Zwischen Kreativität und Perfektionismus
Achtung, es folgt eine Provokation. In erster Linie provoziere ich mich selbst, aber das mag daran liegen, dass ich gerade anfällig dafür bin. Auf der Suche danach, was ich fotografisch eigentlich will, hatte sich zwischen Fragen nach Bildstil, Genre, Philosophie und Technik eine Menge an Frustration angestaut. Das mag jetzt nach chronischer Unzufriedenheit klingen, aber das ist es nicht. Es ist eher das Bedürfnis innerhalb des eigenen Schaffens, relevant zu sein.
Das ist natürlich ein großes Wort: Relevant. Und es wirft viele weitere Fragen auf. Relevant für wen? In welcher Zeit? Aus welcher Intention heraus? Durch welche Medien? Die Liste ist lang. Irgendwann zwischen solchen wirren Gedankengängen hatte ich dann eine digitale Begegnung mit einem Schulbusfahrer aus New York, die mir subjektiv irgendwie besonders vorkam.
Auf Flickr bin ich, mit eben erwähnten Überlegungen im Hinterkopf, über die Bilder von Kenneth Vogelsberg gestolpert. Bei der Flut an Bildern, die täglich auf verschiedenen Kanälen über mich herein bricht, verwunderte es mich, dass mein Blick an seinen Bildern hängen blieb. Aus fotografischer Sicht fand ich nämlich nichts, womit ich die scheinbar vorhandene Anziehungskraft hätte erklären können.
Diese Verwunderung führte nunmehr dazu, dass ich den Bildern länger Aufmerksamkeit schenkte, einzelne herauspickte, analysierte, das spärlich ausgefüllte Profil las und das Bild des Fotografen näher betrachtete. Wirkt das Ganze auf mich skurril oder kann man es schon exzentrisch nennen? Irgendwann war ich wieder bei einem großen Wort angelangt, das mir geeignet vorkam, zu beschreiben, was ich an diesen Bildern fand: Authentizität.
Vom griechischen „authentikós“ abstammend, meint es soviel wie „echt“, „glaubwürdig“, umgangssprachlich auch mit „Originalität“ verbunden. Damit war ich dann auch wieder bei meinen Gedanken zur Relevanz angelangt. Denn Authentizität zählt für mich durchaus zu wichtigen Merkmalen, die etwas relevant werden lassen. Authentizität ist außerdem etwas, um das ich bei jedem Gebrauch der Kamera ringe.
Auf der Gegenseite steht die Reproduktion. Natürlich lassen sich keine klaren Grenzen zwischen Inspiration und Reproduktion ziehen, sofern man sich von der Arbeit anderer inspirieren lässt. Jedoch scheint die perfekte Reproduktion dessen, was als qualitativ gute Fotografie durchgeht, ein Konzept zu sein, das beinahe dem Alleinanspruch auf Seelenheil der katholischen Kirche nahe kommt.
Ich habe mich schon vor einiger Zeit aus einer der großen Foto-Plattformen zurückgezogen, weil ich gelangweilt war vom Streben nach technischer Perfektion. Das klingt jetzt ziemlich arrogant, aber das war nun einmal mein Beweggrund. Ich konnte einfach keine HDR-Aufnahmen, Langzeitbelichtungen und perfekt ausgeleuchtete Ringblitz-Studiofotos von Frauen in Unterwäsche mehr sehen. Zwar braucht sich niemand für persönlichen Geschmack zu rechtfertigen, ich möchte aber an dieser Stelle dennoch sagen, dass ich mit diesen vollkommen subjektiven Aussagen niemanden angreifen will.
Zurück zu Kenneth Vogelsberg. Trotz der täglichen Bilderflut bin ich immer noch so grün hinter den Ohren, dass ich ständig auf Fotografen stoße, deren Arbeit mich verblüfft, fasziniert, bewegt und inspiriert. Kenneth Vogelsberg ist keiner davon, aber er hat es geschafft, dass ich ebenso viel Zeit mit dem Betrachten seiner Bilder verbrachte wie mit dem Durchblättern eines schicken Hochglanz-Bildbandes. Und irgendwann fand mein ungeübtes Auge auch Gründe dafür.
Ein mögliches, weit verbreitetes Kriterium dafür, wie jemand ein Motiv auswählt, das fotografiert werden soll, ist Schönheit. Menschen fotografieren Dinge, die sie schön finden. Zwar hat sich die Fotografie seit ihren Anfängen ein Stück weit von dieser Herangehensweise emanzipiert und neben dieser eine Vielzahl weiterer Ansätze entwickelt.
Jedoch scheint mir die Fotografie, die mich so langweilt und enttäuscht, eben dieses Prinzip, um den Anspruch der Perfektion erweitert, konsequent durchzuexerzieren. Ich habe grundsätzlich nichts gegen technische Perfektion und lese selbst dauernd Tests über irgendwelche Konsumgüter, die mich scheinbar meine Ideen besser umsetzen lassen sollen.
Kürzt man aber die Kreativität aus der Gleichung raus, so erhält man die heutzutage weit verbreitete Formel „Reproduktion + technische Perfektion = hohe Qualität“. Es fliegen einem als Fotograf, der diese Formel in fotografischer Regeltreue befolgt, erbauende Mengen an virtuellen Herzchen und Sternchen zu, aber nach der Persönlichkeit in der Colorkey-Erdbeere, die man sich vom gewonnenen Print-Gutschein auf Acrylglas hat drucken lassen, sucht man vergebens.
Bevor ich nun Drohbriefe von Colorkey-Print-Besitzern bekomme, möchte ich nochmals sagen, dass man diese Ansichten absolut nicht teilen muss. Ich sehe das nun einmal so und versuche, mich dabei auch an die eigene Nase zu packen.
Vielleicht lassen sich all diese Überlegungen auch einfach darauf zurück führen, dass mit mir etwas nicht stimmt, aber ich fasse jede Einladung einer Stock-Foto-Seite, die in meinem Postfach landet, als negative Kritik auf. Das mag wieder schrecklich überheblich klingen, aber ich denke, wenn ich mir in meiner Fotografie ein Ziel stecken will, muss ich Prioritäten setzen. Und das bedeutet auch, zu wissen, was ich nicht will.
Die ständige Reproduktion von perfekt ausgeleuchteten Portraits, beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und poetischen Bildergeschichten, der ich, trotz Ringen, dauernd verfalle, kommt in meinen Augen nicht an die Authentizität der Aufnahmen heran, die Kenneth Vogelsberg scheinbar nebenbei in seinem Alltag produziert.
Ich entdecke in seinen Bildern einen Blick für Licht und Schatten, für absurde Situationskomik, für Linien und Spiegelungen, die ich in so manchem Gewinnerfoto eines Foto-Wettbewerbs ebenso vermisse wie in meinen eigenen Arbeiten, die oftmals auch nur gern das wären, was ich bei anderen bestaune.
Diese Faszination mag daher kommen, dass seine Kompositionen außerhalb meines Erfahrungsbereichs liegen, aber vielleicht ist es auch gerade der ehrliche Blick auf die Dinge, die er zeigen möchte. Keine romantisierten Blumenkränze, sondern ein selektiver, offener Einblick in die Welt, wie er sie sieht.
Die Tatsache, dass eine (im konventionellen Sinn) technisch fehlerhafte Fotografie gefühlsmäßig wirksamer sein kann als ein technisch fehlerloses Bild, wird auf jene schockierend wirken, die naiv genug sind, zu glauben, dass technische Perfektion den wahren Wert eines Fotos ausmacht.
Andreas Feininger –
In meiner fotografischen Pubertät mag das gerade eine Phase sein, in der ich diese Schnappschüsse interessanter finde als jene auf Hochglanz nachbearbeiteten Bilder, die viel Lob ernten, in ihrem Kern aber nur die banale Reproduktion eines Erfolgsrezepts sind.
Auf das Wesentliche reduziert wünsche ich mir mehr Elemente eines Kenneth Vogelsberg in der fotografischen Welt, anstatt der ständigen Reproduktion von Motiven, die so auch in der Bilderrahmen-Abteilung eines Möbelhauses hängen könnten. Das ist in Sachen Authentizität alles andere als ein Qualitätsmerkmal, egal wie viele Tutorials zur Belichtung und Bearbeitung nötig waren.
Ich mag Tutorials und lerne gern von Menschen, die etwas von ihrem Können und Wissen weitergeben wollen. Dazu zählt auch, Erfolgsrezepte und Möglichkeiten auszuprobieren, die einem die Fotografie bietet. Irgendwie muss man sich ja auf den Weg begeben. Ich habe deshalb auch eine Liste mit Dingen, die ich gern einmal ausprobieren und nachmachen möchte. Nach meinem Verständnis sollte sich aber daraus ein eigener Weg abzeichnen.
Ich liebe es, durch andere inspiriert zu werden und führe eine lange Liste von Bildern und Künstlern, denen ich nacheifere. Dieser gedankliche Prozess ist keineswegs abgeschlossen. Gerade am Punkt der Relevanz werde ich sicher noch länger verweilen. Momentan denke ich, ein Bild ist relevant – für den Künstler, den Betrachter oder beide – wenn es seinen Zweck erfüllt. Wenn es vermittelt, was es vermitteln soll. Auch die Colorkey-Erdbeere hat so ihre Berechtigung, auf Servietten oder Obstkörbchen vielleicht.