10. Juni 2022 Lesezeit: ~4 Minuten

Wer war Secondo Pia?

Habt Ihr schon einmal vom italienischen Fotografen Secondo Pia gehört? Von ihm stammt das wohl einzige Foto, das zu einer Reliquie wurde. Dabei war er viel eher an Wissenschaft und Kunst interessiert, als an Religion. Er war Rechtsanwalt sowie Bürgermeister der Stadt Asti und befasste sich ab 1870 intensiv mit der neuen Technik der Fotografie.

Er fotografierte die Architekturen, Gemälde, Skulpturen und anderen Kunstschätze seiner Heimat fast schon manisch und sammelte als Hobbyfotograf ein großes Archiv früher Fotografien an. Vielleicht war dies auch der Grund, warum man ihn 1898 zum 400. Jubiläum des Turiner Doms als Fotograf engagierte, obwohl in dieser Stadt auch mehrere Berufsfotograf*innen ansässig waren.

Pia nutzte seine Chance und fotografierte auch das Turiner Grabtuch, das zu diesem Anlass öffentlich ausgestellt wurde. Ein 4,36 m langes und 1,10 m breites Leinentuch, das von Gläubigen als das Tuch verehrt wird, in dem Jesus von Nazareth nach der Kreuzigung begraben wurde.

Josef kaufte ein Leinentuch, nahm Jesus vom Kreuz, wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in ein Grab, das in einen Felsen gehauen war. Dann wälzte er einen Stein vor den Eingang des Grabes. (Mk 15,46)

Turiner Grabtuch

Turiner Grabtuch © Secondo Pia

Das Tuch zu fotografieren, war damals jedoch alles andere als einfach. Die Lichtverhältnisse im Dom waren schlecht und ein früherer Versuch bereits gescheitert. Pia stellte deshalb ein großes Gerüst vor dem Alter auf, über dem das Tuch hing und installierte zwei Lampen.

Mit bloßen Augen lassen sich auf dem Tuch die Umrisse eines Menschen nur erahnen, zu groß sind die Verfärbungen, Falten und Risse. Sogar Brandlöscher bekam das Tuch bei einem Feuer im Jahr 1532 ab, die danach mit Flicken aus Altartuch repariert worden waren.

Zu Pias Überraschung nahm man all die Schäden auf dem Negativ nicht mehr so stark wahr. Stattdessen zeigte sich eine viel detailreichere Abbildung, auf der die menschlichen Umrisse sehr deutlich hervortraten. Hatte er das Abbild Jesu vor sich? Man kann sich die Überraschung Pias zu diesem Zeitpunkt schwer vorstellen: Ein Mann der Wissenschaft hatte mit Hilfe der Fotografie ein kleines Wunder vollbracht.

Grabtuch von Turin

Grabtuch von Turin © Secondo Pia.
Das linke Bild zeigt das Positivbild, das rechte das Negativ.

Carte de Visite Turiner Grabtuch

Carte de Visite © Secondo Pia

Warum man das Antlitz des Menschen auf der Fotografie so viel besser wahrnahm, hat vermutlich zwei Gründe: Zum einen handelte es sich bei den Abdrücken auf dem Tuch bereits um eine Art Negativbild, das durch die Aufnahme nun zu einem Positiv wurde.

Zum anderen nutzte Pia orthochromatischen Platten. Diese nehmen nur ein Farbspektrum im Bereich der Wellenlängen von 350 bis 600 nm auf. Rot- und Gelbtöne werden dadurch fast schwarz dargestellt, Blau und Violett hingegen Weiß. Zeigten die Fehler im Tuch sowie der Leinenstoff selbst eher rote Töne, traten diese in der Aufnahme also in den Hintergrund und wurden schwarz, während die Abdrücke des Leichnams heller in den Vordergrund kamen.

Ob Pia daran glaubte, dass er das Antlitz Jesu in seinem Foto festgehalten hatte, ist nicht überliefert. Jedoch fertigte er mehrere Cartes de Visite zum Verkauf an. Darauf war der Gesichtsausschnitt der Tuchaufnahme abgebildet und der Text „Heiliges Antlitz unseres Herrn Jesus Christus“ darüber gesetzt. Das brachte dem Hobbyfotografen sicher einiges an Geld ein, jedoch verschwand hinter seiner berühmten Grabtuchaufnahme seine sonstige fotografische Arbeit.

Brunnen mit Menschen

Brunnen in Bowes © Secondo Pia

Innenarchitektur eines Schlosses

San Martino Alfieri (1894) © Secondo Pia

Erst 2010 widmete die Kuratorin Erica Bassignana Pias Werk eine eigene Ausstellung. Darin wurden nicht nur Bilder des Grabtuchs gezeigt, sondern auch Pias umfassende fotografische Darstellung des künstlerischen und architektonischen Erbes der Region Piemont gewürdigt. Angetrieben von seiner Leidenschaft für die Kunstgeschichte fotografierte er die wichtigsten Denkmäler der Region und hielt jedes kleine Detail mit obsessiver Präzision fest. Das Museo Nazionale del Cinema in Italien bewahrt über 13.000 seiner Aufnahmen auf.

Quellen und weiterführende Literatur

Ähnliche Artikel