Fotografie – warum?
Ich bin ein Technik-Freak. Und ein Qualitätsjunkie. Ich liebe überragende Bildqualität. Ich bin begeistert darüber, was mit heutigen Kameras und Objektiven möglich ist und welch technisch hochqualitative Fotografien damit machbar sind.
Allerdings hat sich im letzten Jahr meine Sicht auf die Fotografie stark verändert. Daran hatten meine Überlegungen zum Ausstieg aus der beruflichen Fotografie sicherlich auch einen Anteil.
Früher habe ich oft nur den technischen Aspekt der Fotografie gesehen: Kamera, Auflösung, Schärfe, Brennweite, Bokeh, Komposition, Beschnitt, Bildbearbeitung. Und auch heute noch sind mir diese Dinge nicht unwichtig.
Aber machen sie eine gutes Foto aus? Ein Foto, das ich gern zeigen oder das ich mir an die Wand im Wohnzimmer hängen möchte? Oder anders gefragt: Ist ein Foto, das ich mir immer wieder anschauen und in dem ich mich verlieren kann, hauptsächlich aus technischen Gründen gut? Ich denke: Nein.
Im letzten Jahr habe ich mir sehr oft diese eine Frage gestellt: Warum fotografiere ich? Mir war es schon immer wichtig, einen Sinn oder eine Relevanz in dem zu finden, was ich tue.
Gleichzeitig nehme ich wahr, dass die Anzahl an selbsternannten Fotografen und die Masse an Fotos (vor allem im Internet) immer weiter zunimmt. Darunter ist viel Schund, Irrelevantes, Überflüssiges. Allein der Sexismus in manchen Fotografien wäre einen eigenen Grundsatzartikel wert. Aber dazu an anderer Stelle mehr.
Eine Diskussion über „gute“ Fotografie scheitert meistens daran, dass viele Fotografen auf der „Technik-Ebene“ hängen bleiben und dass über die tiefer liegende Motivation, den Grund für das eigene Fotografieren zu selten oder gar nicht gesprochen wird. Ich bin mir auch unsicher, ob sich viele überhaupt darüber Gedanken machen.
Dabei ist das der eigentlich wichtige Punkt beim Fotografieren: Zeig mir Deine Fotos – und ich sage Dir, wer Du bist. Es gibt sicherlich fast so viele Gründe zu fotografieren, wie es Menschen gibt. Aber diese persönliche Ebene wahrzunehmen, erfordert ein gedankliches Öffnen meinerseits für die inneren Motivationen der anderen. Deren Gründe müssen mir nicht immer gefallen. Aber zumindest kann ich dadurch auch herausfinden, was mir selbst wichtig ist und warum.
Mittlerweile hatte ich bereits zwei Mal die Chance, für Jugendliche einen Workshop zum Thema Fotografie zu gestalten. Dieses und letztes Jahr im Januar durfte ich Jugendlichen zeigen und erklären, was kreative Fotografie ist und wie sie zustande kommt.
Bei meinem Workshop bin ich in das Thema Fotografie jedes Mal mit der gleichen These eingestiegen: „Die Fotografie ist eine Ausdrucksform der menschlichen Seele.“
Dies ist zugegebenermaßen eine steile und provokante Aussage. Zunächst einmal ist es in unserer eher materialistisch geprägten Welt umstritten, ob es so etwas wie eine Seele überhaupt gibt. Und trotzdem möchte ich mit diesem Begriff all das in ein Wort packen, was über Körper und Vernunft eines Menschen hinaus geht. Manch eine oder einer würde dazu vielleicht auch „Herz“ oder „Gefühlswelt“ oder „Unterbewusstsein“ eines Menschen sagen.
Was mich am meisten an den ganzen Stock-Fotografien und den bis zum Exzess bearbeiteten Fotos im Internet stört, ist die Tatsache, dass sie keine Seele zu haben scheinen oder keine zeigen. Sie kopieren Erfolgsrezepte, sie suggerieren sozial konstruierte Schönheit, sie zeigen eine scheinbar perfekte Welt, die es so nicht gibt. Die Fotografie wird dort auf den technischen Aspekt, die hinein gesteckte Arbeit oder den „perfekten Moment“ reduziert.
Diese Reduktion ärgert mich, denn sie ist eine Lüge. Sie blendet den Betrachter und lenkt ihn davon ab, dass diesen Fotos oftmals (nicht immer) etwas Entscheidendes fehlt: Eine Geschichte, eine Emotion, Authentizität oder die Möglichkeit, als Mensch bei dem Gezeigten anzuknüpfen. Gute Fotos lassen sich auch mit einem Smartphone, mit wenig Nachbearbeitung und ohne „Perfektion“ machen.
Ich behaupte: Jedes gute Foto hat eine Seele. Und in jedem guten Foto steckt ein Stückchen Seele des Fotografen. Eine Geschichte, ein Gedanke, eine Emotion. Etwas, das ich erkennen und mit dem ich mich emotional oder gedanklich verbinden kann. Selbst, wenn ich es nicht immer sprachlich benennen kann. Und genau das macht das Ganze so schwierig.
Vermutlich werden mir jetzt manche Landschafts- und Portraitfotografen nicht zustimmen. Aber ich möchte an diesem Punkt nicht falsch verstanden werden: Die „Seele“ eines Fotos kann für jeden etwas anderes sein. Sie ist eng damit verknüpft, aus welcher Motivation heraus ich fotografiere.
Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich mittlerweile erkennen kann, ob ein Foto hauptsächlich für den Ruhm im Internet aufgenommen wurde oder nicht. Und vielleicht lohnt es sich beim nächsten „Bilder durchschauen“ auf manchen Fotoplattformen, einmal die Fotos unter diesem Gesichtspunkt anzuschauen. Was ist meine Motivation zu fotografieren? Und: Will ich das Gleiche wie alle anderen?
Ich möchte das Ganze anhand von zwei Fotos erklären, in denen sich für mich genau dies widerspiegelt. Ich habe bewusst keine Aufnahmen von großen und berühmten Fotografen ausgewählt, damit deutlich wird: Das kann jeder, wenn er sich dafür öffnet – denn es ist eine Sache der Einstellung zur Fotografie.
Das erste Foto ist eine Landschaftsaufnahme von mir. Ich habe sie im Oktober 2013 in Österreich am Tag nach einer Hochzeitsreportage in einem Hotel auf 2.300 Metern Höhe gemacht. Technisch ist die Aufnahme nicht das Gelbe vom Ei. Eine Komposition ist nicht erkennbar, die Bearbeitung ist ziemlich flach und von der Einstrahlung der Sonne auf das Objektiv ist ein Lensflare mit auf das Foto gekommen.
Nichtsdestotrotz schaue ich mir diese Aufnahme gern an. Warum? Weil ich noch genau weiß, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe, als ich das Foto gemacht habe. Es war ein sonniger Herbstmorgen und ich war auf der Suche nach etwas Entspannung und Ruhe. Als ich vom Hotel über einen kleinen Hügel ging, entdeckte ich diese Landschaft.
Leichte Wolken kletterten sanft über die Bergspitzen, es war etwas windig und der See wurde durch den Wind leicht aufgewühlt. Aber in diesem Moment fällt mir vor allem auf, dass etwas in dieser Landschaft stört. Sie ist nicht perfekt und schön, sondern unterbrochen von menschlichen Eingriffen. Der Stausee ist künstlich angelegt, Ski-Lifte führen durch die kantigen Berghänge und eine Wetterstation zerschneidet die malerische Atmosphäre.
Trotzdem kommt der menschliche Eingriff hier noch nicht gegen die Majestät der schönen Bergwelt an. Es ist (für mich) ein Widerspruch in diesem Bild, der mich daran erinnert, wie sehr ich die Natur liebe und wie oft ich menschliche Eingriffe als störend empfinde – während ich gleichzeitig sehr oft von ihnen profitiere. Dieses Paradoxon lässt sich nicht einfach auflösen.
Diese Interpretation ist nicht jedem Betrachter sofort beim Anschauen des Fotos zugänglich. Man müsste meine Gedanken kennen, um den „Wert“ dieser Aufnahme für mich zu erkennen. Aber vielleicht reicht es ja zunächst, wenn ich anfange, mehr Fragen an meine eigenen Fotos und die der anderen zu stellen. Was steckt dahinter? Was hat sich der Fotograf oder die Fotografin bei dieser Aufnahme gedacht? Welche Geschichte steckt in dem Bild? Welche Aussage? Welche Emotion?
Ich möchte noch ein zweites Foto zeigen. Ein Freund von mir hat es letzten Sommer fotografiert.
Für mich spiegelt sich in dieser Aufnahme vieles wieder, was ein gutes Foto ausmacht. Das Motiv strahlt eine natürliche Wildheit und gleichzeitig Ruhe aus. Es erzählt eine Geschichte, wenn man die Frage nach dem Woher (kommt der Mann?), Wohin (geht er?) und Warum (steht er mit Holz im Wasser?) stellt. Das Foto transportiert eine Emotion.
Obwohl es inszeniert ist, wirkt es authentisch – es gibt etwas „Echtes“ wieder, was wirklich so passiert sein könnte. Und schlussendlich wohnt der Aufnahme durch den technischen Rahmen (Komposition und Bildbearbeitung) eine gewisse Ästhetik inne, die aus meiner Sicht passend zum Inhalt gewählt wurde.
Auch an dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Das Foto muss nicht jeder und jedem gefallen. Und trotzdem hat es für manche Menschen „eine Seele“ und spricht. Es transportiert eine Bedeutung, die über das pure Gezeigte hinaus geht.
Warum fotografiere ich also? Ich fotografiere, weil ich auf dieser Welt einige Bilder mit meiner Sicht, einem Stück meiner Seele und meiner Gefühlswelt hinterlassen möchte, an die auch Menschen aus zukünftigen Generationen anknüpfen können. Seien es wertvolle Erinnerungen, kunstvolle Inszenierungen oder einfach interessante Geschichten. Ein Wunsch wäre, dass es vielleicht irgendwann mal ein Foto gibt, das einem anderen Menschen Hoffnung oder Trost spendet. Aber das ist kein Ziel, auf das ich hinarbeiten kann.
Meine eigene Hoffnung ist, dass ein paar meiner Fotos in 100 Jahren immer noch für jemanden interessant, berührend, wichtig oder anstößig sind. Und wenn es nur eine einzige Person ist, deren Vorfahre ich war.
Gleichzeitig steht damit für mich auch fest, dass ich nicht fotografiere, um damit möglichst viel Geld, Ruhm oder Anerkennung zu verdienen. Niemand wird in 100 Jahren sagen: Das hat der aber damals toll in Photoshop bearbeitet.
Ich möchte mit diesen Gedanken dazu ermutigen, sich die Frage nach dem Warum der Fotografie öfter selbst zu stellen. Und darauf eine Antwort zu finden, die sich nicht mit dem Technischen begnügt, sondern darüber hinaus geht.
Ich glaube, unsere Welt braucht mehr Fotografien, die Menschen anknüpfen lassen und miteinander verbinden. Die das Schöne hochhalten, aber auch das Schwere nicht verschweigen. Und die vom Inhalt bestimmt sind und weniger von der Frage nach dem Wie. Ich möchte fotografisch etwas auf dieser Welt hinterlassen, das nicht nur für mein Ego eine Bedeutung hat und in diesem Sinne „relevant“ wird. Und vielleicht möchtest Du das auch.