Kalotypie oder die fotogenischen Zeichnungen
Während die Daguerreotypie in Frankreich erfunden wurde, erforschte William Henry Fox Talbot zur gleichen Zeit in England eine andere Methode der Fotografie, die später als Kalotypie bekannt wurde.
1833 reiste Talbot nach Italien und versuchte, mit Hilfe der Camera Obscura Landschaften nachzuzeichnen. Dies gelang ihm jedoch nicht so gut wie er es sich wünschte. Sobald die Kamera wackelte oder das Papier verrutschte, musste er neu beginnen und auch sonst benötigte das Zeichnen viel Übung, weshalb der Mathematiker und Sprachgelehrte es bald aufgab. Die von der Camera Obscura erzeugten Abbildungen ließen ihn jedoch nicht mehr los.
Orchideenblätter von William Henry Fox Talbot (1839)
Bereits 1834 begann er mit seinen ersten Versuchen, die von ihr erzeugten Bilder auf anderem Wege festzuhalten. Er behandelte dafür ein Blatt Papier mit einer Nitratlösung oder Silberchlorid. Anschließend legte er ein flaches Objekt darauf und ließ es so einige Zeit vom Sonnenlicht bestrahlen. Die vom Objekt verdeckten Stellen blieben hell, während der Rest des Papieres schwarz wurde. Talbot erhielt ein Negativ.
„Es handelt sich um etwas wie verwirklichte Magie: Natürliches Zauberwerk. Man lässt die Kräfte der Natur für sich arbeiten – und es ist kein Wunder, daß diese Arbeit gut und rasch ausgeführt wird … aber schließlich – was ist die Natur anderes als ein großer Bereich von Wundern, die sich jenseits unseres Fassungsvermögens vollziehen?“
Talbot
Sobald man das Negativ jedoch längere Zeit bei Tageslicht betrachtete, dunkelten auch die hellen Stellen nach und das Bild verschwand. Talbot bekam von seinem Freund Sir John Herschel den Tipp, Natriumthiosulfat zur Fixierung zu verwenden. Diese Fixiertechnik nutzt man noch heute in der Dunkelkammer.
Die Umkehrung des so erhaltenen Negativs in ein Positiv gelang, indem man das Papiernegativ transparent machte und damit erneut ein Papier belichtete (Auskopierverfahren).
Ausschnitt aus einem Schmetterlingsflügel von William Henry Fox Talbot (1841)
Das so erhaltene Positiv war jedoch im Vergleich zu einer Daguerreotypie nicht sehr scharf und viel weniger detailgenau. Jedoch konnte man mit dem Negativ beliebig viele Positive erstellen, während jede Daguerreotypie ein Unikat war. Weitere Vorteile der Kalotypie: Zwischen der Aufnahme und Entwicklung des Bildes war eine zeitliche Trennung möglich. Der Materialpreis war günstig und die Herstellung recht einfach. Zudem konnte man das Papier viel leichter archivieren als die Metallplatten des Verfahrens der Daguerreotypie.
Um bei der Abbildung nicht nur auf flache, kleine Objekte beschränkt zu sein, entwickelte Talbot desweiteren ein Verfahren, bei dem man das mit den Chemikalien behandelte Papier in der Camera Obscura belichten konnte. So waren Aufnahmen von Häusern und Menschen möglich.
Im Garten von Lacock Abbey (unbekannt)
Talbot meldete sein Verfahren 1841 als Calotype Photographic Process in Großbritannien zum Patent an. Er vermutete während seiner Forschung oft, dass er und Daguerre am selben Verfahren arbeiteten und befürchtete, man könnte ihn des Plagiats beschuldigen.
Beide arbeiteten an einem Verfahren zur Sichtbarmachung eines Bildes durch Sonnenlicht, verfolgten dabei jedoch sehr unterschiedliche Methoden. Ein Wettstreit begann, aus dem kurzzeitig die Daguerreotypie, letztendlich jedoch die Kalotypie als Sieger hervorgehen sollte.
Spitzenhandschuh von Hippolyte Bayard (1840er Jahre)
Die Kalotypie (oder auch Talbotypie) war der Beginn der noch bis heute vorherschenden Fototechnik. Auch wenn seitdem viele verschiedene Personen das Verfahren weiterentwickelt und optimiert haben, kann man Talbot ohne Weiteres zu einem der Väter der Fotografie zählen.
Literaturangaben:
• Frizot, Michael: 1839 – 1840. Fotografische Entdeckungen. In: Michael Frizot (Hg.): Neue Geschichte der Fotografie. Köln 1998.
• Friot, Michael: Eine automatische Zeichnung. Die Wahrheit der Kalotypie. In: Michael Frizot (Hg.): Neue Geschichte der Fotografie. Köln 1998.
• Newhall, Beaumont: Die Väter der Fotografie. Anatomie einer Erfindung. Seebruck am Chiemsee 1978.