15. Februar 2022 Lesezeit: ~6 Minuten

Wer war Charles Clyde Ebbets?

„Mittagspause auf dem Wolkenkratzer“ ist eines der bekanntesten Fotos des 20. Jahrhunderts. Es zeigt elf Bauarbeiter auf einem Stahlträger des Rockefeller Centers, die in höchster Höhe über New York sitzen. Jeder von ihnen hält eine Brotdose oder ein Getränk in der Hand und tut so, als wäre es das Normalste der Welt, scheinbar ungesichert in etwa 250 Metern Höhe zu sitzen, um Pause zu machen.

Nur ein Mann schaut mit zusammengekniffenen Augen direkt in die Kamera. Aber wer stand eigentlich dahinter? Warum ist der Fotograf nahezu unbekannt? Ein wichtiger Grund dafür ist sicher, dass das Bild lange fälschlicher Weise Lewis Hine zugeordnet wurde. Noch in Sachbüchern vom Anfang der 2000er Jahre findet man das Bild mit dem falschen Urheberhinweis.

Lewis Hine war ein sozialdokumentarischer Fotograf, der mit seinen Arbeiten auf die schwierigen Arbeitsbedingungen der armen Bevölkerung in Amerika aufmerksam machte. Von ihm gibt es tatsächlich einige Aufnahmen von den Bauarbeiten des Empire State Building. Diese waren jedoch nie stark inszeniert, sondern zeigten die Menschen eher dokumentarisch.

Die berühmte Aufnahme der Bauarbeiter auf dem Stahlträger ist im Gegensatz dazu werblich und wurde klar inszeniert. Wie man sie Lewis Hine zuordnen konnte, ist aus heutiger Sicht daher wenig verständlich. Erst 2003 entdeckte das Bettman-Archiv den wahren Fotografen hinter dem Foto wieder. Es ist der 1905 in Alabama geborene Charles Clyde Ebbets.

1932 wurde er beauftragt, den Bau des Rockefeller Centers zu dokumentieren, der von 1931 bis 1940 andauerte. In dieser Zeit entstanden neben dem so berühmten Bild noch viele weitere, die das Großprojekt weltweit bekanntmachen sollten. Das Hauptmotiv dabei waren stets die sogenannten Skywalkers. Die Stahlarbeiter balancierten dafür auf den 15 bis 20 cm breiten Strahlträgern, machten ein Nickerchen in 200 m Höhe oder lächelten einfach für die Kamera, während sie der harten Arbeit nachgingen.

Den Job hatte Ebbets seinem Wagemut und seiner großen Abenteuerlust zu verdanken. Im Alter von nur acht Jahren erhielt er seine erste Kamera, eine Kodak Brownie. Nach Abschluss der 10. Klasse zog er nach Montgomery, Alabama, und begann für eine Zeitung der Stadt zu arbeiten. Er reiste für seine Aufnahmen durch den Süden des Landes und machte dabei einige spektakuläre Action- und Tieraufnahmen, sowie einige frühe Luftbilder. Dank dieser Bilder hatte er schnell einen guten Ruf und wurde 1932 der fotografische Leiter des gewaltigen Bauprojekts.

Das Unterfangen begann in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit kurz nach dem Beginn der Großen Depression. Ebbets’ Aufgabe bestand deshalb darin, das Rockefeller Center in ein möglichst gutes Licht zu rücken und auf die Titelseiten der Zeitungen zu bringen. Mit dem ikonischen Bild der Stahlarbeiter gelang ihm dies ohne Zweifel. Am 2. Oktober 1932 wurde es in der New York Herald Tribune veröffentlicht.

Eine ausführliche Dokumentation zum Hintergrund des Bildes, der damaligen Zeit und den Arbeitern.

1935 zog er nach Südflorida und wurde einer der ersten offiziellen Associated-Press-Fotograf*innen für die schnell wachsende Region. Es war auch das Jahr des verheerenden Hurrikans der Kategorie 5 am Labor Day, der einen Großteil der Florida Keys zerstörte. Charles war der erste Fotograf vor Ort und arbeitete drei Tage lang am Stück daran, die Fotos, die das ganze Ausmaß des Unglücks zeigten, im ganzen Land bekannt zu machen. 1938 gründete er die Miami Press Photographer’s Association und wurde zu ihrem ersten Präsidenten gewählt.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als fotografischer Leiter für das Embry-Riddle Aeronautical Institute in Florida und Südamerika und dokumentierte alle Phasen der militärischen Operationen. Nach Kriegsende gründete er 1945 zusammen mit einem lokalen Publizisten das City of Miami News Bureau und von 1945 bis 1962 arbeitete er als Cheffotograf des Miami Publicity Department.

Er gewann mehrere Preise für seine Tierfotografien, seine umfangreiche Arbeit über den Stamm der Seminolen-Indianer und erhielt nationale Anerkennung. Seine Arbeiten wurden in den größten Magazinen Amerikas wie der The New York Times und dem National Geographic abgedruckt. 1962 zog er sich aus seiner festen Arbeit bei der Miami City zurück, fotografierte jedoch bis zu seinem Tod im Alter von 72 Jahren weiter freiberuflich.

Sein vielleicht bekanntestes Bild „Mittagspause auf dem Wolkenkratzer“ gibt nach wie vor Rätsel auf. Immer wieder wird spekuliert, wer die Männer auf dem Stahlträger sind – unzählige New Yorker*innen sind sich sicher, dass ihr Urgroßvater darauf zu sehen ist und die New Yorker Skyline mitgestaltet hat. Auch, ob die Aufnahme tatsächlich von Ebbets stammt, wird in einigen Quellen noch angefochten. Der Grund dafür ist, das am Tag der Aufnahme zwei weitere Fotografen vor Ort waren: William Leftwich und Thomas Kelley. Auch sie selbst sind auf einigen Aufnahmen zu sehen, wie sie wagemutig auf den Stahlträgern stehen, um den Bau zu dokumentieren.

Auf dem Glasnegativ, das mittlerweile in drei Teile zerbrochen ist, stehen weder der Name des Fotografen, noch die der Arbeiter. Zur damaligen Zeit wurde dem Bild noch nicht die Bedeutung beigemessen, die wir heute damit verbinden. Die Fotografie war keine anerkannte Kunstform, der Fotograf nur ein Dienstleister. So bleibt dieses so populäre Foto weiterhin ein kleines Mysterium, das das komplette Werk des Fotografen in den Schatten treten lässt.

Die Rechte an den Bildern von Charles Clyde Ebbets liegen zum Teil bei Corbis. 2016 wurden einige an die Visual China Group verkauft. Aus diesem Grund bleibt dieser Artikel leider unbebildert.

Quellen

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