where spirits fly
Buchgestaltung ist nicht gleich Buchgestaltung. Viele verschiedene mögliche Abzweigungen, die man im Verlauf einer Entscheidungskette zur Finalisierung eines Buchvorhabens gehen kann, wirken sich mitunter nicht nur im Detail, sondern in der ganzen schlussendlichen Wirkung und Wahrnehmung eines Buches aus. Noch spannender also werden Buchprojekte, wenn man sie gemeinsam realisiert. Eben diese spannende Erfahrung durfte ich machen.
Ganze Buchreihen existieren über herausragende Fotobuchprojekte, am bekanntesten vermutlich die drei Bände von „The Photobook: A History“ – Volume I , Volume II , Volume III von Martin Parr und Gerry Badger. Diese sollten meinem Erachten nach in keinem Bücherschrank fehlen, wenn man sich für Fotobücher besonders interessiert.
Angefangen bei frühesten Fotobuchwerken von 1843 bis hin zu aktuellen Umsetzungen offenbart sich, dass Fotobuch nicht gleich Fotobuch ist. Man entdeckt zeittypische Tendenzen, wilde gestalterische (gefeierte) Ausbrüche, Verschiebungen in der Art und Weise, wie mit Bild und Text umgegangen wird, ruhige poetische Erzählungen, gewitzte Methoden und vieles mehr.
Wie soll man da noch anfangen, ganz ruhig an ein Buchprojekt zu gehen, betrachtet man all die Möglichkeiten, die es gibt und zwischen denen es abzuwägen gilt? Angefangen bei der Frage, welche Bilder überhaupt in Frage kommen, um in Buchform umgesetzt zu werden, hin zu all den verwendeten Materialen (Papiere, Pappen, Tinten usw.) und dann den Parametern wie Größe und Auflage, der Frage, wo das Buch gezeigt werden wird – und warum überhaupt ein Fotobuch?
Vor einiger Zeit ist der Fotograf Han Borger mit einer spannenden und zugleich herausfordernden Anfrage auf mich zugekommen: Ob wir gemeinsam sein geplantes Fotobuch „where spirits fly“ gestalten wollen. Die Anfrage klang ganz simpel, doch sie stellte eine schöne und wertvolle Aufgabe dar. Dem fertigen Buch selbst sieht man die Entstehungsgeschichte, die Arbeit und die vielen Abwägungen am Ende gar nicht mehr an. Doch ich halte es beinahe für einen Mythos, dass der erste Entwurf bereits das fertige Buch sein kann.
In „where spirits fly“ dokumentiert Han seine mehrjährigen, fotografischen Reisen durch Deutschland. Auf diesen Reisen portraitierte er junge Frauen auf ihren (oft schwierigen) Wegen zu einer persönlichen Identität. Die aufgenommenen Landschaften sind Landschaften, in denen die von ihm portraitierten Frauen leben. Landschaften, die sie bewusst aufsuchen, die sie prägen und geprägt haben. Landschaften, die oft das Innere und Äußere der Frauen widerspiegeln.
Wichtig war ihm, durch die Anordnung der Bilder im Buch und die Buchgestaltung das rein Dokumentarische zu überwinden und eine universellere Geschichte über das Leben selbst visuell offen zu erzählen. Eine Geschichte über Höhen und Tiefen und eine ewige Sinnsuche, in der jede*r Betrachter*in etwas von sich selbst wiedererkennen kann.
Han hatte, lange bevor er mich kontaktierte, bereits intensiv mit den Fotografien gearbeitet und natürlich – was ich für sehr wichtig erachte – immer wieder über seine Bilder gesprochen. Die Idee war quasi schon alt, als er damit zu mir kam. Oder anders formuliert könnte man auch sagen: Sie war reif für die finale Umsetzung.
Ein Fotobuch zu gestalten, hört sich vielleicht erst einmal ganz einfach an. Bilder alle gleich groß, immer auf die starke Seite rechts, Titel, Vorwort, fertig. Wäre es so und würden Fotobücher nur nach einem Schema entstehen, wäre die Fotobuchwelt sehr eintönig. Glücklicherweise ist dem nicht so.
Neben den großen Verlagen, die ebenfalls sehr verschieden agieren, gibt es zudem diverse Selbstverlage, kleinere Ein-Personen-Betriebe und ständig neue Überraschungen, die Bücher, Hefte, Magazine und Kataloge an die enthaltenen Arbeiten angelehnt erarbeiten und mit neuen Ideen oder bestechender Schlichtheit überraschen. Gemeinsam wird Fotobuchgestaltung vor allem dadurch spannend, dass jede*r eigene Ideen vom Fotobuch und natürlich zu den Bildern mit einbringt.
Han kam mit einer Vielzahl Fotografien zu mir und zudem mit einer ganz anderen Herausforderung: Wir kannten uns quasi gar nicht, nur ein wenig unsere Arbeiten. Für einen gemeinsamen Gestaltungsprozess war vor jeglicher gestalterischen Arbeit also vorerst wichtig, herauszufinden, was Han bewegt hatte, diese Fotografien zu erstellen und wieso er damit zu mir kommt.
Mittels der Art und Weise, wie jemand arbeitet oder was für Resultate entstehen, kann man bereits vieles übereinander erfahren. Dass ich selbst bereits drei (sehr verschiedene) Fotobücher erstellt habe, hatte Han bewogen, mich anzusprechen. Auch die Art und Weise, wie ich diese Fotobücher gestaltet hatte, bewog ihn dazu.
Als erstes war mein dringender Wunsch, dass Han einen ausgedruckten Dummy vorbereitet. Zwar gab es auch ein PDF mit Ideen zur gestalterischen Umsetzung, doch ein Buch ist ein händisches Medium, Blättern funktioniert im Auge der Betrachtenden ganz anders als Scrollen, Swipen oder virtuelles, geklicktes Seitenumschlagen.
Um also wirklich ein Gefühl für die jeweilige Bildwirkung zu bekommen – Sitzt es gut im Blatt? Braucht es mehr oder weniger Weißraum? Stimmt die Größe? Macht der Erzählfaden mit dem vorherigen und folgenden Bild Sinn? – sind Dummys unerlässlich.
Hier wird auch eine andere Frage bereits wichtig: Gibt es Bilder, die über die Mitte der jeweiligen Doppelseite reichen? Wenn ja, kann man verkraften, dass sie gegebenenfalls bei einer Klebebindung in der Mitte verschwinden oder aber, wenn es eine Fadenheftung wird, gilt es zu bedenken, dass je nach Sortierung der Bilder der Faden auch sichtbar genau durch ein Bild verlaufen kann. Möchte man das? Und welche Farbe hat dieser Faden? Was passt hier zum Buch?
Natürlich spielt auch das gesamte Buchformat eine große Rolle. Kleine Bücher können besser nur von einer Person angeschaut werden. Sie sind zurückhaltender, intimer. Intime Themen passen somit oft eher in ein kleineres Format. Sie geben weniger preis, die Bilder müssen sich dem Buchformat unterordnen und sind somit ebenso kleiner und leiser. Große Landschaften, Horizonte, Straßenszenen mit vielen Details können große Formate ganz anders vertragen, Coffee Table Books oder gleich eine Zeitung in künstlerischer Umsetzung als Bildträger sind auch denkbar.
Wir entschieden uns für ein stumpfes Hochformat von 20 x 24 cm. Es steht stabiler da als ein klassisches Buch in DIN A4. Mit DIN-Formaten assoziieren wir schneller bestehende Buchformate, Schulbücher oder Infobroschüren zum Beispiel. Hans Bilder fügten sich in ihrem sensiblen Thema eher in einer gesetzteren Größe ein. Da alle Bilder analog fotografiert worden waren und dazu noch in schwarzweiß, ist die Entscheidung zum roten Faden wohl die radikalste, die zuerst vielleicht sogar ein wenig Wankelmut aufkommen ließ.
Nun fügt er sich in das Gefüge gut ein. Zeigt die Verletzlichkeit in den Bildern ebenso am offenen Rücken des Buches. Thematisiert den Inhalt also auch über das Material selbst. Ein haptisch angenehmes, offenes Papier unterstützt vielleicht nicht die Bildschwärzen in all ihrer Tiefe, passt jedoch vom Gefühl des Blätterns besser zu den Fotografien als ein Hochglanzpapier. Das dicke Buchcover schützt die innliegenden Fotografien. Jede Entscheidung im Prozess einer Buchentstehung ist eine Entscheidung, die mitgelesen werden kann.
Ein Fotobuch ist nicht gleich einem Katalog, der vielleicht nur informierend einer Ausstellung beiliegt oder ein Werk sozusagen verschlagwortet, am Anfang der Gestaltung steht quasi dieselbe Frage, die vor dem Fotografieren einer Arbeit ebenso stehen kann, wenn man in dieser Art vorgeht:
Warum fotografiere ich eigentlich? Und warum grade dieses Sujet? Warum sind diese Bilder wichtig in einem Buch? Wieso „reicht“ nicht eine temporäre Ausstellung? Gut gedruckte Bücher überdauern eine lange Zeit. Vielleicht werden sie nicht täglich angeschaut, doch sie bieten die Möglichkeit, sofern man sie besitzt, immer und immer wieder angesehen zu werden.
Sie sollten also nicht langweilen – in diesem Sinne hat eine im Vergleich kurzweilige Ausstellung es leichter, sie ist ein Highlight. Ein Buch muss quasi versuchen, ewig im Gedächtnis zu bleiben, um wieder und wieder angeschaut zu werden.
Am Anfang der Buchidee war das Layout noch tradierter, es gab wenig Weißraum, es war mehr erklärender Text angedacht, es gab auch noch mehr Bilder. Verschiedene Größen der Landschaften und Portraits in Kombination wurden durchgespielt. Das Buch mit seinem Inhalt folgte im Gestaltungsprozess Schritt für Schritt einer Tabulatur, wie man sie auch in der Musik finden kann.
Das ist beispielsweise mein persönlicher Weg, an ein Fotobuch heranzutreten, wenn ich es gestalte. Zugleich denke ich aber auch an Filme. An eine Spannungskurve. Einen Plot. In vielen Gesprächen und – was ich auch sehr wichtig und gut für die Zusammenarbeit fand – realen Treffen besprachen Han und ich die Überlegungen.
Wir waren nicht immer nur sofort exakt derselben Meinung. Doch dies hat das Projekt lebendig gemacht und das Buch geformt. Nun, da das Buch gedruckt und gebunden ist – am liebsten hätte ich diese Arbeit auch noch übernommen, aber das sprengte den zeitlichen Rahmen – sieht man Aspekte von Han und mir in diesem Buch.
Am wichtigsten aber ist: Man sieht vor allem die Arbeit, für die das Buch entstanden ist, im Buch selbst. Bei aller Gestaltung wollten wir natürlich auch Zurückhaltung für das sensible Thema im Buch selbst wählen. Dennoch war Wunsch und Anliegen, dass Gestaltung und Inhalt ineinander greifen. Dass das Buch im Ganzen glaubwürdig wird.
Ich hoffe, dass dieses Buch auch nach außen hin diese Wirkung erzielt und die Zusammenarbeit auch für andere nach außen hin sichtbar positiv umgesetzt worden ist. Für mich war diese gemeinsame Gestaltung auch ein großer Schritt für meine eigenen (kommenden und aktuellen) Buchprojektideen. Mir wurde bewusster, wie wichtig ein Blick von außen auf das Buch ist, mit ein wenig Abstand. Mit Pausen dazwischen. Ein Buch braucht Zeit.
Weitere Einblicke ins Buch findet Ihr auf Han Borgers Webseite.