Werkstattbuch: KI für die Fotografie
Wer fotografiert und im Internet unterwegs ist, wer soziale Medien besucht und vielleicht sogar einen Youtube-Account hat, kommt nicht drum herum, in bunten Werbeclips wird einem die Zukunft der Bildbearbeitung nur so um die Ohren gehauen: In schnellen Bildfolgen sieht man, wie bislang in der Bildbearbeitung komplizierte Aktionen mit einem einzigen Klick erledigt werden.
Objekte verschwinden wie von Geisterhand aus Fotos, aus einem Allerweltsbild wird sofort ein Hingucker. Und eben mal den eintönigen Himmel eines Landschaftsfotos durch einen spektakulären Sonnenuntergang zu ersetzen – auch das ist in einer Millisekunde erledigt.
Die Rede ist von den Skylum-Produkten Luminar AI und Luminar Neo. Und das Buzzword ist „Künstliche Intelligenz“. Die soll das alles in Sekundenschnelle erledigen, natürlich perfekt und makellos. Die Werbung suggeriert, dass mit Hilfe dieser Software aus mäßigen Fotos ohne jeden Aufwand „Like“-verdächtige Meisterwerke werden. Kauf Dir Luminar und Deine Bilder werden erfolgreich sein!
Womit haben wir es also zu tun? Mit einem überflüssigen Werkzeug für schlechte Fotograf*innen? Mit einem Tool, das erkennbar aus einer großen Kiste vorgefertigter Looks schöpft und für Bilder sorgt, die immer gleich aussehen? Für etwas, für das wahre Profis und Könner nur Verachtung übrig haben? Muss man in Zukunft gar nichts mehr können als Fotograf*in? Steht der Untergang des Abendlandes bevor?
Spielkram oder Werkzeug?
Ich denke, nein. Die Werbung suggeriert, wie leicht es sein soll, aus einem schwachen ein starkes Bild zu machen. Das ist ein irreführendes Versprechen und führt höchstens zu oberflächlicher Effektwirkung. Was aber passiert, wenn man ein starkes Foto in den Workflow einspeist, das gut gestaltet und gut ausgeleuchtet ist? Ich habe es ausprobiert. Und ich gestehe: Ich habe Lizenzen der beiden Programme gekauft und verwende die Software bei manchen Motiven sogar sehr gerne.
Doch vorher kurz zu meinem Workflow: Meine Philosophie beim Bildermachen ist die, dass das Foto „eigentlich“ schon bei der Belichtung weitgehend fertig sein soll. Daher betreibe ich vor Ort einen erheblichen Aufwand: Bei der Bildfindung, bei der Wahl der Perspektive und beim Ausarbeiten des Inhalts einer Szene. Bei der technischen Ausgestaltung betreibe ich zudem einen großen Aufwand bei der Ausleuchtung.
In Industrie, Technik, Wissenschaft und Medizin findet man nur selten gute und interessante Lichtverhältnisse vor. Die Gegebenheiten vor Ort sind von der Funktionalität bestimmt: Das Licht ist flach, langweilig, kommt von oben und hat nicht selten auch noch üble Farbstiche. Daher ist es mir wichtig, dabei meine eigenen Akzente zu setzen, oft lasse ich die Hallenbeleuchtung ausschalten und schaffe mit großen und kleinen Blitzen, mit LED-Dauerlichtern und speziellen Effektleuchten die Atmosphäre, die mir für das jeweilige Bildmotiv richtig und wirkungsvoll erscheint.
Schöner Nebeneffekt: Die Kundschaft sieht bereits vor Ort auf den JPG-Bildvorschauen auf dem iPad das (fast) fertige Bild und kann direkt beurteilen, was sie da am Ende bekommen wird. Und ich muss nicht dauernd sagen: „Das Bild mache ich später in Photoshop dann noch richtig schön!“
Aber trotzdem findet natürlich eine Bildbearbeitung statt: Bei mir fast immer ausschließlich in Capture One. Ich nutze meist die Fujifilm-Filmsimulation Provia als Ausgangspunkt, verstärke ein wenig Kontrast und Klarheit und verwende auch gelegentlich das genial intuitive Ebenenwerkzeug von C1, um selektive Korrekturen vorzunehmen – zum Beispiel beim Weißabgleich oder bei Farbverschiebungen.
Photoshop kommt fast nie zum Einsatz – und meine PS-Künste sind, ehrlich gesagt, auch arg begrenzt. Ich hatte nie Lust auf Montagen oder abgefahrene Bildbearbeitungen und war immer der Meinung: Wenn das Foto schlecht fotografiert ist, wird es mit Photoshop auch nicht besser.
Luminar-Wundertüte
So weit, so gut. Jetzt kommt aber Luminar daher und bietet allerlei Regler und Funktionen an. Zum Beispiel: „Enhance“, „Mystisch“, „Neubelichten“ oder „Leuchten“. Alles Funktionen, bei denen man nicht so unbedingt weiß, was die Software da eigentlich macht, die aber dennoch eine mehr oder minder subtile oder massive Änderung im Bild herbeiführen – abhängig davon, auf wie viel Prozent man die Wirksamkeit der jeweiligen Funktion einstellt.
Was auch sehr cool für mich als Retusche-Muffel ist: Das Radieren-Werkzeug. Man hat ein störendes Element im Bild und möchte es entfernen. Die „künstliche Intelligenz“ – die ja nichts anderes ist als ein Haufen von Algorithmen und angelernten Mustern – kann da enorm helfen: Man markiert einfach das Element mit einem Pinsel und drückt auf „Radieren“. Und dann wirkt die Wundertüte in der Software und das Ergebnis ist oft verblüffend gut. Das Element ist verschwunden und durch unauffällig funktionierende Pixel ersetzt worden. Oft jedenfalls.
Manchmal funktioniert es auch gar nicht und das Ergebnis ist katastrophal. Oder irgendwas dazwischen und das Resultat der „KI“ taugt bestenfalls als Ausgangspunkt für weitere manuelle Retuschen.
Was mir auch sehr vielversprechend erscheint: In Luminar Neo gibt es neuerdings über die Ebenen-Funktion die Möglichkeit, überlagernde „Blendenflecken“ oder „Lichtlecks“ in das Bild hineinzurechnen. Wenn man das einfach 1:1 und bei 100 % einsetzt, sehen die Ergebnisse in der Tat immer gleich aus. Aber wenn man die Regler subtil benutzt und die Manipulation anschließend bei Teilen des Bildes wieder wegradiert, können durchaus interessante und subtile Effekte zum Beispiel im Hintergrund eines Fotos genutzt werden.
Exkurs zu Neo
Das alles klingt ganz positiv und neugierig-machend und ist es auch. Aber harte Kritik muss auch sein: Luminar Neo, das erst vor wenigen Tagen als Finalversion herausgekommen ist, ist buggy, hat Performanceprobleme und verfügt noch nicht einmal über den versprochenen Leistungsumfang. Das ist keine Vollversion, sondern allenfalls eine 0.8-Beta. Das ist schon ziemlich dreist vom Hersteller. Deshalb ist es derzeit absolut nicht empfehlenswert, diese Software als Standard-Werkzeug einzusetzen: Sie taugt momentan nur für die Spielwiese, nicht für verlässliche Produktivarbeit.
Entrückte Roboter
Genau so habe ich die Software bei meinem Motiv mit den fünf Robotern auch eingesetzt. Nach der Standard-Bearbeitung in Capture One kamen die oben erwähnten Funktionen zum Einsatz. Natürlich subtil, nie bei 100 % und zum Teil auch nur selektiv angewendet.
Das Ergebnis gefällt mir richtig gut: Das Bild ist leuchtender, intensiver und subtiler geworden. Hätte ich das auch auf anderem Wege erreichen können? Sicherlich, ja. Wüsste ich – Stand heute – wie? Nein, keine Ahnung. Wäre es in Photoshop schneller gegangen? Ganz sicher nicht.
Fühle ich mich von der KI in Luminar als Kreativer bedroht? Nein, nicht im Geringsten. Nüchtern betrachtet können diese Filter und Werkzeuge eigentlich sehr wenig, irren sich oft und haben keinerlei kreatives Potenzial. Aber man kann sie sich für seine Zwecke und Ambitionen nutzbar machen. Wenn mir das Arbeit abnimmt und Zeit einspart, nehme ich das dankbar an.