19. August 2019 Lesezeit: ~5 Minuten

Sebastião Salgado: Genesis

„Genesis“ ist Salgados 500-seitige fotografische Liebeserklärung an die Schöpfung und zeigt einmalige Fotos von Teilen der Welt, die von der Zivilisation mit ihren negativen, zerstörerischen Auswirkungen noch nicht berührt oder nachhaltig geschädigt worden sind. „Eine Hommage an die Größe der Natur“, so Salgado in seinem Vorwort zum Buch.

Nach der langjährigen Beschäftigung mit den Themen Armut, Flucht, Vertreibung, Elend und Tod – die insbesondere auch in seinem Werk Exodus dargestellt sind – machte Salgado für sich einen thematischen Neuanfang. Das Langzeitprojekt Genesis nahm Gestalt an, war dann nach neunjähriger Arbeit mit 32 Reisen in die Zielgebiete vollbracht und konnte in Form eines Buches und einer Wanderausstellung dem Publikum zugänglich gemacht werden.

Abbildung eines Eisbergs in einem aufgeschlagenen Buch

Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis. (Gen 1,4)

Die für Salgado typische Darstellung in Schwarzweiß ist im 2013 erschienen Buch des Verlags Taschen in hoher Qualität umgesetzt worden. Insbesondere die Lichter erscheinen im Druck mit einer guten Durchzeichnung und sehr fein differenzierten Details. Die Schatten und dunklen Bereiche der Fotos lassen ausreichend Inhalte erkennen, sie laden zum langsamen und intensiven Entdecken der Bilder ein, da sie nicht so deutlich und unmittelbar ins Auge springen wie die Inhalte der Lichterbereiche in den Bildern.

Die allermeisten Fotos selbst sind schön, damit meine ich gestalterisch gut aufgebaut, perfekt belichtet und ausgearbeitet. Für die einen zeigen Salgados Genesis-Fotos nur heile Welt, andere sehen hier mehr – einen unschätzbaren Moment festgehalten, um genau das zumindest fotografisch zu bewahren.

In Verbindung mit dem dokumentarischen Schwarzweiß, das die Wirklichkeit ja in gewisser Weise verändert und ausblendet, ergibt sich für mich der pathetische Stil Salgados, der sich fast durchgängig bei all seinen Bildern wiederfindet. Salgado richtet mit jedem seiner veröffentlichten Bilder einen Appell an die Betrachtenden. Diese können ihn verstehen und für sich akzeptieren oder ignorieren und ablehnen.

aufgeschlagenes Buch

Auf mich wirken seine Bilder, ich betrachte die Bilder recht lange und manchmal setzt ein längeres Nachdenken ein. Fühle ich mich dadurch manipuliert? Nicht im negativen Sinne, aber bei einzelnen Bildern wird durch die Art der Darstellung ein Prozess angeschoben, der bei mir deutlich über das reine Betrachten eines schönen Bildes hinausgeht.

Innerhalb des Genesis-Projekts ist Salgado auf die digitale Fotografie umgestiegen. Auch wenn seine Nachbearbeitung schon immer sehr gut war, erlauben die digitalen Negative noch deutlich mehr Perfektion im fertigen Bild. Man sollte sich aber nicht täuschen: Der Versuch, einen Abdruck eindeutig als analog oder digital zu erkennen, ist keine wirklich einfache Sache und im Grunde genommen auch nicht wichtig.

Die Bilder sind zumeist ganzseitig oder doppelseitig abgebildet. Leider ist in einigen Fällen der produktionsbedingte Buchfalz störend oder bildbeeinträchtigend. Einige Seiten sind ausklappbar und enthalten kleinformatigere, zusammengehörende Fotos, die durch die Tableaudarstellung ihre Wirkung entfalten. Ausdrucksstarke Portraits von Menschen und Tieren, weiten Landschaften, bizarren Strukturen und Formen sowie detailreiche Pflanzen und Lichtstimmungen finden sich in den Aufnahmen im Buch. Außerdem bekommt man einen 35-seitigen Einleger mit Informationen zu den einzelnen Fotos.

aufgeschlagenes Buch

aufgeschlagenes Buch

Das Buch gliedert sich in die Bereiche „Im Süden der Erde“, „Zufluchtsorte“, „Afrika“, „Nördliche Welten“ sowie „Amazonien und Patanal“. Jedem Kapitel vorangestellt ist jeweils eine zwei- bis drei-seitige Einleitung mit Hintergrundinformationen.

Es verwunderte mich leider wenig, hier keine Bilder aus Europa oder den Vereinigten Staaten gefunden zu haben. Die Industrialisierung, der Fortschritt und damit unser Wohlstand und unsere aktuelle Lebensweise lassen nur wenig Raum für derartige Fotos – wenngleich auch in Europa noch kleine Paradiese und geschützte Bereiche existieren, die man suchen, finden und fotografisch darstellen kann.

Abbildungen von Robben in einem aufgeschlagenen Buch

Vielleicht ist das genau die Chance, die sich für die einzelnen Leser*innen des Buches auftut. Die gezielte und strukturierte fotografische Darstellung der eigenen Lebenswelt, mit der man sich intensiv beschäftigt, deren Schönheit man erkennt und bewahrt, die Motiv und Ansporn für die eigene fotografische Arbeit sein kann.

Ich hatte glücklicherweise die Möglichkeit, die Ausstellung zu Genesis im C/O Berlin zu besuchen. Die großformatigen, qualitativ ausgezeichnet gedruckten Bilder, brachten ein noch deutlich über das Buch hinausgehendes Seherlebnis. Auf den Drucken kamen auch feinste Details und Nuancen heraus, das Auge hatte neben dem Eindruck des Gesamtbildes noch eine Menge zu entdecken.

Abbildung einer Walflosse in einem aufgeschlagenen Buch

Der Andrang war damals recht groß, die Räume vielleicht nicht optimal für die Menge der Bilder, aber es hat sich definitiv gelohnt. Ich hoffe, diese Ausstellung wird irgendwann einmal erneut in erreichbarer Nähe zu sehen sein.

Bei Salgado haben die intensive Fotografie und seine Beschäftigung mit den fotografischen Themen Veränderungen hervorgerufen. Dies schildert er in einer sehr persönlichen und berührenden Weise in Wim Wenders ausgezeichnetem Film „Das Salz der Erde“ , den ich hier allen nur nachdrücklich empfehlen kann.

Informationen zum Buch

„Genesis“ von Sebastião Salgado
Sprachen: Deutsch
Einband: Hardcover
Seiten: 520
Maße: 25,8 x 36,43 cm
Verlag: Taschen
Preis: 69 €

12 Kommentare

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  1. Salgados Buch „Workers“ war lange einer meiner Lieblingsfotobände. Bei „Genesis“ ist es genau umgekehrt. Kaum ein Fotobuch finde ich schlechter als dieses.

    Von Designgrundsätzen wie „Keep it simple“ oder „Weniger ist mehr“ ist nichts zu sehen. Statt dessen Superlative in jeder Hinsicht.

    Mehr als 500 Seiten mit mehr als tausend Fotos. Manchmal eins, manchmal zwei oder vier, gelegentlich noch viel mehr auf einer Doppelseite.

    Auf fast allen Fotos: dramatischer Himmel „bis der Arzt kommt“. Dodging & Burning und „HDR“ um ihrer selbst willen, weil’s ja so geil ist, an den Reglern der Software zu spielen. Fast jedes der tausend Bilder sagt redundant: gleich kommt das Unwetter.

    38 Flugreisen, um die Welt zu retten … was sagt wohl Greta dazu? Den Begriff „Flugscham“ gab’s bei Entstehung des Buches wohl noch nicht, aber nirgends wäre er passender.

    Und dann die plumpe Behauptung, der Westen (Nordamerika und Europa) habe solche „Paradiese“ gar nicht mehr.

    Das Gegenteil dieses Buches sind für mich die Fotos von Alex Saberi, der auf dem Weg zur Arbeit im Richmond Park in London (!) Wildlife-Fotos macht.

    https://www.google.com/search?q=alex+saberi+richmond+park&client=firefox-b-d&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwiB0LvepI7kAhU7URUIHUufA0AQ_AUIESgB&biw=1366&bih=654

    Aus dem Fenster schauend sehe ich gerade ein Eichhörnchen von einem Baum zum anderen springen, gestern sah ich eine Füchsin mit ihren Jungen, gerade jetzt höre ich Seemöwen … in einer 130.000-Einwohner-Stadt. Muss ich nach Island oder Patagonien fliegen, um Natur zu erleben?

    Natur ist dort, wo man sie wahrnimmt, nicht dort, wo man hinfliegt. Und auch Zeigen dessen, was ist, was man sieht, nicht der Effekt, den man mittels Software erzeugt.

    Beide, Salgado und Saberi, stellen die Natur zu idyllisch dar. Aber Saberi sieht offenbar mehr als der große Meister Sebastião Salgado.

    • Ich persönlich mag die Bilder Salgados sehr gerne, habe das Buch bereits vor mehreren Jahren erstanden und blättere immer wieder gerne darin….
      Was sie schreiben stimmt: die Bilder sind teilweise im Aufbau und wahrscheinlich auch in der Nachbearbeitung bewusst so gestaltet worden aber so ist nun einmal der Stil Salgados und der Titel des Buchs gibt die Richtung vor. Nichts destotrotz haben diese Bilder m.E. eine grosse Tiefe und Wahrhaftigkeit. Ich bin selbst bspw. einmal in Patagonien gewesen und durfte die Landschaft dort bewundern. Die Natur dort ist dramatisch, das Licht äusserst kontrastreich und mit denen Europas nicht zu vergleichen, wobei es, da gebe ich Ihnen völlig recht, auch in Europa fantastische Landschaften zu bewundern und bestaunen gibt. Alleine ihre Umschreibung HDR um ihrer selbst willen greift mir doch zu kurz. Dafür hat Salgado auch was seine Portraits angeht zu grosse Empathie mit der Welt und seinen Bewohnern in vorangegangenen Werken bewiesen. Ich glaube nicht, dass er jemandem beweisen muss, dass er Bildbearbeitung kann. Was sein Co2- Konto angeht so muss man sagen, dass die Fotos etwa vor 10, 15 Jahren aufgenommen wurden, als es noch nicht so ‚heiss‘ herging auf unserem Planeten auch was die Klimadebatte angeht. Den Begriff Flugscham erachte ich von daher für deplatziert. Salgado hat auch bestimmt nicht weniger gesehen, als der von Ihnen gepriesene Kollege, er sieht es eben nur anders – wahrscheinlich. Wie auch immer, Bücher die eine Debatte oder Diskussion entfachen, haben einen Zweck jedenfalls erfüllt.
      Einen Gruss von
      Marc

    • Ich teile zu 100 % die kritische Sicht auf die auf Masse statt Klasse ausgerichtete Zusammenstellung der Fotos in diesem Buch. Das wirkt nicht nur lieblos, sondern auch sehr kommerziell auf mich. Keine Frage, es sind auch großartige Aufnahmen dabei, aber der Gesamteindruck ist für mich enttäuschend.

  2. Zumindest für mich macht es einen großen Unterschied, ob jedes Jahr Heerscharen von Menschen per Billigticket zum Ballermann fliegen, um sich dort der Verantwortungslosigkeit hinzugeben, oder ob jemand hochkonzentriert über Jahre sein Projekt verfolgt, in das immens viel Kreativität, Inspiration, Lebenszeit und Energie fließt.
    Geschmacklich gibt es tausende Nuancen, meine Begeisterung für die Aufmachung und diverse Fotografien des Buches ist auch nicht bei 100%, aber das ist auch völlig nebensächlich. Gemessen an der eingebrachten Lebensleistung von Herrn Salgado, wie auch der großartigen Absicht dahinter, ist GENESIS ein Meisterwerk!
    Da muß die instrumentalisierte Greta noch etliche Jahre segeln…

    • Man darf also die Natur zerstören wenn man dabei nur kreativer, inspirativer und konzentrierter ist als das prekäre Pack das dem nur totale Verantwortungslosigkeit entgegenzusetzen kann? Das ist doch eine ziemlich arrogante Einstellung. Kunst schlägt also Spaß? Und schlägt Knipserei noch Entspannung? Wie sieht es mit Buchverkauf gegen seelische Gesundung aus? Wer will denn da die Grenzen festlegen? Wir dürfen uns alle an der Rettung der Welt beteiligen und niemand ist dabei gleicher als die anderen.

      • Niveau schägt Spass? Nein, Niveau schlägt Gleichgültigkeit. Gretas Bootstour wird in Summe bei allem Drum und Dran zuende gerechnet weit mehr CO2 verbraten, als wenn sie in eine Linienmaschine gestiegen wäre. „Man“ darf einfach mal bei sich anfangen. Von dem pauschalisierenden Fingerzeigen auf das, was andere tun, geht nullkommanull aus. Das ist auch kein Naturgesetzt, sondern nichts als meine Meinung dazu.

    • Das ist ja auch völlig ok. Über Geschmack sollte man nicht steiten.
      Mein Standpunkt hierbei ist halt der, in der Sache selbst zu diskuiteren.
      Zu den Faktoren wie Vielfliegerei, der Papiersorte, oder dem ökologischen Fußabdruck an sich, hat jeder im eigenen Viereck reichlich Luft nach oben. Gemessen an der positiven Energie, die GENESIS auslöst, und der wirklich langen Zeit, in der es entstanden ist, empfinde ich die Kritik am energetischen Einsatz dafür unangemessen.
      Hat auch hier in Kwerfeldein nur bedingt seinen Platz, aber mir sind die mäßig zugespitzten Öko-Parolen, mit denen derzeit überall Stimmung gemacht wird, einfach zuwider. Das ist Polemik pur.

      • Die Lebensleistung Salgados steht auch außer Frage – Chapeau ! Aber das Buch ist nicht gut gemacht, wer auch immer die Verantwortung dafür trägt. Zu viel „Dramatik“, zu viel „HDR“, meinetwegen. Ich besitze es bereits seit einigen Jahren und habe es nach dem Kauf einmal durchgeblättert und dann bis heute nicht mehr. Das Layout ist zu überfrachtet. Vielleicht liegt es daran, dass Taschen Bücher für den Massenmarkt und nicht für die „Künstlergemeinde“ produziert. Die Fotos sind überwiegend großartig, aber deren Präsentation ist sehr fragwürdig. Und das alles unabhängig von Fragen von Ökologie und Nachhaltigkeit. Diese waren in der Arbeitsperiode Salgados auch nicht so im Fokus wie heute.

  3. es ist das Buch mit den eindrucksvollsten Bildern in meiner Sammlung.
    Ansel Adams steht zwar auch ganz oben, aber gegen die Bilder von Salgado sind seine zwar schön aber inhaltlich nicht von dem gleichen Anspruch.
    VG dierk