23. November 2013 Lesezeit: ~11 Minuten

Lomography Belair: Das seriöse Spielzeug

Als im letzten Dezember die Lomography Belair X 6-12 angekündigt wurde, herrschte in gewissen Kreisen eine kribbelige Aufregung. Zugegeben, man weiß bei lomografischen Kameras nie genau, was einen erwartet und wie der Balanceakt zwischen Plastiktrash und charmanten Effekten ausfällt, aber der Gedanke an Mittelformatfotos im Breitbildformat von 6×12 hat mich auch sofort gereizt.

Während ich noch ein paar Monate auf die Gelegenheit warten musste, eine Belair für kwerfeldein testen zu können, stapelten sich in der Lomography Community die nur mäßig begeisterten Reviews. Dass viele der Plastikknipsen ihre speziellen Eigenheiten haben, kennt man ja schon, aber bei dem stolzen Preis hatten die meisten etwas anderes erwartet.

Wobei sie neben einer dem Preis entsprechenden Qualität wohl vor allem eins erwartet haben: Dass auch die Belair wieder ein Schätzchen für den totsicheren Schuss im Vorbeigehen und aus der Hüfte ist. Aber weit gefehlt, denn riesiges Mittelformat heißt vor allem auch, dass der Schärfebereich selbst bei – im Vergleich zum Kleinbild – totsicheren Blenden von f/8 und aufwärts ziemlich schmal ist.

© Aileen Wessely© Aileen Wessely

Vor allem die Frage, wie man unter diesen Umständen sinnvoll fokussieren kann, treibt seitdem die Belair-Besitzer um, die trotz dieser Schwierigkeit und anderen technischen – nennen wir es mal: – Unzulänglichkeiten einfach nicht die Finger von ihr lassen können.

Durch diese Berichte, die ersten veröffentlichten Tipps und Tricks sowie meinen eigenen Erfahrungen mit der Kodak Junior, die ähnlich schwer zu fokussieren ist, war ich also schon vorgewarnt, als die lang erwartete Belair endlich zum Testen bei mir eintraf.

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Ursprünglich hatte ich die Idee, den ersten Film ganz naiv zu belichten, als wüsste ich von nichts. Da ich aber wie gesagt nicht ohne auch praktische Vorkenntnisse war, warf ich die Idee über Bord, las fleißig Reviews und Tipster in der Lomography Community und setzte direkt einige davon beim ersten Testfilm um: Ein Pappschnipsel eingeklebt zur Vermeidung locker aufgewickelter Filme und eine Entfernungskarte zum Fokussieren, angepasst auf meine persönliche Armlänge und Augenabstand.

Letztere funktioniert sehr gut, wenn man sie unter den gleichen Bedingungen herstellt wie man sie auch einsetzt. Ich hatte leider zuhause im T-Shirt gemessen und stellte unterwegs mit Jacke und Rucksack auf dem Rücken fest, dass meine ausgestreckten Arme nun näher am Körper waren. Aber deswegen heißt es ja auch „Testfilm“.

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Als größeres Problem identifizierte ich nach der Entwicklung des ersten Films den Parallaxenfehler des Suchers. Da ich bisher fast ausschließlich mit Spiegelreflexkameras gearbeitet habe, war für mich neu, was viele andere sicher schon von ihren Kameras kennen. Ich musste also erst ein Bauchgefühl dafür entwickeln, bei welcher Entfernung ich den Aufnahmewinkel wie stark korrigieren muss, damit die abgebildeten Objekte oben nicht angeschnitten werden und unten nicht mehr als gewünscht zu sehen ist.

Davon abgesehen war ich mit den Bildern des ersten Films (inklusive unbeabsichtigter Doppelbelichtung) soweit zufrieden. Also nahm ich die Belair für ein Wochenende nach Utrecht mit und ging direkt zum Panoramaformat 6×12 über. Das Format 6×9 kenne ich schon von meiner Kodak Junior und mit dem altbekannten Seitenformat 2:3 finde ich es am wenigsten spannend.

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Den zweiten Film (im Panoramaformat nur sechs Bilder!) füllte ich am Samstag, aber ich hatte nur wenig Zeit und meine Stimmung war mittelmäßig, was man der Motivwahl und den Ergebnissen ansieht. Zum Glück war das dank des tollen Wetters am Sonntag anders und so konnte die Belair an der Oudegracht zeigen, was sie kann.

Besonders für Panoramen im Hochformat finde ich das Format großartig, erst recht im Zusammenspiel mit den am Mittelformat schön weitwinkligen 58mm einer der zwei verfügbaren Brennweiten. Neben dem auszugleichenden Parallaxenfehler muss man aber auch darauf achten, den Bildausschnitt im Sucher nicht zu knapp zu komponieren. Er zeigt nach links und rechts wohl etwas mehr als dann tatsächlich auf dem Film landet.

© Aileen Wessely© Aileen Wessely
© Aileen Wessely© Aileen Wessely

Nachdem ich mit den Eigenheiten der Belair halbwegs vertraut zu sein schien, entwickelten sich beinahe automatisch Ideen für konzeptuellere Kleinserien im Format 2:1 in meinem Kopf. Das extreme Format schien mir förmlich nach Architektur, nach strenger Bildaufteilung, Symmetrie zu schreien. Aber auch Landschaften schienen mir passend.

Also zog ich los und klapperte für einen Film einige U-Bahnhöfe und für einen anderen den nahegelegenen Stadtwald ab, um Langzeitbelichtungen zu machen. Das Problem mag auch gewesen sein, dass ich weder den richtigen Dreh raus hatte, um die Menschenmassen in amorphe Ungetüme zu verwandeln, noch dass sich im Wald ein Lüftchen regte, das an überhaupt einem Ast gezerrt hätte.

© Aileen Wessely

Die größeren Probleme beim Betrachten der Bilder waren dann aber erneut der Parallaxenfehler, der all meine Symmetrieversuche vereitelte und die eher mäßige Eignung der Belair für Langzeitbelichtungen aufgrund ihrer Verarbeitung. Da sich der Auslöser am ausgezogenen Verschluss befindet, wackelt die ganze Kamera bei der Betätigung etwas. Das sieht man dann leider.

Passend zu den Wechselobjektiven gibt es auch Wechselsucher. Durch einen Dreh um 90° wird der Sucher fixiert. Allerdings rastet er nicht fest ein, weshalb es mir immer wieder passiert ist, dass er nicht exakt gerade nach vorn ausgerichtet war. So kam auf einigen Bildern zum Parallaxenfehler verikal noch ein Schwenkfehler horizontal.

© Aileen Wessely© Aileen Wessely

Die Sache mit der Architektur, Symmetrie und durchkomponierter Bildaufteilung im schönen Format 2:1 ließ mich noch nicht los. Einen letzten Versuch unternahm ich hier: Doppelbelichtungen von jeweils dem gleichen Motiv, aber kopfherum. Natürlich wieder Parallaxenfehler auf unterschiedliche Entfernungen ausgleichen.

Letzteres gelingt mir einfach nicht so gut, wie es meine Motivideen bräuchten, auch wenn es besser wird. Dafür klappt das Schätzen der Entfernung immer besser, sodass die Schärfe nicht mehr so heftig daneben liegt wie bei meinen ersten Filmen.

© Aileen Wessely© Aileen Wessely

Inzwischen gibt es zwar auch ein fertiges 35mm-Back zu kaufen, mit dem man komfortabel Kleinbildfilme in der Belair belichten kann, aber bevor diese Möglichkeit bestand, kamen die ersten schon darauf, es mit Hilfe von etwas Pappe zu machen, die die Kleinbilddose im Inneren der Kamera an ihrem Platz hält.

Dazu noch etwas Pappe, die von außen das Zählfenster gegen einfallendes Licht schützt und vor dem Loslegen „Klicks zählen“, um nach Gehör in etwa die richtige Menge Film nach jeder Auslösung weiterzuspulen. Ich entschied mich für einen Diafilm, der nach Crossentwicklung einen grauen Träger bekommt und so für mich sehr einfach zu digitalisieren wäre.

© Aileen Wessely

In der folgenden Zeit trug ich die Belair zur Abwechslung eher im Alltag mit mir herum und hielt Ausschau nach Motiven, die farblich ansprechend und für das extreme Panoramaformat von 3:1 interessant sein könnten.

Zum auszugleichenden Parallaxenfehler und eventuell verdrehten Sucher kam nun noch die Herausforderung, mich im Sucher auf das mittlere Drittel zu konzentrieren, in dem etwa der Kleinbildfilm liegen würde. Ich hatte eigentlich gedacht, dass das nur schief gehen kann.

© Aileen Wessely

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Aber, Überraschung: Der Kleinbildfilm gehört zu meinen Belair-Filmen mit der besten Ausbeute. Klar, muss man mögen: Extremes Panoramaformat mit Sprockets, den Aufschriften am Filmrand und seltsamen Farben von der Cross-Entwicklung.

Aber bis auf wenige Aufnahmen sitzen der Bildausschnitt und die Schärfe. Ich kam also langsam wirklich in Fahrt. Das Gespür für die Belair entwickelte sich, der bisher immer wieder etwas vorhandene Frust wich mehr und mehr der Freude an den Ergebnissen, die zusehends funktionierten.

© Aileen Wessely

© Aileen Wessely

Zum Abschluss wollte ich noch ein ganz andersartiges Projekt mit der Belair umsetzen. Portraits sollten es werden und da ich nun einige Schwierigkeiten im Umgang mit ihr kannte, war klar, dass ich die Szene vor einem Stativ mit ausgemessener Entfernung aufbauen wollte.

Es durfte also ruhig in einem Zimmer sein, längere Belichtungen wären kein großes Problem. Nun keine strengen Linien mehr, sondern das Gegenprogramm: Zum verträumten Seitenlicht auch ein verträumtes Outfit und Styling sowie ums Objektiv etwas Folie für einen Wischiwaschi-Effekt ringsrum.

Die Idee, die mir hier erst kam, hätte ich früher vielleicht gut gebrauchen können, um dem Parallaxenfehler Herr zu werden: Vorm Einlegen des Filmes setzte ich eine milchige Plexiglasscheibe an die Rückseite der Belair, auf der sich nun (im Dunkeln, also Tuch drüber) das exakte Bild abzeichnet, wenn man die Blende öffnet. So konnte ich mein Modell X. also schön mittig im Bild ausrichten.

© Aileen Wessely© Aileen Wessely

Wenn ich mir also irgendwann eine eigene Belair kaufe – und ich bin geneigt – dann werde ich als erstes den Aufbau mit Stativ und Plexiglas wiederholen und mir mit einem für verschiedene Entfernungen abgemessenen Testaufbau die Abweichung zwischen Sucher und tatsächlichem Bild ansehen.

Damit sollte es möglich sein, sich Notizen zu machen, mit denen man unterwegs einen besseren Anhaltspunkt erhält, wie stark das Sucherbild abweichen muss, damit es passt. Also, Parallaxenfehler: Ha!

Belair X 6-12 Trailblazer © Lomography

Den Anblick der Belair habe ich Euch bisher vorenthalten: So kann sie aussehen. Aktuell sind die drei Modelle „City Slicker“, „Jetsetter“ und „Trailblazer“ lieferbar. Hier sehr Ihr letzteres.

Mein Fazit nach neun Filmen und viel Ausprobieren: Während das Prinzip des gekonnten Huftschusses auf einer Party bei vielen anderen lomografischen Spielzeugen ohne Zweifel funktioniert, muss die Belair sich deutlich anders einordnen und hängt so etwas zwischen zwei Stühlen.

Der Preis, die Bildanzahl pro Film, die schmale Schärfeebene und die recht lange kürzeste Belichtungszeit sprechen dafür, Aufnahmen genau zu planen und dabei möglichst auch ein Stativ zu verwenden. Andererseits zwingen einige Teile der Verarbeitung und technische Eigenheiten einen geradezu, zu tricksen, zu experimentieren und ein sehr speziell auf diese Kamera geeichtes Bauchgefühl zu entwickeln.

Geeignet scheint mir die Belair also vor allem für Menschen, die den Ehrgeiz, die Geduld und den Geldbeutel dafür aufbringen, diese kleine Zicke beherrschen zu lernen. Zugegeben, das ist eine wirklich überschaubare Zielgruppe, aber diese wird auf der Höhe der Lernkurve dann auch mit feinen Bildern belohnt.

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Lomography Belair X 6-12

Kameratyp: Ausziehbare Balgenkamera
Filmtyp: Mittelformat (120) im Format 6×6, 6×9 oder 6×12
Objektiv: Wechselobjektive 58mm und 90mm
Sucher: aufsteckbare Wechselsucher für 58mm und 90mm
Blende: f/8 oder f/16
Batterie: 2 x 1.5V (2 x LR44)
Modus: Zeitautomatik, ohne Batterie 1/125 s oder Bulb-Modus
Fokus: manueller Zonenfokus: 1 m, 1,5 m, 3 m und unendlich
ASA-Einstellung: manuell: 50, 100, 200, 400, 800, 1600
Filmtransport: manuell über Zählfenster
Blitz: Blitzschuh-Anschluss vorhanden
Stativanschluss: 1/4 ”
Lieferumfang: Kamera, zwei Objektive, zwei Sucher, drei Filmformatmasken
Preise: 249 € (City Slicker), 299 € (Jetsetter), 349 € (Trailblazer)
Zusatzausstattung: Belairgon-Objektive 90mm und 114mm, 35mm-Rückteil

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