22. April 2020 Lesezeit: ~6 Minuten

ARTIST IN THE BOX – solidarisch Kunst verkaufen

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben die Kreativen kalt erwischt: Aufträge brechen weg, Ausstellungen müssen abgesagt werden und der eigene Handlungsspielraum ist stark eingeschränkt. Andererseits leistet die Situation Geburtshilfe für eine Reihe frischer Initiativen, auch und gerade im künstlerischen Umfeld.

Eine davon ist ARTIST IN THE BOX, eine Plattform für Fotografie, Grafik, Illustration und bildende Kunst, die seit Anfang April online ist. Ich sprach mit einer der Gründerinnen: Fotografin und Medienkünstlerin Marie Köhler.

Marie, was ist ARTIST IN THE BOX?

Im Kern ist ARTIST IN THE BOX eine Online-Plattform, die die Arbeiten von derzeit insgesamt 60 Künstler*innen zu einem moderaten Preis anbietet. Es sind bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten vertreten und die Preise für die A4-Drucke liegen einheitlich bei 119 €. Die Plattform stellt damit eine Möglichkeit dar, mit seinen Arbeiten auch während der Corona-Pandemie weiterhin sichtbar zu sein – und Umsätze zu generieren.

Das ist gerade jetzt besonders wichtig für uns Künstler*innen, weil wir derzeit praktisch keine Verdienstmöglichkeiten haben: Ausstellungen dürfen nicht mehr eröffnet oder besucht werden und das kulturelle Leben ist praktisch zum Erliegen gekommen.

Blick auf einen Strand

Complex Proeuropa Vama Veche Rumänien © Frederic Lezmi

ARTIST IN THE BOX ist ja sozusagen ein Kind der Corona-Pandemie. Wie kam es dazu?

Als mir bewusst wurde, dass diese Krise dazu führen würde, dass mindestens bis zum Ende des Jahres alle Jobs für Künstler*innen wegfallen würden, habe ich mir überlegt, was jetzt zu tun ist. Es gab ja erst einmal keinerlei konkrete Informationen zu Hilfsangeboten oder ähnlichem. Also habe ich alle möglichen Menschen dazu kontaktiert, Briefe an die Politik geschrieben und so weiter.

Der Stadtanzeiger berichtete darüber und auf einmal haben sich mehr als 120 Menschen bei mir gemeldet, die Geld überweisen wollten und Hilfe angeboten haben. Das war großartig, aber ich wollte nicht allein von dieser Hilfsbereitschaft profitieren, sondern etwas schaffen, das vielen Kreativen nützt. So entstand die Grundidee für ARTIST IN THE BOX.

Wie ging es weiter?

Mit Thekla Ehling und Juliane Herrmann fanden sich zwei weitere Gleichgesinnte – und kurz darauf war unser Sechser-Team mit Nina Poppe, Stefanie Sieben und Andrea Sieben komplett. Wir gründeten eine GbR, berieten uns mit Anwält*innen und Steuerberater*innen. Und jede von uns lud jeweils zehn Künstler*innen ein, ihre Arbeit über ARTIST IN THE BOX sichtbar zu machen. Dann folgte ein Drei-Wochen-Arbeitsmarathon, um die Webseite und das Shopsystem auf die Beine zu stellen. Am 8. April sind wir dann online gegangen.

Zwei junge Frauen sitzen auf einem Sofa und sehen in die Kamera

The Travellers © Birte Kaufmann

Wie läuft es denn an?

Es läuft tatsächlich sehr gut, wir haben sehr hohe Klickzahlen und auch bereits gute Verkäufe. Zeitweilig waren die Zugriffe auf unser Instagram-Konto und auch auf unser Paypal-Konto so hoch, dass uns erst einmal die Konten eingefroren wurden. Das ließ sich aber schnell klären und das Angebot blieb jederzeit nutzbar.

Etwas Besonderes ist der Verteilschlüssel der Einnahmen. Was hat es damit auf sich?

Als wir ARTIST IN THE BOX gegründet haben, war uns klar, dass unsere Künstler*innen sehr unterschiedlich verkaufen werden. Sie sind sehr verschieden aufgestellt, manche werden durch Galerien vertreten, andere nicht. Manche haben bekannte Namen, andere weniger.

Wir wollten aber etwas schaffen, von dem alle profitieren, daher haben wir den Verteilschlüssel so festgelegt, dass 30 % vom Verkaufspreis an die Künstler*innen direkt gehen, 20 % in einen gemeinsamen Topf. Weitere 30 % sind Produktionskosten und die verbleibenden 20 % gehen an die Seitenbetreiberinnen für ihre administrative Arbeit. Am Ende des Monats wird das Geld ausgeschüttet, wobei alle selbst entscheiden können, ob sie ihren Honoraranteil bekommen oder das Geld lieber der Gemeinschaft zur Verfügung stellen möchten.

Auf diese Weise partizipieren alle Künstler*innen an den Verkäufen. Es war uns wichtig, den wirtschaftlichen Aspekt mit sozialen und solidarischen Zielen zu kombinieren. Daraus entsteht letztlich ein gesellschaftlicher Mehrwert.

Flugzeug vor einem Wohnhaus

Grounded – Neu Ulm © Matthias Jung

Der herkömmliche Kunstmarkt funktioniert ja über Verknappung: Museen, Galerien und andere Institutionen legen fest, welche Künstler*innen en vogue sind und wer draußen bleibt. Mit ARTIST IN THE BOX unterlauft Uhr dieses Prinzip.

Ja, genau. Bisher ist es so, dass der Kunstmarkt die Kunst kontrolliert. Und wenn das der Fall ist, dann fällt der Gedanke weg, dass Kunst die Gesellschaft bilden kann. ARTIST IN THE BOX bietet die Möglichkeit, dass nicht nur Kunst sichtbar gemacht wird, die sich an Vermarktungsstrategien orientiert – wie es oft der Fall ist –, sondern dass es die Möglichkeit gibt, dass Kunst jenseits von Vermarktungsstrategien die Gesellschaft erreicht, zum Beispiel auch sozial kritische und politische Kunst.

Wir freuen uns, dass wir auch sehr bekannte Namen im Portfolio haben, aber wir können jetzt schon sehen, dass unsere Idee greift, mehr Sichtbarkeit für alle zu schaffen. So kaufen viele, die Bilder von etablierten Kreativen erwerben zusätzlich auch solche von unbekannteren Namen.

Hund auf einem Teppich

Murray © Julia Knop

ARTIST IN THE BOX entstand ja aus der aktuellen Pandemie-Situation heraus. Wird es darüber hinaus Bestand haben?

Wir müssen sehen, wie sich das Projekt entwickelt. Auf jeden Fall muss die Plattform – wenn sich das Leben wieder normalisiert – immer eine Ergänzung bleiben zu dem, was analog passiert. Kunst braucht Räume und Betrachtende, die im Raum verweilen.

Aber ja, wenn ARTIST IN THE BOX jetzt funktioniert – warum nicht auch über diese Zeit hinaus? Es gibt auf jeden Fall schon eine Menge Ideen. Vielleicht trägt unser Konzept auch dazu bei, dass ein Neudenken in der Kulturszene entsteht.

Was sind Eure nächsten Schritte?

Auf jeden Fall muss die Plattform noch bekannter werden und noch mehr greifen, damit die Erlöse eine wirkliche Einnahmequelle für die Künstler*innen werden. Alle können dazu beitragen, zum Beispiel durch das Teilen in den sozialen Netzwerken.

Wir wünschen uns, dass noch viel mehr Menschen davon erfahren, anderen davon erzählen und auch aktiv werden – nicht nur durch Käufe, sondern auch durch inhaltliche Beiträge, zum Beispiel für unseren Blog. Es wäre toll, wenn ein richtiger Diskurs auf der Plattform entstehen würde und die Idee sich so weiter entwickeln kann.

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