09. August 2022 Lesezeit: ~9 Minuten

Im Gespräch mit Mehran Djojan über Scham und Instagram

Mehran Djojans Arbeiten verfolge ich bereits seit 2016. Damals war er 20 Jahre alt und fotografierte Portraits in der Natur. Heute arbeitet er für große Marken und hat sein zweites Buch herausgebracht. Über diese Entwicklung habe ich mit ihm gesprochen. Ich wollte wissen, ob er das Gefühl hat, fotografisch angekommen zu sein und wie wichtig Instagram für seine Arbeit ist.

Ich habe in Deinem Instagram-Account ganz nach unten gescrollt. Das erste Bild hast Du am 5. Februar 2015 hochgeladen. Es ist ein Portrait Deiner Schwester Nicki. Das fand ich einen sehr schönen Zufall, denn Du bedankst Dich bei ihr auch in Deinen beiden Büchern.

Ja, da ist definitiv ein roter Faden. Als ich angefangen habe zu fotografieren, war ich oft unsicher. Ich habe auf Flickr all die tollen Fotograf*innen gesehen und war beeindruckt, mit Blick auf meine eigenen Fotos aber auch eingeschüchtert. Meine Schwester hat mir in solchen Momenten der Unsicherheit immer geholfen. Sie fand genau die richtigen Worte, machte mir Mut oder war auch mal ruppig mit mir, wenn ich es brauche. Das ist auch heute noch so.

Als ich meinen ersten große Auftrag hatte, war ich noch sehr jung und mein Englisch war nicht gut. Meine Schwester hat quasi die komplette Kommunikation für mich übernommen. Mittlerweile bekomme ich das natürlich selbst alles hin.

Einblick in ein Buch

Du hast gerade Dein zweites Buch „Shameless“ herausgebracht. Ich bin in einer deutsch-kurdischen Familie aufgewachsen und weiß, dass die Vorstellung von Nacktheit und vor allem Scham sehr kulturell bedingt ist. Du bist in Kabul geboren. Spielt der kulturelle Hintergrund für Dich eine Rolle beim Begriff Scham?

Ich habe das Glück, dass meine Eltern völlig entspannt sind. Als ich mit 17 Jahren angefangen habe, die ersten Aktbilder zu veröffentlichen, hat meine Mutter schon gefragt, ob ich nicht doch lieber Portraits machen möchte. Aber sie hat mir nie das Gefühl gegeben, dass ich mich für irgendetwas schämen müsste.

Viel eher haben mich die sozialen Medien dahingehend beeinflusst. Als auf Instagram die ersten meiner Bilder gelöscht wurden und ich irgendwann auch die Meldung bekam, dass mein Account vor der Löschung steht, hat mich das Thema stärker beschäftigt. Das Absurde dabei war, dass es immer Bilder betraf, die gar nicht explizit waren.

Welche Bilder wurden denn gelöscht?

Ich habe festgestellt, dass bei Inhalten, welche das klassische, heteronormative Schönheitsideal widerspiegelt, die Toleranz von Instagram deutlich höher ist. Sobald ich mich etwas abseits dieser Norm bewege, werden die Bilder verhältnismäßig häufiger gelöscht.

Zum Beispiel waren Portraits von Daniel häufig davon betroffen. Er hat lange Haare, volle Lippen und einen sehr muskulösen Körper. Für mich ist Daniel eindeutig als Mann lesbar, auch wenn er weiche Gesichtszüge hat. Für die Content-Moderator*innen von Instagram anscheinend nicht.

Nachdem das dritte Portrait von ihm gelöscht und mein Account über Wochen „geshadowbanned“ wurde, habe ich gemerkt, dass ich plötzlich „vorsichtiger“ fotografierte. Die virtuelle Bestrafung von Seitens Instagram hat meine Arbeitsweise plötzlich beeinflusst.

Also hast Du Dich selbst zensiert?

Ja, zunächst ganz unbewusst. Ich habe es erst später gemerkt und die Erkenntnis war schockierend.

Alle Grenzen im Bereich der Fotografie, welche von den sozialen Medien gezogen werden, wurden in den 80er und 90er Jahren bereits aufgebrochen und sind nun wieder mit Scham behaftet.

Ist Instagram dennoch wichtig für Dich?

Natürlich! Instagram ist noch immer die Plattform für junge, kreative Leute ihre Arbeiten zu zeigen. Ich kann natürlich auch abseits von sozialen Medien meine Arbeiten zeigen. Wie zum Beispiel über eine Ausstellung oder ein Fotobuch.

Meine Bücher haben mir auf jeden Fall dabei geholfen, mich unabhängiger von Instagram zu fühlen. Ich konnte dadurch wieder freier fotografieren ohne mir über irgendwelche Richtlinien Gedanken zu machen.

Mein Ziel war es nicht ein „heißes Buch“ zu machen. Mir ging es bei „Shameless“ nicht darum, Sex und nackte Körper zu fotografieren. Mir ging es vielmehr darum, Menschen zu portraitieren, die einen Bezug zu den Themen Scham und Sexualität haben. Und das ganz spielerisch und experimentell umsetzen.

schattenspiel einer Person mit Teufelshörnern die ihren Penis hält

Wie lange hast Du an diesem Buch gearbeitet?

Das Buch war ein Corona-Projekt, also etwa zwei Jahre lang. Als die Pandemie begann, war mein Studium fast vorbei und ich hatte einige großartige Jobanfragen und Reisen vor mir. Ich hatte mich gefreut, mich endlich nur auf die Fotografie konzentrieren zu können, denn bis dahin hatte mein Studium viel Zeit in Anspruch genommen. Aber all diese Pläne sind dann ins Wasser gefallen.

Das Buch war dann auch eine Hilfe, um aus dem Frust und der Lethargie herauszukommen. Ich habe für das Buch viele alte Freund*innen getroffen. Das tat echt gut nach all den Wochen, in denen ich nur in der Wohnung gehockt hatte.

Instagram ist auf jeden Fall kritisch zu betrachten, aber eine positive Seite habe ich entdeckt: Man kann ganz wunderbar Deine fotografische Entwicklung sehen. Wenn man vom ersten Bild Deiner Schwester wieder langsam nach oben scrollt, kommen eine Reihe verträumter Portraits in der Natur, dann werden Deine Portraits langsam surrealer und nach und nach kommt mehr Nacktheit ins Spiel. Die neuesten Arbeiten sind eine Mischung aus Erotik und Fashion. Fühlst Du Dich fotografisch angekommen?

Je mehr ich fotografiere, umso klarer wird mir, was ich eigentlich will und was nicht. Ich bin auch immer noch stolz auf viele meiner alten Bilder, kann mich aber nicht unbedingt mehr mit allen identifizieren. Ich lasse sie aber online, weil Instagram für mich eine Art Tagebuch ist. Die Bilder sind alles Erinnerungen.

Ich weiß, dass andere die Plattform eher als Portfolio nutzen und sehr akribisch auswählen, welche Bilder sie da zeigen und auch immer wieder Fotos rausnehmen. Das verstehe ich auch und es macht Sinn. Ich mache es einfach anders.

Zwei Männer tanzen in Unterwäsche

Die Zahlen geben Dir auch Recht. Du hast fast 200.000 Follower*innen auf Instagram. Sicher bekommt man bei so einer Zahl auch einige Jobangebote, oder?

Ja, klar. Dabei nutze ich Instagram eher für meine freien Fotografien. Mir wird immer wieder geraten, mehr kommerzielle Projekte hochzuladen, auch von Kund*innen. Das mache ich auch, diese gehen aber zwischen anderen Arbeiten unter. Ich zeige sie auf meiner Webseite.

Beim Blättern in Deinem neuen Buch musste ich hin und wieder an Ren Hang denken. Nervt Dich so ein Vergleich?

Nein, ich liebe Ren Hang. Es ist so schade, dass er nicht mehr da ist. Mich hätte sehr interessiert, was noch von ihm gekommen wäre. Er hat es immer hinbekommen, mit den einfachsten Mitteln immer wieder neue Ideen zu entwickeln. Wie viel kann man noch anstellen mit Blitz und analog und …

Genitalien?

(lacht.) Ja, okay. Genitalien. Wie viel kann man da noch machen? Er hat sich nie auserzählt. Ich fand seine Bilder auch immer so zeitlos. Hätte man mir gesagt, die Bilder kommen aus den 80er Jahren, hätte ich es geglaubt.

Ich habe für mein Buch auch viel mit Blitz und analog gearbeitet. Vielleicht erinnern Dich deshalb ein paar meiner Bilder an ihn?

Einblick in ein Buch

Es ist nicht unbedingt die Art der Aufnahme, sondern vielleicht eher die Thematik. Viele Aktbilder entstehen durch den erotischen Blick der jeweiligen Fotograf*innen. In Deinen Bildern ist das nicht so, was ich sehr angenehm finde. Du schaffst es, Sexualität und Nacktheit abzubilden, ohne die Menschen zu sexualisieren. Und Du schaffst es, Männer und Frauen auf die gleiche Weise zu fotografieren.

Das hat mir schon einmal jemand gesagt und da ist es mir erst aufgefallen. Es ist wirklich oft so, dass Fotograf*innen entweder Männer oder Frauen fotografieren. Und wenn sie mehr Geschlechter zeigen, sind die Dynamiken oft ungleich. Aber ich mache das nicht bewusst anders. Wenn ich Fotos mache, denke ich nicht darüber nach, dass die Geschlechter möglichst gleichberechtigt dargestellt werden müssen.

Wie schaffst Du das dann?

Ich weiß es nicht. Es geht beim Fotografieren einfach nicht um meine sexuellen Bedürfnisse und Vorlieben. Ich begegne meinen Modellen auf Augenhöhe und respektiere sie. So einfach. Wenn ich fotografiere, erarbeiten wir eine kleine Geschichte und sie spielen für die Kamera. Es ist aber keine Privat-Session für mich.

Schade, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.

Ja, ich arbeite mit vielen Modellen und habe auch viele Modelle im Freundeskreis. Von fast allen habe ich schon Horrorgeschichten über Fotografen gehört, die ihre Position ausnutzen. Das ist unglaublich schockierend.

Frau mit Kleidung in der Dusche

Absolut. Wie geht es denn jetzt nach dem Buch für Dich weiter? Hast Du schon neue Projekte im Kopf?

Ich möchte erst einmal reisen und aus meiner Komfortzone rauskommen. Zudem arbeite ich schon seit drei Jahren an einem Projekt, das bis Oktober fertig sein werden muss.

Darfst Du schon darüber reden?

Ja, ich drehe einen Dokumentarfilm über junge Heranwachsende aus ehemaligen sowjetischen Ländern, die über die sozialen Medien den Weg aus einfachen Verhältnissen heraus und nach Europa gefunden haben.

Das klingt spannend. Dann sprechen wir vielleicht im Oktober wieder. Das würde mich freuen.

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