Kolumne: „But I love women“ – Über Helmut Newton
Dieser Text ist im Rahmen unseres Podcasts „kwergehört – die Fotonachrichten“ entstanden und ist in Folge #6 zu hören. Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle erneut in schriftlicher Form, um eine Diskussion zum Thema anzuregen. Das Titelbild wurde uns freundlicherweise von Vera Rüttimann zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!
Genau wie mein Großvater wäre Helmut Newton in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Im Gegensatz zu meinem Großvater bekam Newton dieses Jahr aus diesem Grund eine Retrospektive in den Straßen Berlins. Genau genommen in einer Straße. Auf einer Länge von 85 Metern sah man im Oktober und November auf der Köpenicker Straße 30 Fotos aus Newtons Gesamtwerk als eine Art Freilichtausstellung.
Unbekannte Sprayer machten sich diesen Umstand zu Nutze und sprühten Sätze wie „Frauen sind nicht Dein Kunstobjekt“ oder „Sexismus ist keine Kunst“ über die Bilder. Wie so oft streiten sich über diese Aussagen die Geister und während Newton sich selbst eher als Feminist sah, ist wohl das Mindeste, was man von sein Bildern behaupten kann, dass sie provozieren und provozieren sollen. Im schlimmsten Fall kann man sie objektifizierend und frauenverachtend nennen.
Immerhin sprechen Newtons Bilder, auch wenn sie fetischisieren, zumeist von starken, dominanten Frauen und vielleicht kann man ihnen so eine bestimmte Form des Empowerments, in deren Darstellung Männer maximal Accessoires der dienenden Sorte sind, nicht ganz absprechen.
Dem entgegen sagte Isabella Rossellini im biografischen Film „Helmut Newton – The Bad and the Beautiful“ über das Shooting mit ihm und David Lynch: „Bei der Arbeit mit David Lynch und Helmut Newton wirst nicht Du selbst fotografiert, sondern ein Konzept, das sie verfolgen. Du bist nur die Projektionsfläche.“ Wie empowernd kann also ein Konzept sein, das sich Frauen nur als Projektionsfläche für die eigenen Fantasien und Ängste bedient und somit einseitig ist?
In demselben Film kann man zudem einen Ausschnitt aus einem Gespräch während einer französischen TV-Show von 1979 sehen, in dem die berühmte Feministin Susan Sontag und Newton aufeinandertreffen. Newton verteidigt Sontags Vorwurf der Frauenfeindlichkeit mit einem simplen „But I love women“, was natürlich mitnichten eine Absage an den Sexismus ist.
Susan Sontag antwortete darauf dann auch sehr wahr: „A lot of misogynistic men say that. I am not impressed.“ Newtons Argumentation ist somit exemplarisch dafür, wie uninformiert die ganze Debatte um Sexismus in der Fotografie oftmals noch stattfindet.
Nun ist Newton nicht der erste und vor allem auch nicht der letzte Fotograf, der sich Vorwürfen des Sexismus in seinen Bildern stellen muss. Andere Beispiele sind Terry Richards, Mario Testino, Bruce Weber und viele, viele mehr. Er ist allerdings immerhin einer der wenigen, die nicht auch noch von Vorwürfen der sexuellen Belästigung betroffen sind.
Alle der eben genannten Fotografen sind Modefotografen, haben für das Verlagshaus Condé Nast und andere große Namen gearbeitet und zeigen, dass gerade die Fashionfotografie mit oftmals noch sehr jungen Mädchen und den mehr als doppelt so alten, einflussreichen, männlichen Fotografen ein großes, strukturelles Sexismusproblem hat. Ein Problem, für dessen Lösung es nicht ausreicht, den einen oder anderen Fotografen wie Terry Richardson nicht mehr zu beauftragen.
Das Problem an der Wurzel anzupacken, erfordert allerdings viel Arbeit, gerade weil es ein komplexes Problem ist. Alle genannten Fotografen haben unsere Wahrnehmung und Sehgewohnheiten so sehr geprägt, dass es schon visuell oftmals schwer ist, Sexismus und Objektifizierung als solche zu erkennen und sie nicht ungewollt zu verteidigen, weil es eben als „schön“ empfunden wird.
Wenn wir uns dann, wie auch oft in Newtons Verteidigung geschehen, die Frage stellen, ob die Kunst nicht auch Missstände aufzeigen, Seximus anprangern kann und muss, dann muss sie natürlich eben jene Missstände auch konkret zeigen. Ansonsten könnte man ihr vorwerfen, Probleme zu beschönigen oder sie gar unsichtbar zu machen. Nadja Auermann sagt in „The Bad and the Beautiful“ über Newton: „Er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor.“
Wenn sich dann aber auf der anderen Seite visuelle Kunst gegen die Möglichkeit entscheidet, sich explizit zu erklären, wenn also eigentlich nie ganz klar ist, was wir als Betrachtende gerade sehen, muss sie sich auch verschiedenen, validen Interpretationsmöglichkeiten stellen. Und eine dieser validen Interpretationsmöglichkeiten kann dann auch in Formen von Protest enden, die beinhalten, dass Bilder mit Schriftzügen in roter Farbe übersprüht werden. So radikal die Kunst, so radikal der Protest.
Zumal sich die Frage stellt, wie viel Reproduktionen von Sexismus, mit welcher Intention auch immer, wir im Jahr 2020 noch brauchen, bevor wir das Problem zumindest erkennen.
Die Lösungsfindung wird uns wohl noch über Jahre hinweg begleiten. Vielleicht ist ein Fazit daraus, dass noch mehr Frauen hinter die Kamera müssen. Die Bilder von Alice Springs, Newtons Frau, sprechen eine völlig andere Sprache und zeigen ein im gegenseitigen Dialog stattfindendes Empowerment, welches die Person zeigt und nicht die Projektionen eines Mannes.