Verlieren Fotos an Wert?
Dass wir hier in Europa überwiegend in einer Überflussgesellschaft leben, merken wir in vielen Bereichen. Lieber werfen wir 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel jährlich weg1, anstatt nur so viel zu produzieren, wie wir wirklich benötigen. Schließlich möchten wir auch im Oktober Erdbeeren essen können. Bei Fotos verhält es sich ähnlich.
Es gibt unzählige Anbieter für Gratisfotos. Habe ich eine kleine Webseite, bestücke ich diese fix mit lizenzfreien Fotos aus dem Netz. In den sozialen Medien teile ich Bilder, die mir gefallen. Ich bin Mini-Journalistin meines kleinen Universums. Aber wem gehören eigentlich die Bildrechte? Und darf ich die Bilder überhaupt einfach so verwenden?
Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wer die Urheber*innen der Fotos sind. Daher verhält es sich ähnlich wie mit den Lebensmitteln. Sie haben im Laufe der Zeit an Wert verloren. Hier ein kleines Fallbeispiel aus dem realen Alltag: Ein Magazin beauftragte mich, einen Unternehmer zu fotografieren. Dieser fragte mich, ob er die entstandenen Fotos nicht ebenfalls haben könne.
Ich informierte ihn darüber, dass das Magazin gegen eine Zweitverwertung nach der eigenen Veröffentlichung nichts einzuwenden hatte und ich ihm gern Fotos und ein Angebot zukommen ließe. Danach könne er entscheiden, ob er sie nutzen möchte. Nach Bereitstellung der Onlinegalerie zur Auswahl hörte ich dann leider einige Monate nichts von ihm, womit der Fall für mich abgeschlossen war.
Dann kam die Nachfrage, ob ich die Galerie nochmals zur Verfügung stellen könne, da sie aktuell ganz dringend Fotos benötigen würden. Ich nahm mir also wiederholt die Zeit, Daten herauszusuchen, hochzuladen, bereitzustellen und in Kommunikation zu treten. Ich bot ihm mehrere Möglichkeiten an: Die schon vorhandenen Fotos gegen ein geringes Entgelt zur Verfügung zu stellen, sie zusätzlich zu bearbeiten und anzupassen oder einen neuen Fototermin, speziell für die geplanten Werbezwecke und auf den Kunden abgestimmt zu realisieren.
Trotz der Dringlichkeit ließ die Antwort einige Wochen auf sich warten; die da lautete: „Wir brauchen nun doch nur ein einziges Bild.“ Dies beantwortete ich mit: „Natürlich, kein Problem! Sobald ich das Go habe, stelle ich das Passwort zum Download bereit und schicke eine Rechnung.“
Nur noch einmal zum Verständnis: Das Unternehmen hatte mich nicht bezahlt. Mein Auftraggeber war das Magazin. Und wie jeder weiß, werden redaktionelle Jobs nicht wie Werbejobs bezahlt. „Ich brauche nur ein einziges Foto, jedoch ohne Bearbeitung. Können wir dies jetzt nutzen oder wollen Sie dafür tatsächlich etwas berechnen?“
Ich fragte mich derweil, wie dieses „tatsächlich“ gemeint war. „Tatsächlich“ verdiene ich meine Brötchen mit dem Erstellen, Bearbeiten und Bereitstellen von Fotografien. Neben all der Leidenschaft für meine Berufung gibt es Fixkosten, die bezahlt werden möchten. Und doch war ich persönlich getroffen, weil es eben nicht „nur ein Job“ für mich ist, sondern Herzblut und Kreativität in den eigenen Werken stecken. Offenbar hatte dieser Geschäftsmann weder für meine Zeit noch meine Leistung Wertschätzung.
Wie sollte ich nun damit umgehen? Künftig eine Uhr laufen lassen und Bereitstellungs- und Kommunikationskosten verlangen? Nach weiteren respektvollen Erklärungen und Erläuterungen konnte ich mir den einen forschen Satz nicht verkneifen: „Wenn Sie für Ihre Produkte nichts mehr verlangen, bin ich gern bereit, darüber nachzudenken, für meine Fotos nichts mehr zu verlangen.“ Ich hoffte, dass es fruchtete und ihm die Augen öffnete. Wahrscheinlich hätte ich bei netter Kommunikation und respektvollem Umgang sogar zugestimmt. Aber seit wann ist das eigentlich so, dass Fotos keinen Wert mehr haben?
Seit der Einführung der Kleinbildkameras, mit deren Hilfe sich alle eine eigene Kamera leisten konnte? Seit alle ein Handy haben und schnell, nebenher, in jedem Moment ein Foto machen können? Seitdem es einem die Technik ermöglicht, aus jeder Momentaufnahme mit einem simplen Schwarzweißfilter einen coolen Look zu machen? Ich weiß es nicht.
In anderen Sparten fand ebenso eine Vereinfachung statt. Dennoch gehen wir auch nicht zum Bäcker und verlangen eine Tüte Frühstücksbrötchen umsonst, weil es sie schließlich im Supermarkt als TK-Ware viel billiger gibt oder wir sie uns eigentlich ja auch selbst backen könnten.
Leider sind wir Fotoschaffenden nicht unbeteiligt an dieser Entwicklung. Einige von uns gehen Rahmenverträge ein, in denen alle Bildrechte abgetreten werden oder liefern Fotos an Bildagenturen, die sie „royalty free“ (gratis) weitergeben. Damit entwerten wir selbst unsere Fotografien.
Fazit
Wir müssen Aufklärungsarbeit leisten und Nutzungsrechte als das sehen und verkaufen, was sie sind. Es macht einen Unterschied, ob ein Kunde unsere Fotos einmalig, online oder für eine weltweite gedruckte Kampagne einsetzt. Daher kann ich nur dazu raten, keine Pauschalpreise anzubieten und nach dem Verwendungszweck zu fragen. Wir müssen unsere Kund*innen und alle, die es interessiert, über Bild- und Nutzungsrechte aufklären. Das habe ich auch in diesem Fall gemacht. Einigen konnten wir uns dennoch leider nicht.
Wir können nicht voraussetzen, dass Menschen, die nichts mit der Fotobranche zu tun haben, sofort Verständnis für das Thema haben. Es gibt durchaus Fotograf*innen, die ihre eigenen AGB nicht verstehen. Wie können wir es dann von unserer Kundschaft erwarten?
Vielleicht helfen auch Beispiele aus weiteren Gewerken: Ein handwerklich hergestellter Tisch wechselt ebenfalls nicht ohne weiteres den Besitzer. Und der Schlosser, den wir beauftragen, um ein Schloss auszuwechseln, hat seinen Stundenlohn plus Anfahrtspauschale, die wir nicht in Frage stellen. Gute Anhaltspunkte zu Nutzungsrechten und Bildhonoraren für angehende Fotograf*innen bietet die MFM-Liste.
In Zeiten der Analogfotografie waren viele Kostenpunkte einfacher. Die Negative blieben in der Regel bei ihren Urheber*innen – also den Fotograf*innen. Wollte man einen Abzug, wandte man sich erneut dorthin. Zeitspesen und Laborkosten waren klar geregelt und wurden selbstverständlich bezahlt. Aber wir sollten nicht vergessen, dass digitale Daten eben nicht nur aus Nullen und Einsen bestehen.
Es stecken Arbeitszeit, Vor- und Nachbereitung, Fleiß, Kreativität, Bildaufbau, Liebe, Leidenschaft und oftmals jahrelange Hingabe und Erfahrung darin. Diese „Daten“ werden zudem meist im Raw-Format fotografiert und müssen ebenfalls ihren „Laborvorgang“ noch durchlaufen. Auch das gehört zum kreativen Prozess und muss berechnet werden.
Doch auch unabhängig von der Fotobranche wünsche ich mir einen respektvollen Umgang untereinander und eine Wertschätzung der Leistung von Geschäftspartner*innen. Denn viele Selbstständige können diese kleinen, zeitfressenden Aufgaben nicht an Mitarbeitende abgeben. Jede E-Mail, jeder Anruf und jedes bearbeitete Bild kosten wertvolle Minuten oder gar Stunden.
Beim Stammtisch der Freiberuflichen Frauen Hamburg, den ich vor mittlerweile fünf Jahren gegründet habe, diskutieren wir über Themen wie diese. Selbstständige kennen wahrscheinlich die Frage aus dem Freundeskreis: „Kannst Du nicht mal eben …?“ oder „Sag mal, ich habe gehört, Du machst doch so gern …“. Selbstverständlich machen wir unseren Beruf gern, sonst wären wir nicht selbstständig!
Leider vergessen Bekannte (und manchmal auch wir selbst), dass wir damit unser Geld verdienen. Wem erweist man also einen Freundschaftsdienst und welchen? Wem gewährt man vielleicht Rabatt und ab wann zieht man Grenzen? Bei aller Kreativität müssen wir eben manchmal auch unternehmerisch denken, eventuell „nein“ sagen und uns selbst ins Gedächtnis rufen: „Leidenschaft zahlt keine Miete!“
1 Quelle: Bundeszentrum für Ernährung