kwerfeldein diskutiert: Wo fängt Bildbearbeitung an und wo hört sie auf?
Fehler beseitigen oder Dinge verändern? Die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung erlauben uns inzwischen weitreichende Veränderungen an dem Material, das unsere Kamera einfängt. Ganze Kunstgenres basieren auf digitaler Bearbeitung von Bild oder Filmmaterial, Fotomanipulationen taugen aber auch immer wieder für politische Skandale oder weitreichende Diskussionen über das konstruierte Schönheitsideal unserer Gesellschaft, dem nicht einmal die Modelle mehr entsprechen.
An welchem Punkt wird aus Retusche eigentlich Manipulation? Gibt es diesen Punkt überhaupt wirklich oder muss ihn jeder für sich finden? Die Grenzen sind seit jeher fließend und jeder hat eine Meinung dazu: Was geht noch? Was geht nicht mehr? Was ist der Unterschied zwischen einer Fotomanipulation und einem retuschierten Foto?
Lügen Fotos nie oder lügen sie im Gegenteil eigentlich immer und nur im manchen Fällen etwas weniger? Die kwerfeldein-Redaktion diskutiert darüber, was eigentlich Fotografie und was schon etwas anderes ist und warum Purismus vielleicht doch auch eine Option ist…
Martin: Fakt ist, dass jedes Genre in der Fotografie eigene – manchmal auch ungeschriebene – Regeln zum Umgang mit der Bildbearbeitung hat. Schauen wir in die Landschaftsfotografie, dann gehören HDRs schon fast zum Inventar, wohingegen die Straßenfotografie als solche weitläufig wesentlich dokumentarischer daherkommt und auch ausbrennende Lichter akzeptiert.
Dass es hier auch Ausnahmen gibt, die die Regel(n) bestätigen, möchte ich jedoch noch hinzufügen, denn es gibt hier keine Gesetze, sondern nur viel und weniger genutzte Möglichkeiten. Auch im Fotojournalismus wird die oben angeführte Diskussion viel energischer betrieben als beispielsweise in der Portraitfotografie, die eigentlich alles erlaubt.
So ist es schwierig, per se zu sagen: „das ist zu viel oder zu wenig nachberbeitet“, sondern meiner Meinung nach muss hier auch immer der fotografische und inhaltliche Kontext mitbeachtet werden.
Sebastian: Also grundsätzlich würde ich dem zustimmen, dann aber gleich mal die Frage stellen, ob man nicht genau diese Prinzipien komplett über den Haufen werden sollte oder sogar muss, wenn man kreativer sein will als der Rest. Du kennst ja auch die Streetportraits von Lee Jeffries, Martin. Stark nachbearbeitet, wenn auch auf eine Art, die das Bild an sich nicht verändert. Und genau mit dem dramatischen Effekt ist er extrem erfolgreich.
Das ist jetzt vielleicht ein Grenzfall, aber ich würde diese Regeln grundsätzlich für komplett wertlos erklären, vielleicht mit Ausnahme des Fotojournalismus, wo „Authentizität“ das wichtigste Merkmal ist. Wobei ich aber auch die Frage stellen würde, ob Fotografie überhaupt jemals authentisch in dem Sinne sein kann oder ob man mit Brennweite, Blende und Perspektive (geschweige denn das Raw fertigstellen, nachschärfen etc.) nicht auch schon die Realität verändert.
Martin: Natürlich. Ich glaube, dass der Realitätsanspruch auch überflüssig ist. Aber das Maß, in dem nach einer Aufnahme an einem Bild gedreht wird, ist für mich hier entscheidend.
Und ja, Lee Jeffries macht großartige Fotos, jedoch würde ich hier die Maxime gern in Richtung Portrait verschieben, denn für mich ist das keine Straßenfotografie, die Lee betreibt. Und im Bereich Portrait gelten ganz andere ungeschriebene Gesetze.
Und gerade bei ihm ist für mich persönlich nicht die Bildbearbeitung das, was heraussticht, sondern seine Nähe und Identifikation mit den Leuten, was auch in den Aufnahmen deutlich wird.
Und ich meine, dass es, um kreativ zu sein nicht zwingend erforderlich ist, Vorgaben zu brechen. Zumindest nicht in erster Linie. Klar ist das ein Teil der Selbstreflexion (was will ich tun, wo will ich hin), aber ich würde hier lieber das Augenmerk auf „was will ich“ legen als auf „was will ich nicht“.
Ich denke, dass die Bildbearbeitung immer ein Teil des fotografischen Prozesses ist – auch, wenn ein Mensch ganz drauf verzichtet. Wie viel Gewichtung dem beigemessen wird, hängt für mich damit zusammen, was ein Fotograf „sagen“ möchte.
Marit: Auf die Frage von Sebastian habe ich gewartet, denn mit ihr beschäftige ich mich schon so lange. Kann Fotografie überhaupt authentisch sein? Wir geben dem Bild ja schon einen Rahmen, blenden andere Menschen oder Begebenheiten bewusst aus. Hier fängt die Manipulation doch schon an.
Martins Frage „Was will ich sagen?“ ist also der Anfang der ganz eigenen Geschichte. Das Beispiel Straßenfotografie finde ich dabei ganz gut. Ich kann beobachten und festhalten, aber ich kann mit dem Bildausschnitt die Aussage auch bewusst verändern. Der Betrachter des Bildes weiß dann nicht, was außerhalb des Bildes noch gewesen ist, um die Realität der Situation zu erfassen. Der Fotograf manipuliert die Situation und somit auch den Betrachter.
Die Bildbearbeitung führt das weiter. Wenn die Frage ist, was erlaubt ist und was nicht, ist die Antwort: Alles ist erlaubt. Brenzlig wird es, wenn wir bewusst in die Irre geführt werden und uns etwas verkauft wird, was nicht so da ist. Als Beispiel führe ich hier die Beauty-Maschinerie an, in der uns eine Realtität verkauft wird, die so nicht existieren kann, aber ganze Generationen einem vernichtenden Selbsturteil überlässt.
Sebastian: Irgendwie lese ich bei Euch raus, dass es ungeschriebene Gesetze zur Bearbeitung für verschiedene Bereiche der Fotografie gibt. Ich beobachte das auch, dass zum Beispiel eine Form von Fotografie möglichst „authentisch“ (was immer das auch ist) gehalten werden soll, bei der anderen darf rumgebastelt werden, was das Zeug hält. Natürlich beobachte ich diese Gesetze auch und habe sie irgendwie „verinnerlicht“, aber die Frage wäre für mich: Woher kommt das eigentlich und was soll das?
Wenn ich mir so angucke, welche Bilder bei mir einen Eindruck hinterlassen, dann sind das oft ganz triviale Szenen. Was sie stark macht, sind Licht, Ausschnitt, Schwarzweißtechniken – also die „Aufhübschung“ der Realität über Komposition und natürlich auch Bearbeitung. Ein flaches Blitzbild von einem Blumengesteck und ein Schwarzweißstillleben mit schönem Schärfeverlauf: Zwei völlig unterschiedliche Welten. Und doch dasselbe Motiv.
Ich würde ableiten, dass eigentlich alles „bearbeitet“ ist. Was macht es also für das Bild für einen Unterschied, ob in einer Straßenszenerie Dinge verändert werden? Wenn ich zum Beispiel eine Person aus einer Mehrpersonenszene rausretuschiere, weil das Bild dann stärker wirkt: Ist das „unethisch“, weil es dann nicht mehr „echt“ ist? Es bleibt ja so oder so ein vom Fotografen konstruiertes Abbild der Realität, nicht die Realität.
Marit: Es ist der Anspruch, den ein Bild für sich beansprucht. Gehen wir doch mal ins Detail. Wer dokumentieren will, sollte eine Szene so belassen wie sie ist, nicht eingreifen. Er darf natürlich entscheiden, welchen Ausschnitt er wählt; er muss sogar entscheiden, welcher Ausschnitt die Situation so wiedergibt, wie er glaubt, sie selbst wahrzunehmen. In der Bearbeitung kann er angreifen, aber es muss im Verhältnis zum dokumentarischen Charakter stehen. Das Rausretuschieren einer Personen aus solch einer Szene wäre für mich ein No-Go.
Aileen: Man muss ja nicht einmal so weit gehen, etwas raus oder hinein zu retuschieren. Aktuell* wird beispielsweise der diesjährige Gewinner des World Press Photo diskutiert.
* Wir haben unsere Diskussion bereits im Februar begonnen.
Dabei geht es wohlgemerkt nur um eine leichte Veränderung der Tonung, die aber als so dramatisch empfunden wird, dass sie vielleicht das Urteil der Jury beeinflusst hat. Und damit überhaupt die allgemeine Wahrnehmung aller Betrachter.
Marit: Die Diskussion um dieses Bild finde ich affig. Da müsste man dann auch darüber diskutieren, ob Schwarzweiß-Fotografie überhaupt für Dokumentarbilder eingesetzt werden darf, denn dort ist die Wirkung und somit die Wahrnehmung eine andere.
Martin: Wir sprechen hier die ganze Zeit von Realität und „echt“ und die Frage geht für mich auch ein wenig darauf zurück: Wie wollen wir Abschattungen oder Variationen der Realität besprechen, wenn immer noch diese Frage im Raum ist? Sie scheint mir ein fester Begriff zu sein, als ob wir die Realität anfassen, malen und definieren könnten. Aber wie wollen wir bestimmen, was näher an oder weiter weg von der Realität ist, wenn diese selbst so abstrakt ist? Schwierig. Denn niemand kann sagen: So war es und nicht anders.
Michael: Ja, die Realität, wie soll man sie überhaupt fotografisch einfangen? Für mich gehört da mehr dazu, als nur das Gesehene zu dokumentieren. Wir erleben unserer Umwelt ja auch mit all unseren Sinnen – wenn wir nicht gerade Schnupfen haben und kaum etwas riechen. Zudem ist die Wahrnehmung von Person zu Person unterschiedlich.
Deshalb finde ich es auch gar nicht verwunderlich, dass bei der Bearbeitung von Fotos die Ergebnisse so stark auseinander gehen. Der eine versucht, mit der Bildbearbeitung etwas von seinen Gefühlen mit einfließen zu lassen, der nächste möchte einfach nur, dass es dramatischer aussieht, weil es ihm so besser gefällt und wieder ein anderer hat sich vor Ort genaue Notizen gemacht und versucht nun in der Bildbearbeitung, seine Realität möglichst genau wiederzugeben. Auch gibt es Fotografen, die Fotos bearbeiten, weil es vom Auftraggeber so erwartet wird.
Wenn man nicht verstanden hat, was der Fotograf mit der jeweiligen Bearbeitung bezwecken möchte, sollte man sie auch nicht kritisieren. Das ist es, was mich am meisten nervt. Immer wieder wird rumgenörgelt an bearbeiteten Fotos. Die meisten Nörgler verstehen nicht einmal, worum es dem Fotografen geht. Für mich ist Fotografie eine Kunstform und somit ist ein Foto erst einmal nicht an irgendeine Realität gebunden. Ich versuche trotzdem, meiner Realität nahezukommen und habe selbst ein paar Richtlinien, was in der Bearbeitung für mich erlaubt ist und was nicht. Aber das gilt für meine Fotos und was ein anderer Fotograf für Richtlinien hat, ist seine Sache.
Was am Ende zählt, ist doch das Ergebnis. Wenn das gefällt, ist mir eigentlich egal, wie stark es bearbeitet wurde. Wenn ich selbst nörgle, dann vielleicht mal an der Qualität der Bearbeitung. Das ist auch ein Bereich, in dem ich selbst für Kritik empfänglich bin.
Um noch einmal auf den Anspruch, den ein Bild für sich beansprucht, zurückzukommen: Möchte man dokumentieren, hat man wohl andere Richtlinien für die Bearbeitung der eigenen Fotos. Erzählt man zudem den Menschen, die Fotos dokumentieren die Wirklichkeit und sind kaum bearbeitet, dann muss man sich wohl auch an allgemeine Regeln halten.
Ein Problem ist hier meiner Meinung nach fehlende Ehrlichkeit. Wenn versucht wird, ein bearbeitetes Foto der Masse als unbearbeitet zu verkaufen, leidet die Glaubwürdigkeit. Bei Fotowettbewerben war das im letzten Jahr leider einige Male der Fall. Meist, weil die Wettbewerbsbedingungen nicht richtig gelesen wurden. Wobei ich die oben angesprochene Diskussion auch etwas lächerlich finde. In diesem Genre gibt es sehr starke Meinungen, was erlaubt ist und was nicht.
Aileen: Mir scheint fast, dass wir uns alle ziemlich einig sind, dass man sehr viel machen kann und in den meisten Genres auch darf. Ich frage mich dann: Warum ist das Thema trotz allem noch so brisant? Wo wird es Eurem Gefühl nach brenzlig und warum eigentlich?
Sebastian: Ich glaube, das Thema ist einfach deswegen so brisant und kommt immer wieder, weil die Fotografie in der Hinsicht so ein besonderes Medium ist. In allen anderen Kunstrichtungen würde diese Frage ja nicht wirklich in der Form auftauchen, da gehört subjektive Wahrnehmung und Darstellung meistens dazu – sogar in journalistischen Textreportagen ist es die Sprache und die Wahrnehmung des Autors, die alles ausmacht. Aber dadurch, dass Fotografie vermeintlich „objektiv“ sein kann, taucht immer wieder auf, ob sie es auch sein muss oder soll. Das macht für mich auch den Reiz aus, darüber in verschiedenen Kontexten nachzudenken.
Was Wettbewerbe angeht, verstehe ich aber, warum es da immer wieder solche Skandälchen gibt. Die Wettbewerbe machen halt ihre Regeln und das hat dann irgendwie mit Chancengleichheit zu tun, um die Bilder besser gegeneinander zu stellen. In dem Fall ist zu starke Manipulation ja ein bisschen wie Doping – zumindest, wenn man sich mal anguckt, was so richtig gute Bildbearbeiter manchmal aus Fotos rausholen können.
Martin: Wir müssen uns eben auch darüber im Klaren sein, dass Fotos nicht nur dort existieren, wo sie von Fotografen als „Fotografie“ diskutiert und definiert werden. Fotos durchziehen die gesamte Print- und Onlinelandschaft und einen nicht wegzudenkenden Teil der journalistischen Berichterstattung. Außerdem sind sämtliche Social-Media Kanäle durchspült von Bildern.
Die Gesellschaft dokumentiert sich zunehmend selbst und das ganz ohne fotografischen Anspruch. Der einzige Anspruch, der hier gilt, ist: Dokumentieren.
Und somit ist die Fotografie ein Mittel, das in großen Teilen überhaupt keinen künstlerischen, sondern eher einen Wahrheitsanspruch inne hat, auch wenn das so keineswegs artikuliert wird. Ein Titelbild auf Spiegel Online? Wird schon so stimmen.
Hoffen wir’s. Und all das wirkt auch in die Diskussionen unterschwellig hinein, die von Fotografinnen und Fotografen geführt werden. Denn wir schreiben uns schließlich auf die Fahnen, das Mittel Fotografie zu beherrschen.
Marit: Nach all den facettenreichen Ansichten wird klar, dass man das Thema nicht so einfach betrachten kann. Es hängt immer davon ab, in welche Sparte wir ein mit digitalen Sensoren oder auf Film aufgezeichnetes Bild einordnen. Ob, wie Martin sagt, als Dokumentation oder, wie Michael es benennt, als emotionales Landschaftsportrait oder, wie Sebastian es andeutet, das Foto als Ausgangspunkt für Fotomanipulationen.
Aileen: Hattet Ihr selbst denn schon einmal bei eigenen oder fremden Bildern das Gefühl, dass eine Bearbeitungsgrenze überschritten wurde oder Ihr dabei wart, eine zu überschreiten?
Bei mir war es so, dass sich diese Grenzen über die Jahre, in denen ich mich praktisch mit der Fotografie beschäftigt habe, immer weiter ausgeweitet haben. Heute habe ich wenig Skrupel, zum Verflüssiger zu greifen, ganze Objekte aus einem Bild zu retuschieren oder aus mehreren Bildern ein ganz neues zu machen, das dann wieder aussieht, als wäre es genau so aufgenommen – sofern ich diese Maßnahmen als Bereicherung für die Wirkung meines Bildes empfinde. Da es sich dabei aber meistens um Portraits handelt, bin ich mir durchaus der Tatsache bewusst, dass viele Betrachter sich „hinters Licht geführt“ fühlen dürften, wenn sie wüssten, was mit einigen Bildern passiert ist.
Sebastian: Marit, den Punkt finde ich sehr, sehr interessant, auch in Bezug auf das, was Martin vorher gesagt hat. Ein Foto ist dann eine Dokumentation, wenn der Betrachter es so sehen will oder so sieht. Vielleicht entstehen die großen Diskussionen und Missverständnisse oft dann, wenn das nicht übereinstimmt mit dem, was der Fotograf da hineinlegen wollte. So eine überschrittene „Bearbeitungsgrenze“, wie Aileen das sieht, entsteht dann bei jedem irgendwann, der mit einer Erwartung an ein Bild rangeht.
Ich nehme mich da selbst gar nicht aus, ich habe trotzdem selbst so eine Grenze. Gerade bei so super geairbrushten Modelfotos auf Zeitschriftentiteln (am besten noch mit übersättigten Farben) denke ich oft: Uärghs, geht gar nicht. Nicht wegen des moralischen Aspekts (der kommt natürlich auch dazu: falsches Schönheitsideal), sondern weil das einfach meinem eigenen ästhetischen Anspruch an Fotografie total zuwiderläuft.
Martin: Witzigerweise verhält sich meine Entwicklung bezüglich der Bearbeitungsgrenze genau umgekehrt wie die von Aileen – und das hängt nicht nur mit dem Genre zusammen, das ich heute bediene. Früher habe ich mir eigentlich alles erlaubt, heute sind für mich Kontraste, Helligkeit, Sättigung und maximal Farbtemperatur alle Parameter, die ich an meinen Fotos verändern möchte.
Grenzüberschreitungen bei anderen stelle ich natürlich auch fest, klar. Die Frage ist jedoch auch, wie ich damit umgehe. Da es sich nicht um meine eigenen Fotos handelt, wäre ich der Letzte, der daran rumkrittelt, denn es gibt nichts Schlimmeres als ungefragte Kritik (in meinen Augen). Ausnahme: Der von Sebastian angesprochene Fall der Mode(l)fotografie, jedoch bin ich so privilegiert, dass ich mir so etwas nur selten anschauen muss.
Marit, wie ist das denn bei den analogen Fotografen? Gibt es da solche heißgeführten Diskussionen auch oder eher selten? Beabeitet wird da ja schließlich auch…
Marit: Wie es im Allgemeinen bei den Fotografen ist, die auf Film fotografieren, kann ich ebenso wenig sagen wie Ihr. Eine Dunkelkammer ist eben eine Dunkelkammer, ob im Bad mit verdunkelten Fenstern oder am Computer. Verändern kann man ein Bild immer. Das ist und bleibt eine persönliche Grundeinstellung.
Ich versuche lediglich, aus dem Bild das Beste rauszuholen. Ich arbeite mit Gradationsfiltern, wähle den Ausschnitt des Bildes und helle manchmal Stellen im Bild auf. Das ist die einzige Bearbeitung, die ich einem Bild anheim fallen lasse. Das ist aber eine sehr persönliche Sicht, denn ich denke, dass ich während der Aufnahme schon das im Bild habe, was ich gesehen und gefühlt habe.
Hinterher möchte ich daran nichts mehr verändern, nichts hinzufügen, nichts wegnehmen. Ich möchte zeigen, was in der Realität möglich ist, was zeigbar ist. Ich bin wohl so streng gegen nachfolgende Manipulationen am Bild, weil ich etwas Haltbares in dieser Welt brauche und suche. Man könnte sagen, ich bin ein surrealisitscher Realist, was die fotografische Sprache angeht.
Michael: Ich bewege mich mit meiner Bildbearbeitung eigentlich immer an einer Grenze und das ist auch nötig, weil knapp vor dieser Grenze für mich das optimale Bildergebnis liegt. Aber diese Grenze ist einzig durch meinen eigenen Geschmack und meine Erwartungen an das Ergebnis festgelegt. Für andere ist diese Grenze vielleicht woanders, weil sie, wie Sebastian schon sagt, andere Erwartungen an die Fotografie haben.
Man sollte nur nicht den Fehler machen, die Erwartungen, die man an die eigenen Fotos hat, auch auf die Fotos anderer zu projizieren. An der Stelle entstehen dann oft diese hitzigen Diskussionen. Ich sehe auch oft Fotos, die meine Grenze überschreiten oder so deutlich unterschreiten, dass es mir nicht gefällt. Aber ich halte es da meistens wie Martin und enthalte mich der ungefragten Kritik.
Martin: Was meiner Meinung auch eine gute und respektvolle Haltung anderen gegenüber ist, denn so lasse ich stehen, was mir missfällt und finde dennoch eine eigene Arbeitsweise. Meinung ist wichtig – die Frage ist jedoch, in welchem Rahmen sie geäußert wird.
Sebastian: Vielleicht sollte man sich insgesamt etwas damit zurücknehmen, seinen Geschmack in der Fotografie anderen überzustülpen – das gilt insgesamt und natürlich auch speziell bezüglich der Bearbeitung. Sonst ist man schnell an dem Punkt, dass Leute sich gegenseitig erklären, dass irgendetwas „gar nicht geht“.
Erlaubt ist meiner Meinung nach das, was machbar ist, was ästhetisch oder einfach „gut“ aussieht – was immer das heißt, muss jeder selbst entscheiden – oder das Bild in die Richtung bringt, die ich zeigen mag. Bei Wettbewerben und im journalistischen Kontext gibt es da natürlich Rahmenbedingungen, die man beachten muss – aber in freien Arbeiten? Soll jeder das tun, was er für sich als richtig erachtet, denke ich.
Sehr schöne Diskussion zu dem Thema Bildmanipulation und Bildbearbeitung. Für mich beginnt die Bildbearbeitung eigentlich schon mit der Aufnahme an. Zum einen durch optische Hilfen, wie Filtern, zum anderen aber auch durch die Kameraeinstellungen selbst. Wenn man JPG fotografiert, kann man in der Kamera teilweise bereits Einstellungen wie Schärfe, Sättigung, Monochrom / Schwarz-Weiß, oder Kontrast einstellen. Auch der Weißabgleich ist einstellbar. Selbst eine längere oder kürzere Belichtungszeit könnte man hier bereits als Manipulation oder Bearbeitung mit in Betracht ziehen. Allerdings ist das natürlich auch schon ein Stück weit hergeholt.
Meistens ist es doch so, dass man sich im Kopf vor der Aufnahme bereits ein Bild davon macht, wie das Ergebnis unterm Strich aussehen soll. Und da ist es meist ein Zusammenspiel zwischen der Aufnahme und dann anschließender Bildbearbeitung am PC. Dabei geht es bei mir meistens zunächst um kleine Korrekturen, wie Ausrichtung, Weißabgleich, Kontrast und leichte – aber nicht übertriebene – Farbabstimmung, um einen bestimmten Moment oder ein bestimmtes Motiv entsprechend darzustellen. Zudem finde ich es nicht verkehrt, wenn man im Nachhinein einen Himmel leicht abdunkeln kann oder auch Staubflecken oder Wassertropfen auf dem Objektiv entfernen kann.
Insgesamt hat die Bildbearbeitung für mich auch immer ein Stück weit mit Kreativität zu tun. Und da Fotografie auch Kunst ist, gehört die Kreativität und die eigene Entfaltung einfach dazu. Da sollte jeder selber entscheiden können, was einem wie gefällt und wie er das erreichen kann. Zudem sollte die Bildbearbeitung nicht gezwungen sein, nur weil das andere auch machen. Für meinen Teil gehört das zum Hobby dazu. Ich kann prima entspannen beim Fotografieren, aber auch beim Bearbeiten und Sichten der Bilder. Denn beim Bearbeiten befasst man sich noch mal viel genauer mit den Bildern und setzt sich damit intensiver auseinander. Einfach nur fotografieren und dann eine Masse der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ohne einen Qualitätsanspruch an sich selbst zu haben, finde ich dann für mich auch nicht gut.
Danke für den Artikel.
Sehe ich auch so.
Eine Grenze ist für mich, wenn bewusst eine falsche Realität dargestellt werden soll und es als Beweis dienen soll. Also, ein UFO welches nicht existiert hinein montiert wird, eine Person aus einem Bild hinzugefügt oder gelöscht wird. Aus diesem Grund haben nur RAW-Aufnahmen vor Gericht Beweiskraft.
Eine schöne Diskussion.
Bildbearbeitung ist letztendlich ein Handwerk, wie die Fotografie, dass mit unendlichen Möglichkeiten aufwartet. Eine Wundertüte, die man zu bedienen erlernen kann. Öffnet man Sie komplett, gibt es einen unschönen (meist bunten) Knalleffekt. Es bedarf also eines gewissen Lernprozesses, um „schöne“ Ergebnisse zu produzieren.
Jetzt bin auch ich ein Fotograf, der sich selbst eher als Künstler, wie als Reporter bezeichnet und bei dem auch gerne mal ordentlich Farbe mit im Spiel ist. Wo letztendlich die genauen Grenzen verlaufen, das ist relativ.
Bildbearbeitung sollte dazu dienen, ein fotografiertes Motiv zu verschönern. Was das genau bedeutet, muss wohl jeder selbst mit seiner persönlichen Wahrnehmung und Erfahrung entscheiden.
Vielleicht kann man sagen, der Durchschnitt, also die Masse entscheidet, was gelungen ist oder was in die Hose gegangen ist. Schließlich geht es den meisten von uns darum, nicht nur schöne Fotos für sich selbst anzufertigen, sondern Sie einer breiten Masse vorzustellen.
Die dabei geerntete Kritik hilft, im Lernprozess voranzukommen.
Mir persönlich als Landschaftsfotografen ist die Grund(licht)stimmung und die Gestaltung sehr wichtig. Das ist meiner Meinung nach auch der Knackpunkt einer gelungenen Fotografie. Gerne dürfen die genannten Punkte aber mittels Bildbearbeitung verstärkt und eben verschönert werden.
Ich fotografiere nicht, um zu zeigen wie es ist.
Ich fotografiere um irgendwie einzufangen wie es sich anfühlt.
Ich will nicht zeigen wie Afrika, Südamerika, mein zuhause oder meine
Freund sind. Ich will irgendwie ausdrücken was mir dies alles bedeutet.
In den aller seltensten Fällen kann ich dies mit meiner Kamera festhalten.
In den meisten Fällen kann ich es durch Nachbearbeitung erreichen.
Natürlich ganz subjektiv.
Ein Foto soll am Ende ein kleines Kunstwerk sein.
Wie es das wird ist mir egal.
Das Schlimmste was jedoch passieren kann – finde ich – ist,
wenn man dem Bild die „Überarbeitung“ („über“ im wahrsten Sinne
des Wortes) ansieht und es dann
doch nur sehr banal ist.
Die Fotografie als Handwerk geht durch die Möglichkeiten der Nachbearbeitung mehr und mehr verloren!? Dürfen Bilder, die durch die Bearbeitung grundlegend verändert wurden sich noch Fotografie nennen? Ich denke da nicht an Digiart, sondern eher den Fall – z. Bsp. Himmel austauschen oder die Farben extrem verändern. Letzteres wird ja ganz gern für die zum Bsp. Dresdner Stadt-Silhouette verwendet. Das Handwerk an sich geht immer mehr verloren. Oder sehe ich das falsch? Diese Frage stelle ich mir häufiger.
Das hängt davon ab, wie Du das „Handwerk“ definierst. ;)
Ich blicke gern zurück. Früher wurde halt mit den Einstellungen der Kamera experimentiert, um gewisse Effekte zu erzielen. In der Dunkelkammer wurden dann Schwächen beseitigt. Aber grundlegend bliebt das Foto so wie es ist. Ich definiere den Begriff „Handwerk“ eben über die Kamera. Da sich aber die Technik weiterentwickelt und das Handwerk eben auch, lässt sich die Frage nicht wirklich eindeutig beantworten.
Wenns um DAS HANDWERK und DIE GUTE ALTE ZEIT geht, hab ich immer Folgendes vor Augen:
http://blog.chasejarvis.com/blog/2009/11/purists-beware/
Geht mir ähnlich. Für mich besteht einfach ein Unterschied zwischen analoger und digitaler Fotografie. Handwerk vs. Design. Beides hat Vorteile.
Bildbearbeitung gehört einfach zur digitalen Fotografie dazu. Die Frage ist, bis zu welchem Grad ist Bildbearbeitung ok. Und das lässt sich nicht beantworten.
Man kann aber für sich die Frage stellen: „Ertrag ich die ganzen geschönten Bilder noch? Will ich das noch sehen?“ Also mich langeweilt es.
Oder ganz einfach mit den Worten von Jan:
„Ein gutes Bild ohne großartige Bildbearbeitung herzustellen ist für mich die wahre Kunst.“
Blogartikel dazu: Linktipps 4.5.2013: Genesis, strahlende Objektive, Youtube
Ich denke, jedes Bild ist immer schon von Anfang an „bearbeitet“, Fotografie ist intrinsisch immer schon Inszenierung. Indexikalische Verweise in der Materialität der Fotografie (egal ob digital oder chemisch) sind zwar vorhanden, aber immer nur vermittelt. Früher hatte ich auch mehr Skrupel bei der Bildbearbeitung, insbesondere wenn es um Eingriffe auf der inhaltlichen Ebene ging. Seitdem ich für mich erkannt habe, dass es so etwas wie Authentizität zumindest im strengen Sinne des Begriffes niemals geben kann, habe ich aber allerdings alle Hemmungen verloren. Es wird so lange bearbeitet, bis mir das Bild gefällt.
Vielen Dank für die Diskussion,
für mich als Anfänger sind viele Fotos eher abschreckend, wenn man das Original sieht.
Durch eine Bearbeitung des Bildes wird oft ein qualitativer Unterschied suggeriert, der eigentlich nicht durch das Fotografieren entsteht, sondern durch die nachträgliche Bildbearbeitung.
So sehe ich als Anfänger ein Bild und denke wie hat man das nur gemacht oder das sieht ja gut aus, obwohl das Originalbild niemals den Eindruck vermittelt hätte.
Blogartikel dazu: Der Sonntag mit “Der Photodings” KW18 - Norman Herms Photography
Ein gutes Bild ohne großartige Bildbearbeitung herzustellen ist für mich die wahre Kunst.
Gottseidank!
Verläuft die Grenze zwischen Gut und Böse in der Bildbearbeitung nicht eigentlich nur in der Deklaration?
Das „Böse“ ist doch das Betrügerische, wenn das Model im Original anderes aussieht etc., und die Person damit vielleicht weniger ein guter Fotograf als ein guter Bildbearbeiter ist. Schreibt man aber klar dazu, was man inhaltlich geändert hat, wird’s wieder ehrlich.
In FC gab es mal ein beeindruckendes Zoo-Bild von einem Pinguin, der ins Wasser taucht. Der Autor hat in ein paar Sätzen beschrieben, was er an dem Bild geändert hat, und alle waren zufrieden. „Andere Tiere und störende Objekte weggestempelt, Blasen entfernt, Wasserfarbe geändert“. So konnte man das Bild als das sehen, was es ist, quasi „Belletristik“ ;-)
Und ich denke Ganzbild-Anpassungen (tonale Korrekturen, entrauschen) sind ohnehin ok, da sie das Bild ja nicht verfälschen und ohnehin leicht vom Betrachter auszumachen sind. Dass ein Bild in Original nicht schwarzweiss war, ist wohl jedem klar, also nicht betrügerisch.
Der Herr Gursky bekommt für ein mies retuschiertes Bild Millionen und der Kunstmarkt akzepitert es. In der Berichterstattung hingegen ist klar geregelt, was man darf und was nicht, auch wenn sich nicht unbedingt jeder daran hält. Soll sich doch jeder die Finger wundfummeln. Solang es gut gemacht ist, habe ich nichts dagegen, ausser eben, wenn es darum geht zu dokumentieren: da akzeptiere ich maximal eine Anpassung des Erscheinungsbildes, aber inhalt zu verändern geht mal gar nicht.
Meines Erachtens sollte jeder der ein Bild massiv verändert dies in der Bildunterschrift vermerken.
Vielleicht trifft auf manche Fotografen der Titel „elektronische Bildbearbeiter“ eher zu.
Diese Diskussion erscheint mir reichlich überflüssig. Ebenso wie die elendiglichen über Pixelgrößenwahnsinnige Sensoren oder andere Technik.
Wer Bilder macht, der bearbeitet sie auch. Analog oder digital – egal. die Wahl des aufgenommenen Bildausschnitts zählt für mich jedoch nicht zur Bildbearbeitung, lediglich das nachträgliche Beschneiden dieses Ausschnitts. Manipulativ kann die Ausschnittswahl jedoch – bewusst oder unbewusst – schon sein.
Letztendlich interessiert mich der Umfang der Bearbeitung nicht, ob nun lediglich Tonwertkorrektur oder aber umständliches Komposing. Auch die Ethik der Mode oder das Frauenbild in der Fotografie lässt sich über eine solche Diskussion weder erklären, noch verändern.
Mir selbst muss das Bild, das ich betrachte, gefallen, Gefühle soll es auslösen, mich bewegen. Und wenn meine Bilder das bei anderen können, dann weiß ich, dass der Umfang der Bearbeitung genau richtig war. Jeder findet sein Publikum.
danke für eure diskussion, das hat mir hinsichtlich anderer die augen geöffnet. ich habe zwar schon aufgehört andere zu kritisieren, aber davon abstand zu halten und dann dennoch für mich zu nörgeln, hat sich nicht abgestellt.
wer sich selbst treu bleiben möchte, sollte eben das tun was er für richtig hält. nur dann bleibt man auch authentisch.
Mit gut und böse hat das wohl nichts zu tun. Die Bildbearbeitung ist ein Werkzeug, das zu dienen hat und ich frage den Tischler nicht, ob der Hobel „besser“ ist als die Säge.
Allerdings erinnere ich mich an Zeiten, in denen man zwischen der Arbeit des Fotographen und der des Laboranten ( heute meinetwegen : „Photoshopper“) unterschieden hat und ich finde die Unterscheidung nach wie vor wichtig. Meine ganz persönliche Vorliebe und auch Hochachtung gilt der Arbeit des Fotographen als Entwerfer und der Laborant ist dann das Helferlein. Natürlich geht es auch anders und andere Wege können zu außergewöhnlichen Resultaten führen, auf die wir nicht verzichten wollen, aber meine private Sympathie gehört einem Arbeitsablauf bei dem das Ur-Foto, mit Übersicht, Plan und Überlegung gemacht, so wie es aus der Kamera kommt, so gut ist, dass es keiner oder fast keiner Nachbearbeitung bedarf. Ich laufe gerne draussen herum, entdecke und plane Fotos aber weder in der Dunkelkammer, noch am PC sitze ich gerne stundenlang um an den Fotos „herumzufummeln“- ( meistens verschlechtere ich sie dann ).
Vielleicht hilft es auch beim Grübeln über die Bildbearbeitung, wenn man sich fragt, was der definitorische Unterschied zwischen den Begriffen „Foto“ und „Bild“ ist.
Bild ist sicher der Überbegriff und wir wechseln die Begriffe, wenn wir uns von dem dokumentierenden Maschinenprodukt „Foto“ weiter entfernen.
Die nachträgliche Bildbearbeitung ist auch geeignet, so etwas wie das Urvertrauen in die ( gefühlte ) Neutralität und Ehrlichkeit des nur abbildenden „Fotos“ zu untergraben. bei einem Ölgemälde nehme ich hin, dass die Sonne „im Norden aufgeht“, die Häuser zusammengeschoben sind und die Personen im Hintergrund nie gelebt haben – alles im Dienste ders bildnerischen Effektes. Als Gegenposition würde ich gerne das ( weitgehend ) treulich die Realität abbildende Foto behalten – zumindest möchte ich wissen, was vor mir liegt: Bild oder Foto. Die Grenzen waren nie scharf gezogen aber jetzt verschwimmen sie zunehmend und das finde ich nicht gut.
Ich denke auch, dass wir von den unglaublichen Möglichkeiten die Photoshop und Co verführt werden, Dinge zu tun, die keiner gebraucht hat. Wenn das Angebot den Bedarf erzeugt, läuft was schief.
Blogartikel dazu: Tipp: Wie weit darf Bildbearbeitung gehen? | Foto[gen]erell
Achtung persönliche Meinung:
„Bildbearbeitung fängt dann an, wenn das fotografierte Bild nicht meinem tatsächlichen Empfinden entspricht und ich digital drauf los arbeiten muss um es wieder so hinzubringen. :D
Kleine Korrekturen sind ohne weiters drin, aber wenn ich mein Foto im großen Stil umfärbe, Elemente zurecht rücke oder skaliere, habe ich etwas falsch gemacht!“
Cu
Noch brisanter finde ich die Frage, ob Fotografie immer Kunst ist, was ich persönlich verneinen muss. Oder besser: Kunst liegt im Auge des Betrachters. Wenn bei einem Foto eine massiv eingreifende Bildbearbeitung hinzu kommt, liegt es nahe, dass der Fotograf es als Kunst versteht, es also auch bezweckt. Es zielt dann meist auch auf eine bestimmte Stilrichtung. Bestimmte Bildresultate wie z.B. HDR sind ja erst durch die Bildbearbeitung möglich geworden, und wenn jemand daran Gefallen findet und er seine Ergebnisse als Kunst ansieht, ist es seine persönliche Einstellung. Allerdings sind doch viele Fotos dieses Genres sehr oft nur Spielerei, die man mit wenigen Mausklicken immer wieder ändern kann.
Bestimmte Aktionen wie Horizonte oder Perspektiven gerade biegen oder leichte Gradationskorrekturen sind für mich persönlich keine Aktionen, die ich als Bildbearbeitung ansehe, weil sie meist nur meine Aufnahmefehler korrigieren sollen.
Bildbearbeitung fängt bei mir persönlich bei starken Eingriffen ins Bild an, Retuschen z.B. wo ich Dinge verändere, die entweder nicht vorhanden waren oder ich Details verschwinden lasse, die den Gesamteindruck des Bildes beeinträchtigen würden. Von Montagen ganz zu schweigen.
Sicher sind manche Grenzen dabei fließend, ebenso die, wo Kunst anfängt oder endet. Das sieht jeder individuell. Maler haben ja auch ihre persönliche Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Bilder, ob Kunst oder Kitsch. Diese kann Fotograf(in) erst recht mit der Bildbearbeitung ausleben, warum auch nicht. Schließlich ist vieles Geschmacksache, besonders heutzutage, wo viele hundert Bilder am Tage gemacht und auch verändert werden. Gruß Andreas
Ich habe immer das Gefühl, dass, wenn der Begriff Kunst die Bühne betritt, es gefährlich wird. Ich lese gerne und eigentlich täglich dieses Blog hier, habe aber oft das Gefühl, dass aus meiner Sicht oft zu viel Kunst „gewollt“ wird (andere haben auch schon von „zu viel Gefühl“ o. ä. geschrieben). Manche meiner eigenen Bilder betrachte ich mit der gleichen Empfindung. Das hat eigentlich wenig mit der Ausgangsfrage nach der Bildbearbeitung zu tun, markiert aber vielleicht ganz gut eine ähnliche Demarkationslinie wie jene, um die es hier geht. Wie ich in einem früheren Kommentar bereits angedeutet habe, halte ich Fotografie grundsätzlich für künstlich, für Fiktion (wobei ich nicht so weit gehen würde, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion in einem postmodernen Verständnis völlig auflösen zu wollen). Wenn es um das Verhältnis von Fotografie und Kunst geht, kommt mir in letzter Zeit immer wieder das Verständnis von Motorsport als Sport in den Sinn. Ist das Sport und wenn ja, in welcher Beziehung? Der Rennfahrer muss fit sein und die Technik beherrschen. Das reicht vielleicht schon für die Definition von Sport, aber nicht zum Gewinnen. Als Fotograf kann ich als (kunst-)handwerklich völlig unbegabter Mensch tolle Resultate erzielen. Aber reicht das für Kunst?
Vielleicht ist der so unschuldig erscheinende Begriff der Bildbearbeitung auch so ein Begriff, der erst durch eine genaue Definition im Sinne von Abgrenzung eine zuverlässige Unterscheidung treffen lässt. Aber gerade weil es so ist, weil der Begriff vielleicht genau so weich, subjektiv, interpretationsbedürftig oder ideologieanfällig ist wie Sport oder Kunst, eignet er sich wohl in erster Linie, ein diskursives Gelände zu verminen. Die wohl erwartbaren Reaktionen auf dieses Post sprechen dafür. Von daher plädiere ich dafür, jedem Ersteller, Gestalter und Betrachter sein Bild und seinen Glauben an seinen Ursprung zu belassen – was immer das auch ist.
Ach ja, falls sich jemand findet – es wäre sicherlich unterhaltsam, einmal die Diskussion Fotografie und Sport zu führen (falls das noch nicht geschehen ist, und ich nichts davon weiß): Das Verhältnis von Bildbearbeitung und Doping, von Präsenz (Gumbrecht) und Abwesenheit oder ganz schlicht die Frage, warum Sportfotografie so gut funktioniert und zahlreichen Fotografen ein Auskommen sichert (und vielleicht auch einer der wichtigen Innovationstreiber der Fototechnik ist). Ich hätte Lust darauf!
Hallo ise, kennst Du jemanden, der auf diesem Feld einen Überblick und etwas dazu zu sagen hat? Ich finde, das hört sich sehr spannend an, aber leider haben wir in der Redaktion niemanden, der in diesem Bereich firm wäre. Ein Gastartikel wäre da ein schöner Anfang.
Blogartikel dazu: Tip: How far may image editing go? |