar hat sich nun auch die digitale Fotografie schon seit Längerem bei mir eingeschlichen, doch die Art und Weise der Bildverteilung und Bereit- bzw. Zurschaustellung und Handhabung im wahrsten Sinne des Wortes gehe ich eher klassisch, langsam an.
Handabzüge, Drucke, gerahmte Bilder oder liebevoll handgebundene Fotobücher – hier bewege ich mich, dies kenne ich, alles andere verfolge ich bisher nicht mit vollem Ernst für meine eigenen Arbeiten. Physische Objekte, Fotos, die auf Tischen hin und her geschoben werden, um die bestmöglichen Kombinationen zu finden, Bildbesprechungen, in denen es durchaus länger als einen Moment um ein einzelnes Bild gehen kann, sind mein Alltag.
Ich denke, dass die Nutzung von Apps viel mit der Fotografie macht und vor allem auch mit der Art und Weise, wie wir Bilder wahrnehmen und betrachten (lernen). Für die einen ist mein Weg zur Fotografie der über-akademisierte Umgang mit Fotografien. Es wird durchaus auch gern als Über-Interpretation verschrien; ein ewiger „Teufelstanz“ zwischen studierten, gelernten und autodidaktischen Fotografieschaffenden.
Nun fiel im Laufe des Instawalks die Aussage, dass Instagram im Zusammenhang mit der Fotografie „Anarchie“ bedeute. Jeder kann teilhaben – vorausgesetzt, man hat eine Kamera oder ein Smartphone. Doch was passiert mit den Bildern im Zuge dieser „Anarchie“? Absolute Befreiung der Bilder(sprache)? Loslösung aller gängigen Konventionen zugunsten von etwas,… nun ja, von was denn genau?
Meiner Beobachtung nach wird Instagram fotografisch bzw. bildnerisch sehr unterschiedlich verwendet. Da gibt es Personen, die nutzen die App, um bereits vorhandene Arbeiten in der Art eines Portfolios zusammenzustellen, einen Überblick zu verschaffen für mögliche Interessent*innen. Dies geschieht ohne viele „supporting hashtags“. Eine andere Gruppe vermarktet die Bilder durch gezieltes Setzen von Schlagwörtern, um von einem Magazin oder einer Webseite vorgestellt zu werden.
Wieder andere verdienen ihr Geld durch Product Placement und gezielte Werbung oder Sponsoring auf Instagram, reisen dafür sogar um den Erdball. Eine – wie ich persönlich finde – gefährliche Art der Werbung, da es sich wie mit dem Schaf im Wolfspelz verhält: Man erkennt sie nicht mehr.
Wo ist nun der Zusammenhang zwischen all dem, was zwischen den Einsen und Nullen der digitalen Welt auf Instagram geschieht und der Fotografie als Gegenstand, wie ich sie kennengelernt habe?
Dafür ein kleiner Rückblick: Lange Zeit schwankte ich selbst zwischen der Entscheidung einer handwerklichen Fotografenlehre und einem Studium – wollte ich mehr Handwerk oder Theorie? Bildpraktik oder Bildwissenschaft? Oder ging es einfach um das Fotografieren an sich? Viele Herangehensweisen an Fotografien wären heute vielleicht anders in meinem Denken verankert, hätte ich das Studium nicht für mich auserkoren.
Nun versuche ich mehr und mehr hinter die Bilder zu schauen, Fotografie nicht als reine Abbildung von Oberflächen zu begreifen – da widerspricht mir persönlich die schnelle Art von Instagram, das „Swipen“ und „Liken“. Mir fehlt die hintergründige und inhaltliche Auseinandersetzung am Bild.
Selbst mein Versuch, Emojis als eine neue Textform am Bild zu lesen, ist für mich persönlich ungenügend. Oder aber – um eine weitere Aussage aus dem Kreise der teilnehmenden Instagrammer*innen zu thematisieren – Fotografie hat mit Instagram vielleicht gar nichts zu tun?
Es fielen viele Begriffe, die für Instagrammer*innen vermutlich Alltag bedeuten, die jedoch nicht eindeutig fotografisch zuzuordnen sind: Content, Reichweite, Ads (Werbung), Stream, Follower… viele waren mit digitalen Spiegelreflexkameras vor Ort, das Austauschen technischer Daten, wie man es aus Fotokreisen kennt, gehörte durchaus auch zum Gespräch. Es wurde jedoch erstaunlich wenig über Bilder an sich gesprochen – zumal sie ja auch nur fotografiert wurden. Noch nicht fertig waren. Nicht vorbereitet wurden vor Ort für einen unmittelbaren Post.
Das ausgeklügelte Posting-System, das alle ein wenig anders handhaben, scheint beinahe mehr mit Zeitmanagement und Reichweite als mit Bildern zu tun zu haben. Ein Bild pro Tag, zu einer bestimmten Zeit, passend im Stream angeordnet, in der Bildsprache, die der jeweilige Stream für sich etabliert hat.
Es geht also scheinbar immer um Einzelbilder, die sich jedoch einfügen müssen in ein großes Ganzes (Stream/Grid), die „optisch funktionieren“, jedoch nicht zwingend eine Serie ergeben müssen oder jemals in anderer Form als auf dem Account sichtbar werden. Bilder auf Instagram sind somit sozusagen lebende Tote: Nie ganz da – aber auch schnell aus dem Blickfeld verschwunden, sobald neue Bilder nachrücken.
Ist das die Zukunft der Fotografie? Bilder, die gar nicht mehr in einer (be)greifbaren Form existieren, sondern ihr Leben im Schattendasein der immer wieder nachfolgenden Bilder verbringen?
Für eine endgültige Prognose ist es vermutlich noch zu früh – doch ich bin schon sehr gespannt, wie ich mit 85 Jahren auf diese Zeit zurück blicken werde. Ich denke, vorerst ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein und reflektiert mit diesen Medien der Bilddistribution umzugehen, wohlwissend, dass ein Bild auf Instagram sich in irgendeiner Form verhält: Es folgt seinem eigenen Weg, unaufhaltsam, vorgegeben durch den Aufbau der App und unsichtbare Regeln hinter dieser.
Erstaunt war ich über die Zusammensetzung der Gruppe: Menschen, die sich ohne ihr gemeinsames Interesse für Instagram vielleicht nie kennengelernt hätten – was ich als sehr positiv erachte. Eine bunte Mischung aus unterschiedlichsten Bereichen und Altersgruppen verbringt dadurch gemeinsame Zeit. Vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig, dass es dann nicht vorrangig um Fotografie geht, vielleicht ist das auch nur meine eigene Erwartung an einen Instawalk?
Und wenn ich ehrlich bin, wenn ich mit anderen fotografieren gehe, reden wir auch nicht nur über das jeweilige Bild – wir behandeln vielleicht nur das Endprodukt anders. Ich bin gespannt auf Eure Ansichten zum Thema! Über einen regen Austausch in den Kommentaren wäre ich sehr erfreut.
Dieser Beitrag ist zuerst beim fotoblog von Hatje Cantz erschienen.