23. Juni 2021 Lesezeit: ~7 Minuten

Facing Gender – im Gespräch mit Juliane Herrmann

Noch bis zum 27. Juni findet das f2 Fotofestival im Ruhrgebiet statt. Das Festival steht unter dem thematischen Oberbegriff „Identität“ und bietet insgesamt 16 Fotoausstellungen, die über die Region verteilt sind. Daneben findet ein umfangreiches Rahmenprogramm statt. Die Ausstellungen sind teilweise auch über den Festivalzeitraum hinaus zu sehen.

Ich sprach mit Juliane Herrmann, Dokumentarfotografin und Kuratorin, die eine der größten Ausstellungen des Festivals – „Facing Gender“ – im Kulturort Depot in Dortmund realisiert hat. Diese Ausstellung ist noch bis zum 4. Juli geöffnet.

Ausstellungsplakat mit der Aufschrift "Facing Gender"

© Christian Ahrens

Juliane, worum geht es bei „Facing Gender“?

Als der Wunsch an mich herangetragen wurde, die Ausstellung im Depot zu kuratieren, habe ich mich in Abstimmung mit der Festivalleitung für das Thema „Gender“ entschieden. Es sollte eine Ausstellung mit diversen fotografischen und inhaltlichen Positionen werden, die das soziale Geschlecht aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Es geht um Männlichkeit, Weiblichkeit und Queerness. Es geht um die soziale Konstruktion von Geschlecht, um Erziehung und um die Beziehungen zwischen Menschen. Diese Themenfelder können in der Ausstellung an exemplarischen Arbeiten erkundet werden.

Wie bist Du zu den Künstler*innen und den Arbeiten gekommen?

Insgesamt werden in der Ausstellung zwölf fotografische Arbeiten gezeigt. Sie stammen von internationalen Künstler*innen – mit völlig unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Als ich mit dem Projekt begann, hatte ich bereits einige Positionen zu diesem Thema im Sinn, aber natürlich habe ich mich auch umgeschaut, recherchiert, Professor*innen und Künstler*innen gefragt, sehr viele Portfolios gesichtet – und auch schlicht und einfach gegoogelt.

So kamen nach und nach die verschiedenen Beiträge zusammen, die in der nun fertigen Ausstellung ein sehr vielfältiges Themenspektrum zeigen.

Ausstellungshalle

© Christian Ahrens

Der Titel „Facing Gender“ ist ja sehr weit interpretierbar.

Ja und das soll auch so sein. Es gibt ja nie nur eine Identität im Menschen, genauso ist es beim Thema Gender auch.

Unser Ansatz war, eher Fragen aufzuwerfen als Antworten zu geben, spannende Einblicke in unterschiedliche Lebensrealitäten und Haltungen zu vermitteln und damit die Sicht der Betrachter*innen auf das Thema zu erweitern. Die Ausstellung ist eine Einladung an alle Gäste, sich mit der Komplexität von „Gender“ auseinanderzusetzen.

Am Anfang des Prozesses stand das Thema – und erst als die Ausstellung Form angenommen hatte, kam der passende Titel dazu.

Bei aller Vielfalt der Positionen – gibt es eine inhaltliche Klammer über das Kernthema hinaus?

Ja. So divers die Arbeiten sind, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie sind alle aus einem sehr persönlichen Umfeld heraus fotografiert worden. Es gibt immer einen ganz individuellen Bezug der Künstler*innen zum Thema. Die Arbeiten entstanden alle aus einer persönlichen Bewegtheit heraus. Sie sind damit sehr empathisch, einfühlsam und sehr „nah dran“.

Dieser Ansatz zieht sich durch die ganze Ausstellung und unsere Gäste haben uns vielfältig gespiegelt, dass das auch ankommt.

Die fotografische oder ästhetische Herangehensweise dagegen ist jeweils sehr unterschiedlich: Es wird in verschiedenen Stilen fotografiert, es gibt dokumentarische und inszenierte Ansätze und eine große Palette inhaltlicher Positionen.

Ausstellungshalle

© Christian Ahrens

Des Ausstellungsdesign ist mit seinem verschachtelten Aufbau und den langen Vorhangbahnen sehr ungewöhnlich.

Ja, da ist etwas Außergewöhnliches entstanden. Das Design wurde von Studierenden des Masterstudiengangs Szenografie der FH Dortmund erarbeitet. Es ist das Ergebnis eines Seminars, das Prof. Martin Middelhauve und ich im Vorfeld der Ausstellung veranstaltet haben – interessanterweise haben sich ausschließlich weibliche Studierende für dieses Seminar angemeldet, aber ebenfalls sehr international und mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen.

Wie seid Ihr bei der Entwicklung des Ausstellungsdesigns vorgegangen?

Der erste Schritt war, dass ich im Seminar zunächst die ausgewählten Arbeiten und Künstler*innen vorgestellt habe. Dabei habe ich erst einmal nur mit Worten erklärt, worum es in den einzelnen Positionen geht und was zu sehen sein wird. Auf dieser Basis entstand das Grundkonzept.

Da alle Arbeiten sehr unterschiedlich sind, sollte jede Position einen eigenen „geschützten“ Raum bekommen und auch im Spannungsfeld mit Texten stehen. So hat jede Arbeit einen auffälligen Titel zum Einstieg. Das Design spielt auch mit der Erwartung des Publikums, die sich daraus ergibt.

Das Depot ist eine historisch eher technisch geprägte Halle, in der früher Straßenbahnen repariert wurden. Wir haben diesen „männlichen“ Raum aufgebrochen – durch weiche Farben und lange Vorhänge, die von der Decke hängen. Die ursprüngliche Härte des Raums wird dadurch verändert und erhält eine andere Note.

Die Stellwände haben ansatzweise einen labyrinthischen Charakter, die transparenten Vorhänge trennen – aber sie ermöglichen auch Durchblicke und verbinden daher auch. Gäste der Ausstellung sind aufgefordert, den Raum und die Arbeiten aktiv zu erkunden.

Auch die einzelnen Arbeiten sind nie „mit einem Blick“ sichtbar. Sie erschließen sich erst durch die aktive Bewegung im Raum und durch das Einnehmen verschiedener Perspektiven.

Halle mit Vorhängen

© Christian Ahrens

Jede Arbeit hat auch einen vertiefenden Text.

Es erschien uns bei der Konzeption der Ausstellung sinnvoll, diese zusätzliche Ebene anzubieten. Auch hier gilt: Es sind sehr persönliche Texte, die von den Künstler*innen selbst stammen und auch sehr unterschiedlich sind. Manche haben einen erklärenden Charakter, andere sind eher essayistisch.

Was ist Deine persönliche Intention bei diesem Projekt?

Ich wünsche mir, dass sich viele Menschen auf die Ausstellung wirklich einlassen. Man erfährt beim Besuch sehr viel über sich selbst und über andere Menschen. Die Ausstellung ist nicht als elitäre Kunstveranstaltung konzipiert, sie richtet sich an jede*n von uns. Das Thema geht uns alle an, jede*r kann einen Zugang bekommen.

Die Ausstellung ist frei zugänglich, kostet keinen Eintritt und hat lange Öffnungszeiten: Wir wollten es den Menschen so einfach wie möglich machen.

Ausstellungsansicht

© Christian Ahrens

Wenn man durch die Ausstellung geht und die verschiedenen Stationen abschreitet, zählt man nicht zwölf, sondern insgesamt 13. Was hat es damit auf sich?

Das war eine Idee der Studentinnen, die auch selbst Teil der Ausstellung werden wollten. An der letzten Station können die Gäste mit Sofortbildkameras Fotos von sich selbst machen, so ebenfalls Teil der Ausstellung werden und ihre eigene Identität hinterfragen.

Danke für das Gespräch und ich wünsche Dir noch viel Erfolg mit der Ausstellung!

 

Informationen zur Ausstellung

Facing Gender
Kuratorin: Juliane Herrmann
Zeit: 17. Juni – 4. Juli 2021
Ort: Depot, Immermannstr. 29, 44147 Dortmund

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