Flohmarktfund Fotopostkarten
Ich weiß nicht, wonach Ihr auf Flohmärkten so sucht. Alte Kameras vielleicht? Oder Bücher? Ich habe für mich vor kurzer Zeit Fotopostkarten entdeckt. An einem Stand lag ein Kästchen voller Vintagefotos. Aber es waren nicht einfach nur Schwarzweiß-Portraits, sondern Postkarten. Auf den Rückseiten waren Adressen und Grußbotschaften zu lesen.
Das machte die Faszination perfekt. Der Poststempel verriet das Alter der Karten: 1907, 1909, 1914. Über 100 Jahre alte Bilder. Diese Menschen wussten nicht, dass ihnen zwei Weltkriege bevorstanden. Was ist wohl aus ihnen geworden? Durch die Karten kenne ich ihre Namen, ich weiß, wo sie lebten und einige verrieten in ihren Grüßen auch noch etwas über sich selbst:
Wie gefällt dir mein Bild? In Wirklichkeit bin ich nicht so sanft, wie ich hierauf aussehe, sondern sogar recht lustig. Na, für diese traurige Zeit, passt’s ja gerade.
Das Bild zeigt eine wirklich schüchtern wirkende Frau in einem weißen Kleid. Ein Buch liegt aufgeschlagen auf ihrem Schoß, doch sie blickt direkt in die Kamera. Die Karte ist auf den 27. September 1914 datiert. Nur wenige Tage vorher erklärte Deutschland Frankreich den Krieg. Sicher spielt die junge Frau darauf an, wenn sie von trauriger Zeit schreibt. Die Karte geht an ihren Onkel: 7. Kompanie, Landwehr-Inf. Reg. Nr. 15.
Ich beginne damit, die Einheit zu googlen, dann die Namen der Frau und des Onkels. Ich schaue mir die Orte an und fühle mich wie eine Detektivin. Was mich fasziniert, löst auch gleichzeitig ein Unbehagen aus. Ich lese Botschaften, die nicht für mich bestimmt waren. Als würde ich heimlich die Whatsapp-Nachrichten in einem fremden Handy einsehen. Aber meine Neugierde lässt mich die Karte kaufen. Die junge Frau, die mich schüchtern mit einem Buch auf dem Schoß anblickt, ist heute sicher schon tot. Ist es dann in Ordnung, dass ich diese Karte kaufe, ist es legitim, dass ich das Foto hier zeige?
Zu Hause lese ich mich etwas in die Geschichte der Postkarten ein und tatsächlich hatten die Menschen bei der Einführung im Jahr 1869 ähnliche Bedenken. Man fürchtete, Dienstbot*innen könnten die Nachrichten lesen und das Briefgeheimnis sei verloren. Zudem machte man sich große Sorgen, dass durch die verkürzten Texte die Kunst des Schreibens gefährdet sei.
Die meisten Menschen kümmerte das nicht und sie nahmen die neue Kommunikationsmöglichkeit dankbar an. Zum Verkaufsstart in Berlin am 25. Juni 1870 wurden mehr als 45.000 Karten verkauft! Die ersten Karten waren jedoch noch ziemlich langweilig. Auf der Rückseite war Platz für das Adressfeld, die Vorderseite war für die eigentliche Nachricht gedacht.
Fähige Geschäftsleute kamen schnell auf die Idee, dass sich die Karten mit Hilfe von kleinen Grafiken noch besser verkaufen lassen würden. In den 1880er Jahren sieht man Stadtansichten und Sehenswürdigkeiten auf der Vorderseite. Das Problem war nun, dass die Vorderseite für die eigentliche Nachricht gedacht war und nicht für Bilder. So mussten die Menschen Grüße im Kreis um das Motiv herum schreiben. Erst 1905 erlaubte die Post das Beschreiben der Rückseite und führte die getrennte Adress- und Nachrichtenseite ein. Nun war genug Platz für vollformatige Fotografien.
Meine Flohmarktfundstücke stammen alle aus der Zeit danach. Die älteste Karte wurde 1907 mit Weihnachtsgrüßen verschickt und zeigt eine Frau mit einem Kind betend vor dem Weihnachtsbaum. Eine weitere von 1909 trägt Grüße von Eltern an ihre Tochter. Das Bildmotiv auf der Vorderseite zeigt ein Mädchen mit einem Strauß Weidenkätzchen. Als ich die Karte kaufte, erklärte mir der Verkäufer, dass das Kindermodell ein beliebtes Sammlermotiv ist.
Ganz persönliche Karten mit solchen individuellen Fotografien wie die „meiner“ schüchternen jungen Frau sind eher selten. Die meisten Fotos sind in Massen produzierte Motive mit Modellen, die Fotoateliers als Grußkarten verkauften. Wie lukrativ das gewesen sein muss, zeigen die Statistiken der Post. 1900 wurden allein im Deutschen Kaiserreich 954,9 Millionen Karten verschickt.
Diese Kartenmenge erklärt vielleicht auch, wie ein ganzer Schuhkarton voller Postkarten auf einem Flohmarkt bei mir in Bonn landen konnte. Selten sind die alten Karten nicht. Später habe ich sogar noch einen weiteren Stand gefunden, der sich ausschließlich auf Feldpostkarten spezialisiert hat. Aber es gibt viele Sammler*innen, die nach ganz bestimmten Motiven Ausschau halten. Einige suchen nach bestimmten Modellen. Andere nach Weihnachtsmotiven oder Fotografien, die die Mode des 19. Jahrhunderts besonders gut zeigen.
Es gibt Sammler*innen, die sich auch auf ganz ungewöhnliche Motive spezialisieren. Vielleicht kennt Ihr ja die vom Verlag Hatje Cantz publizierte Sammlung von Jochen Raiß namens „Frauen auf Bäumen“ .
Ich weiß nicht, ob ich jetzt anfange, gezielter nach Karten zu suchen oder gar ein bestimmtes Motiv zu sammeln, aber ich kann diese Faszination durchaus nachvollziehen. Ich habe meine Karten öfter in die Hand genommen und die Grußbotschaften darauf entziffert. Es ist etwas Persönliches. Und allein, dass ich von „meinen“ Karten schreibe, zeigt das wahrscheinlich sehr gut.
Habt Ihr schon solche Postkarten auf Flohmärkten entdeckt? Sammelt Ihr vielleicht sogar selbst? Verratet es mir gern in den Kommentaren.