17. September 2012 Lesezeit: ~16 Minuten

Von Enten, Nassplatten und einem krummen See

Vor einigen Monaten stolperte ich über ein verheißungsvolles Angebot der Lette-Akademie. Ein gewisser Jan Eric Euler mit Namen wollte innerhalb von zwei Tagen Interessierte in das Geheimnis des Kollodium-Nassplatten-Verfahrens einführen.

Teilgenommen habe ich daran nicht, leider. Aber ich habe mit Jan ein Interview geführt und bin nun froh, Euch hier darüber zu berichten.

Wir haben uns an der Krummen Lanke getroffen, das ist ein See in Berlin. Und bevor wir uns bei Bier und Salzstangen über die Langsamkeit der Fotografie unterhielten, schaute ich Jan erstmal dabei zu, wie er hechtartig mit einer billigen Unterwasserkamera im See verschwand.

Jan, Du bist mit einer Filmkamera geboren worden?

Das Interesse für die Fotografie fing bei mir ab der 11. Klasse langsam an. Ich war fasziniert von Licht und Optik, sowie der Technik. Ich habe mir von meinem ersten Job in der Druckerei eine Kamera gekauft. Die hatte ich, wenn ich mit Freunden draußen war, oft bei mir. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch und will immer mehr wissen und probiere dann viel aus und habe viele Bereiche kennen gelernt.

Ich habe auch digital angefangen und bin dann erst zum Analogen übergegangen. Ich fand das Gefühl von den Bildern schöner und habe drei bis vier Jahre nur schwarzweiß fotografiert und auch selbst in meiner Dunkelkammer entwickelt. Ich liebe Filmkorn und das Arbeiten mit meinen Händen. Farbe hat mich lange nicht interessiert.

Und hast Du in Deiner Dunkelkammer dann auch viel abgezogen und anderen gezeigt, was Du machst?

Ich habe nie viel abgezogen und hatte auch nicht soviel Geld und habe das Geld, das ich hatte, für Reisen und das Sammeln von Erfahrungen ausgegeben und nicht für Fotopapiere. Ich habe auch lange Zeit nicht viel gezeigt. Ich hatte auch nicht das Selbstbewusstsein, ich bin da in ganz vielen Bereichen sehr selbstkritisch, in dem, was ich schaffe oder kreiere. Erst nach drei Jahren habe ich die Ergebnisse gescannt und mir eine Webseite gebaut.

Hast Du gleich nach der Schule überlegt, Fotografie zu studieren?

Über Umwege. Ich war nach der Schule arbeiten, um mir meine Reisen nach Asien und später in Europa zu finanzieren. In Asien habe ich viel fotografiert und währenddessen noch mal viel gelernt, was Kommunikation mit Menschen angeht. Ich bin eher der schüchterne Mensch, etwas das ich nicht sehr an mir mag. Ein paar Mal bin ich fast verprügelt worden, weil ich Menschen fotografiert habe und nicht richtig kommunizieren konnte, weil wir alle die Sprache des anderen nicht verstanden und ich auch mit Englisch nicht weiterkam.

Ich hab viele Bilder nicht gemacht, aus Respekt oder Angst vor einer ärgerlichen Reaktion und es ärgert mich dann ein Jahr lang, in den drei möglichen Sekunden nicht abgedrückt zu haben.

Dich interessiert jetzt auch eher die Dokumentation als das Arrangieren oder Inszenieren von Augenblicken?

Über die Hälfte der Sachen aus meinem Portfolio sind aus meinem Leben. Inszenierungen habe ich erst angefangen zu mögen, als ich mit Großformat angefangen habe.

Das Interview stockt kurz, denn eine Entenfamlie schwimmt sehr nah an uns vorbei und in unserem Augenweiß tauchen ganz kurz kleine Herzchen auf als das flauschige Kücken immer näher kommt.

Inszenierungen mochte ich lange nicht. Wenn Bilder gestellt aussehen, dann erinnert mich das an Theater und das nimmt mir die Ehrlichkeit. Wenn sie inszeniert sind, dann müssen sie echt aussehen.

Die Bilder, die mich beeindruckt haben und die, die ich selbst machen wollte, müssen immer ehrlich sein und das Gefühl in dem Moment, kein kreiertes und ein nachgestelltes. Ehrliche Bilder und Bilder die nah dran waren, das sind die einzigen Bilder, die mich wirklich berührt haben. Und das prägt mich bis heute. Bilder müssen Emotionen transportieren.

Ich lasse das Gespräch auf mich wirken. Worte wie Ehrlichkeit und Gefühl bleiben an mir haften. Ich gehe meine eigenen Bilder durch, prüfe sie und weiß doch, das meine Arbeiten sich von seinen stark unterscheiden. Jedoch das Wort Ehrlichkeit ist es, das alles umschreibt, was man selbst schafft und was an anderen Arbeiten fasziniert. Wenn ein Bild oder die Motivation, ein Bild zu schaffen unecht wirken und doch Echtheit vermitteln wollen, dann ist und bleibt es bedeutungslos.

Du hast das Großformat angesprochen und bietest Workshops an für das Nassplatten-Kollodium-Verfahren. Wie bist Du zu diesem Verfahren gekommen?

Zum Großbild bin ich gekommen, als ich beim Lette-Verein anfing zu studieren und wir Großformatkameras zur Verfügung hatten. Diese Art der Fotografie stand im totalen Gegensatz zur Fotografie, die ich bis dahin für mich entdeckt hatte. Mich haben aber die Resultate überzeugt, was optische Qualität angeht, der Verlauf der Schärfe und wie dargestellt wird. Ich habe mir ein Jahr lang alles über Großformat angeschaut und gelesen. Und dann gab es Bilder, die hatten einen Look und ich wusste nicht wie man das hinbekommen soll. Da las ich das erste Mal vom Kollodium-Verfahren und war sofort infiziert.

Nachdem ich dann den Film über Sally Mann – „What Remains“ – gesehen habe, war klar, dass ich das Kollodium-Nassplatten-Verfahren erlernen will. Ich hatte zunächst nach den Chemikalien geschaut, weil ich das, wie sonst auch, selbst ausprobieren wollte. Die Chemikalien sind teils aber so gefährlich, dass ich meine Wohnung nicht gleich in Luft jagen wollte. Ich habe mir in Berlin einen Kurs gesucht, der natürlich nicht billig war und das Geld dafür erarbeitet. Nach dem Kurs war ich total angefixt.

Ich versuchte zunächst, selbst die ganzen Chemikalien zu beschaffen, was nicht ganz einfach war, weil Apotheken einem jungen Mann mit strubbeligen Haaren nicht unbedingt Ether oder andere Chemikalien, die explosiv sind, verkaufen. Letztendlich hatte ich dann nach zwei bis drei Monaten die Sachen zusammen bekommen. Und habe dann natürlich die falschen gekauft gehabt.

Ich ziehe die Augen hoch und wir lachen.

Du bist ganz schön hartnäckig.

Ja, wenn ich etwas will, dann verbeiße ich mich auch in die Sache. Es dauerte dann noch Mal ein paar Monate, bis ich endlich die richtigen Utensilien hatte. Es war ein langer Weg, ich habe jeden Tag gelesen, ausprobiert und Fehler gemacht, bis ich da war, wo ich sein wollte.

Auf dem Flohmarkt, wo wir Portrait-Platten gemacht haben, lernte ich dann James Higginson kennen. Aus dieser Bekanntschaft ist eine Freundschaft entstanden und er hat mir die Workshops bei ihm im Studio organisiert. Das hat sich alles langsam entwickelt und jetzt gebe ich auch für die btk (Berliner Technische Kunstschule) im Sommer und den Lette-Verein diese Workshops und kann mir so auch die Chemikalien leisten.

Welche Leute kommen zu den Kursen?

Das sind schon ehrlich Interessierte und auch nicht unbedingt Leute, die vordergründig fotografieren. Das ist auch für Leute interessant, die malen, weil diese Form ja auch sehr malerisch ist und auch fehlerhaft. Ich habe viel für Studenten unterrichtet und habe selten Leute gehabt, die jünger sind als ich.

Es ist eine sehr langsame Art von Fotografie, wie kann ich mir das im Speziellen vorstellen?

Man hat einen Tag Vorbereitung, die Chemikalien müssen selbst angesetzt werden, das Trägermaterial, also die Glasplatten, müssen zugeschnitten werden, sowie das Aluminium auf dem man fotografiert. Die Glasplatte wird schon in der Vorbereitung zusammen mit der Chemie präpariert (schneiden, schleifen, polieren) und während des Shootings nur noch beschichtet, da es sonst zu lange dauern würde. Anschließend kommt sie in die Kamera und wird belichtet. Danach muss man sie sofort entwickeln, weil die Beschichtung noch nass sein muss, ansonsten trocknet die Platte aus und man kann kein wirkliches Bild mehr erhalten. Zu guter Letzt wird sie gewässert und fixiert. Es ist ein Sofortbildverfahren.

Bei Sofortbildverfahren denke ich an Polaroid – spontan arbeiten ist hier aber Fehlanzeige.

Man ist sehr eingeschränkt. Die Empfindlichkeit der Filmschicht ist sehr niedrig und man kommt nicht auf kurze Belichtungszeiten. Die Leute müssen je nach Lichtquelle zwischen zwei und zehn Sekunden stillsitzen. Am besten man fixiert sie – ich bohre ihnen keine Schrauben in den Kopf, aber hinter den Stühlen gibt es ein Gestell, eine sogenannte Kopfstütze, die hilft beim Stillsitzen.

Das Arbeiten mit Menschen ist dann ein ganz anderes als beim Kleinbildverfahren?

Man muss sehr genau arbeiten, dann hat man vier Minuten Pause bis das Bild kommt und das ist psychologisch was anderes als bei jeder anderen Art von Fotografie. Was passiert zwischen dem, der fotografiert und dem, der fotografiert wird. Die Energie, die sich zwischen den beiden aufbaut, die ist ja das, was in dem Bild ist.

Die ist bei so etwas komplett anders als bei Kleinbild. Es ist viel Ruhe drin, der Portraitierte hat viel Zeit, sich Gedanken zu machen, es ist verunsichernd, weil man lange wartet oder die Technik nicht gewohnt ist. Man hat eine große Kamera vor sich stehen, hinter einem ist die Kopfstütze. Das Bild wird auch anders, je nachdem ob man dabei steht oder den Raum verlässt.

Posen ist sehr schwer, die Menschen inszenieren sich nicht selbst oder sie sind gezwungen, das Posen aufzugeben, weil man solch einen Ausdruck nicht lange halten kann. Das macht sehr viel von der Wirkung der Bilder aus.

Es kommt noch hinzu, dass beim Kollodium die Farben anders wiedergegeben werden. Alles, was rot ist, wird fast schwarz, blau wird sehr hell. Sommersprossen kommen so total gut raus, blaue Augen sehen geisterhaft aus.

Die Abendsonne glitzert durch die Baumkronen. Menschen in der Ferne lachen und die Ruhe unseres Gesprächs lockt eine weitere Ente an. Wir sind für einen Moment ganz still und beobachten, wie sie aus dem Wasser hüpft und völlig entspannt einmal um uns herum und ganz nah herumwatschelt, um die rotglühenden Tomaten und Salzstangen näher zu inspizieren, nur um dann doch wieder ihrer Wege zu ziehen.

Man lernt also auch, ganz anders zu sehen?

Man lernt, welche Bereiche sehr hell oder dunkel werden, welche Bereiche tief werden. Man muss das Licht immer voraus denken. Man muss wissen wo die Sonne steht, wie lange es dauert, bis das Licht dort ist, wo ich es haben möchte. Die Kamera muss auf eine Stelle ausgerichtet werden, wo noch Schatten ist, aber in 15 Minuten das Licht sein wird. Dann kann man das Bild machen und gehen. Es ist eine logistische Aufgabe, dann ist es auch eine handwerkliche Sache. Man muss ganz neu lernen zu arbeiten und nicht nur zu sehen.

Und dann kommt noch der eigene künstlerische Anspruch hinzu, da wo man eingreifen will.

Um das auszudrücken, muss man wieder übersetzen können oder man kann sich auch überraschen lassen. Man muss sich einlassen auf ungeplante Sachen. Es ist ein so anfälliges Verfahren, dass man nie 100% vorhersagen kann, wie das Bild aussehen wird.

Bei all der Genauigkeit und dem Vorausschauen magst Du also auch den Zufall?

Ich bin schon perfektionistisch veranlagt, ein bisschen ist vielleicht schon untertrieben. Aber man lernt auch so zu planen, dass man sich auf etwas im Bild konzentriert, das dann auch da ist. Aber man muss eben mit dem Ungewollten rechnen. Das ist auch die Schönheit dieser Sache. Man macht es ja auch wegen der Fehler, wegen der Spannung um den Moment, wenn das Bild aus dem Fixierer kommt.

Du fotografierst aber nicht nur, sondern hast auch einen Kurzfilm gedreht?

Ich habe mehrere gemacht, aber einen kann man auf meiner Seite sehen. Ein Tanzfilm, der keine große Handlung hat, aber ich wollte unbedingt mal wieder einen Film machen.

Mit meinem talentierten Freund Kai Stoeckel erarbeitete ich das Konzept und setzte es mit ihm gemeinsam um. Ich als Tänzer kenne es selbst: Man trainiert in ungemütlich beleuchteten, nicht so toll riechenden Räumen – das ist nicht unbedingt die schönste Umgebung.

Aber wenn man tanzt, dann ist die Umgebung, der Raum völlig egal. Die meiste Zeit meines Daseins ist mein Kopf nebenbei ständig am Arbeiten und Rattern und das Tanzen hat mir immer viel Freiheit gegeben. Tanzen war das, was mich vom Denken befreit hat. Und das soll der Film zeigen.

Der Wald ist ein immer wiederkehrendes Element in Deinen Bildern.

Ich bin einfach gern im Wald, habe einen großen Teil meiner Kindheit im Wald verbracht. Wald und allgemein Natur – da fühle ich mich einfach Zuhause. Das ist das, was mir ein Gefühl von Leben gibt, wenn ich nicht gerade tanze. Mich begeistert wenig so sehr wie Erlebnisse in der Natur.

In der Stadt springe auf alles an, nehme zu viel wahr, muss irgendwie all die Einflüsse selektieren und weil ich anscheinend so viele Sensoren habe, laufe ich dann sehr starrend durch die Gegend vor Überforderung. Das ist wenig entspannend.

Ich bin glücklich, wenn ich hier reinspringe, in den See. Viele Bilder entstehen in der Natur, weil ich dort eben sehr oft bin und mich wohlfühle und der Wald ist mir sehr vertraut.

„Between the woods“ ist eine Serie, die Du auch im Kollodium-Verfahren gemacht hast.

Dies ist eine meiner letzten Serien, die ich im Kollodium-Verfahren gemacht habe. Man kann sie auf der Photokina sehen und im September und Oktober auch in der Galerie „Centre Iris“ in Paris. Ich habe sie gemacht, weil ich in Berlin wohne und damit oft nicht klar komme. Ich konnte innerlich nicht mehr und suchte Ruhe und die fand ich zwischen den Bäumen. Das Gefühl von Ruhe und Geborgenheit und Zuhause sein, das vermitteln mir der Wald, die Bäume.

Auf einem der Bilder bist Du auch selbst drauf, da hattest Du Hilfe, oder?

Ein guter Freund war dabei und hat mir geholfen. Der Baum hatte keine Zweige und war rutschig und ich versuchte, mich dranzuklammern. Ich hatte diese Idee und wollte dieses Bild unbedingt machen. Man musste mir hochhelfen, damit ich so hoch kam, ohne zu viel Kraft zu verlieren, dann musste ich eine gefühlte Ewigkeit unter voller Anstrengung stillhalten. Dann runterspringen, mir schnell was anziehen, zur Dunkelkammer rennen und das Bild schwitzend in der Hitze der Dunkelkammer sofort entwickeln. Für dieses eine Bild haben wir ungefähr drei Stunden gebraucht.

Also Bildwirkung – Ruhe – und die Entstehung des Bildes – Zeitdruck – stehen im Kontrast?

Ja, hier habe ich inszeniert und kann damit auch sehr gut leben, denn ich habe versucht, ein inneres Gefühl sichtbar zu machen. Es ist bis heute eines meiner Lieblingsbilder, weil es für mich ganz viel aussagt, ohne ekelhaft künstlich plakativ zu sein. Es ist plakativ, aber es zeigt mir eine Stimmung, die ehrlich ist.

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Es war mir ein großes Vergnügen, dieses Interview mit Jan draußen am See zu führen, denn auch mir hat es wieder klar gemacht, wie wichtig es ist, wie und warum man etwas macht und dass man es mit ganzer Leidenschaft verfolgt.

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Wer nun ebenfalls angefixt ist, der sollte sich den nächsten Workshop-Termin rot in den Terminkalender eintragen und sich anmelden. Dieser ist nämlich am 3. und 4. November 2012 in Jans eigenem Studio. Der Kurs kostet 240 € und ist für vier bis sechs Teilnehmer. Anmelden kann man sich per E-Mail an: contact@janericeuler.com

Und wer sich ausführlicher über Jans Arbeiten informieren möchte, der besucht am besten seine Webseite.

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