09. September 2021 Lesezeit: ~11 Minuten

Werkstattbuch: Der Wert der (professionellen) Fotografie

Das „Werkstattbuch Fotografie“ ist eine neue Serie hier auf kwerfeldein und auf meinem Blog. Darin will ich in regelmäßigen Abständen über Fotografie nachdenken, Geschichten erzählen, Beobachtungen liefern und Einsichten präsentieren. Es sind lauter Essays – mal länger, mal kürzer –, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem großen Themenfeld der Fotografie auseinandersetzen.

Da können technische Betrachtungen eine Rolle spielen – oder auch philosophische. Da geht es um die Praxis aus dem Berufsalltag – aber auch um Ästhetik und Rezeption. Oder um Geld. Da geht es um emotionale Zustände und um faktische Analysen. Ich erzähle von Begegnungen, Erlebnissen und Erkenntnissen.

Ich berichte aus der Perspektive eines professionell agierenden Corporate- und Industriefotografen, der aber auch „frei“ fotografiert, kreative Projekte verfolgt und natürlich auch Rezipient von Fotografie ist: Ich sammle zu bestimmten Schwerpunktthemen Fotobücher und Drucke, ich verfolge die Entwicklung der Fotografie unter vielerlei Aspekten und ich bin nicht zuletzt auch Interessensvertreter, Lobbyist und Funktionsträger als Vorstandsmitglied des Berufsverbandes FREELENS.

Alles in allem geht es mir darum, interessante Geschichten aus meiner Wahrnehmung der Welt der Fotografie zu erzählen – ich freue mich über Interaktion, Diskussion, über Fragen und über Einwände. Habt Spaß!

Der Wert der (professionellen) Fotografie

„Fotografie ist heute nichts mehr wert.“ – Diese Aussage ist spätestens seit der Digitalisierung der Fotografie immer wieder gesagt, geschrieben und fast manisch wiederholt worden. Und garniert wird diese Aussage häufig mit scheinbar alarmierenden Zahlen: Soundsoviel Millionen Fotos werden pro Stunde oder pro Tag auf Instagram oder Facebook hochgeladen.

Es sei schon alles fotografiert worden, es gäbe nichts Neues mehr. Und gegenüber „früher“ würden die Honorare sinken und die Produktionsbedingungen allgemein viel schlechter sein.

Bilderfluten

Auf den ersten Blick erscheint das durchaus einleuchtend, die ja tatsächlich existierende „Bilderflut“ klingt nach Inflation und nach Entwertung. Wie kann etwas, was es scheinbar im Überfluss gibt, noch wertvoll sein?

Ich kann dieser Argumentation trotzdem nicht folgen. Der Umstand, dass Millionen und Milliarden von Menschen mehr denn je fotografieren, ist eher ein Grund, anzunehmen, dass die Fotografie und ihre Wirkung ja offenbar sehr geschätzt werden. Fotografie ist beliebter (und, ja: auch verfügbarer) denn je. Menschen kommunizieren immerzu mit Bildern – und das ist ja eigentlich ein Kompliment an das Medium und seine Macht.

Wenn daher der „Wertverlust“ der Fotografie beklagt wird, dann schwingt bei vielen Profis da auch so etwas wie Nostalgie mit. Da wird die „goldene Zeit“ der Fotografie beschworen, wie sie irgendwann zwischen 1950 und vielleicht 2000 existiert hat.

Zeiten, in denen (erfolgreiche) Werbefotograf*innen höchstes gesellschaftliches Ansehen genossen und tolle Honorare einfuhren. Zeiten, in denen (erfolgreiche) Fotojournalist*innen von Europa und Amerika aus in die Welt ausschwärmten, oft wochenlang an einer Geschichte arbeiten durften und dabei auch noch ordentlich bezahlt wurden. Und Zeiten, in denen lokal und regional zum Beispiel (technisch versierte) Studiofotograf*innen mit sauberer Katalogfotografie gutes Geld verdienen konnten.

In dieser (analogen) Zeit war es in der Tat sehr viel schwieriger, zu einem druckfähigen Bildergebnis zu kommen als heute. Eine nur leicht unter- oder überbelichtete Diaserie war ein Fiasko, insgesamt war sehr viel mehr Erfahrung und technische Produktionssicherheit nötig, um in diesem Beruf bestehen zu können.

Und deshalb war wahrscheinlich der „Wert“ eines schlichten Produktfotos damals tatsächlich höher als heute: Ein druckfähiges Bild von einer Weinflasche kann man heute zur Not tatsächlich mit einem Mobiltelefon in der Abenddämmerung machen – in früheren Zeiten brauchte man dafür einen gut ausgebildeten Profi, der wusste, was im Studio zu tun ist.

Ist die heutige Fotografie also wirklich „wertlos“ geworden? Stimmen die Weltuntergangsszenarien? Wie steht es wirklich um den „Wert“ der Fotografie?

Umbrüche und Revolutionen

Die Fotografie hat im Laufe ihrer Geschichte schon viele Umbrüche, Paradigmenwechsel, technische Revolutionen und andere schockierende Ereignisse verkraften müssen. Sie war von Beginn an ein Medium, das sich extrem schnell und sehr radikal verändert hat. Technische Umwälzungen spielten dabei genauso eine Rolle wie Veränderungen in der Medienlandschaft oder im Rezeptionsverhalten des Publikums.

Diese unglaublich dynamische Entwicklung hält bis heute an. Alle Menschen, die in irgendeiner Weise in der Fotografie unterwegs sind, spüren dies fast täglich, verändern ihre Haltung, modifizieren ihre Strategien und reagieren fast tagesaktuell auf Neuerungen und Entwicklungen. Das gilt für die „knipsenden Normalbürger*innen“ mit Mobiltelefonen genauso wie für die ausgebufften Profis, die in der Werbeindustrie ihr Geld verdienen.

Einen großen Paradigmenwechsel haben wir aber unwiederbringlich schon seit Jahrzehnten hinter uns: Es gab eine Zeit, da war die Fotografie das führende und maßgebliche bildgebende Medium in der „Vermittlung von Wirklichkeit“. So sehr dieser Begriff diskussionswürdig ist, so vital war die Szene des Fotojournalismus in den 1920er und 1930er Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg in den 50er und 60er und vielleicht auch noch 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Bis sie vom Fernsehen als führendes Medium abgelöst wurde.

Ab diesem Zeitpunkt waren die Karten neu verteilt, und Bilder gab es auf einmal nicht mehr nur gedruckt in Büchern, Magazinen, Tageszeitungen, Broschüren, Plakaten oder Anzeigen – sondern auch und mit sehr starker emotionaler Wirkung als Bewegtbild im Fernsehen. Es ist kein Zufall, sondern ein klares Zeichen, dass das weltberühmte Wochenmagazin LIFE erstmals 1972 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt wurde.

Nichtsdestotrotz war die Fotografie als Erlebnisraum auch danach noch durchaus präsent. GEO wurde 1975 gegründet und bis in die 1990er Jahre war die fotojournalistische Szene durchaus vital und mindestens teilweise auch lukrativ.

Mit der Digitalisierung der Fotografie ab dem Jahr 2000 etwa änderte sich einmal mehr sehr viel. Eine massive Zäsur fand statt, wobei der eigentliche Grund gar nicht mal die neue Aufnahmetechnik war. Es war vielmehr der Siegeszug des Internets und dessen wachsende Bedeutung auf vielen Ebenen.

Ab den 1990er Jahren erlebt die professionelle Fotografie also gleich einen mehrfachen Wandel:

  • Bilder finden nicht mehr nur in Druckmedien statt, sondern auch sehr massiv im Fernsehen und im Internet.
  • Die Herstellung druck- und sendefähiger Bilder wird dank der Digitalisierung und der Nachbearbeitungsmöglichkeiten wesentlich leichter, die technischen Hürden sinken, auch Laien kommen zu technisch guten Ergebnissen.
  • Die Märkte verändern sich radikal: Werbung findet nicht mehr nur in Zeitungen und Magazinen statt – sondern eben auch im TV und im Internet. Die Etats werden viel mehr gestückelt und kleinteiliger verteilt: Die Honorare für die Bildkreativen landen damit nicht mehr nur bei Fotograf*innen, sondern auch bei den Produzent*innen von Werbeclips oder Social-Media-Kampagnen.
  • Durch die Abschaffung der Meisterpflicht und nicht zuletzt aufgrund der zugänglicheren Produktionstechnik sind auf einmal viel mehr Fotograf*innen semi- oder vollprofessionell tätig.

Und was heißt das jetzt für die (professionelle) Fotografie heute? Ist das goldene Zeitalter wirklich vorbei? Hat die Fotografie wirklich keinen Wert mehr? Ich sehe das nicht so. Allerdings bedarf es eines differenzierten Blicks auf die Märkte und auf die Realitäten unserer Zeit.

Ja, es stimmt, dass Millionen und Milliarden von Fotos täglich gemacht und gepostet werden und die sozialen Medien überschwemmen. Hierbei handelt es sich jedoch in der überwältigenden Mehrheit um Bilder, die von Privatleuten gemacht werden und auch eine rein private Kommunikationsabsicht haben.

Wer gewinnt, wer verliert?

Bleiben wir bei der professionellen Fotografie. Dabei ist es wesentlich, die einzelnen Märkte, Sujets und Kommunikationsfelder genauer zu betrachten:

  • Der Fotojournalismus als Geschäftsfeld ist mausetot. Tageszeitungen und Magazine haben ihre Bedeutung und ihre Finanzkraft eingebüßt; entsprechend wird bei der Fotografie gespart.
  • Die beauftragte Reisefotografie gehört ebenfalls zu den Verlierern: Wenn selbst renommierte Verlage ihre Bildbände mit billigen Fotos aus Stockagenturen zusammenschustern, ist der einstige Traumberuf nur noch ein Schatten seiner selbst.
  • Privatkundschaft- und Hochzeitsfotografie ist zu einem stark umkämpften Markt geworden und schon lange nicht mehr in den Händen der klassisch ausgebildeten Fotobetriebe; hier existieren Dumpinghonorare neben Luxusproduktionen – eine sehr heterogene Szene.
  • Stock- und Agenturfotografie verkam zu einem Schlachtfeld der Billigpreise; nur noch wenige Profis können sich da behaupten.
  • Von der Fotografie im Bereich News und Sport haben mal viel mehr Menschen gut leben können, als es heute der Fall ist.
  • Messe- und Eventfotografie ist – wenn nicht gerade Lockdown ist – auch heute (bzw. hoffentlich demnächst wieder) ein funktionierendes Feld für Profis mit den passenden Fähigkeiten.
  • Bei der nternehmens- und Corporate-Fotografie würde ich beinahe von einem Boom sprechen. Fast jedes Unternehmen ist heute im Internet mit einer Webpräsenz vertreten, sehr viele kümmern sich um Sichtbarkeit auf Social-Media-Kanälen. Der Bildhunger ist bei über 3 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland (von großen Mittelständlern und Konzernen ganz zu schweigen) ungeheuer groß – ein reiches Feld für Leute, die daran Spaß haben.
  • Spezialmärkte wie Theater-Fotografie, Architekturfotografie, Mode usw. sind meiner Einschätzung nach auch heute noch weitgehend in der Hand von Profis, die auf sehr unterschiedliche Weise agieren.
  • Und auch die Werbefotografie ist natürlich weiterhin existent und vital – wenn sie auch mit kleineren Etats, mehr Konkurrenz und der Zersplitterung der Werbekanäle zu tun hat.
  • Das Bewegtbild ist für viele Profis zu einem zusätzlichen Standbein geworden. Man braucht nicht mehr die sündhaft teure Technik vergangener Zeiten, kann sich recht schnell einarbeiten und professionelles Material anbieten.

Also: ein buntes Feld. Viele hochgeschätzte Sujets der Fotografie haben massiv an Attraktivität – und damit tatsächlich auch an Wert – verloren. Andere hingegen leben weiterhin, auch auf durchaus anständigem Niveau. Manche Bereiche sind im Wachstum begriffen oder verlagern sich zugunsten der Fotograf*innen.

Allen gemeinsam aber ist, dass sie sich gegenüber Amateur*innen behaupten müssen und erkennbar besseres Material bieten können sollten. Wer in diesen Beruf will, sollte sich die Märkte daher gut anschauen und prüfen, ab und wie man sich darauf einlässt.

Da, wo realistische Chancen bestehen, mit der Kunst der Fotografie Geld zu verdienen, ist der „Wert“ guter Fotografie weiterhin gegeben. Fantasiehonorare für große Werbekampagnen werden seltener sein, aber Geld verdienen lässt sich in den vitalen Bereichen der Fotografie nach wie vor.

Der eigentliche Wert der Fotografie ist ja nicht nur der, der sich im Honorar für die Bildschaffenden ausdrückt. Sondern er liegt in der starken emotionalen Wirkung, die eine gute Fotografie heute genau wie zu allen Zeiten hat. Und das können eben nicht alle: Auch heute noch ist es – trotz all der technischen Fortschritte, der digitalen Revolution, der Möglichkeiten in der Bildnachbearbeitung usw. – richtig schwierig, ein gutes Foto zu machen.

Ein Bild, das eine Idee formal, technisch, emotional, gestalterisch und inhaltlich auf den Punkt bringt; das eine Botschaft hat, die verstanden wird. Und dafür braucht es auch weiterhin Leute, die diese Kunst mit Hingabe, Begeisterung, Talent und technischen Fähigkeiten ausüben. Sie sorgen letztlich dafür, dass der Wert der Fotografie erhalten bleibt.

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