15. Oktober 2021 Lesezeit: ~7 Minuten
kwerfeldein – kurz erklärt
kwerfeldein – kurz erklärt
kurz erklärt: Kommentarkultur im Internet
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kurz erklärt: Kommentarkultur im Internet

In letzter Zeit werde ich wieder häufiger auf die Kommentare im Magazin angesprochen. Unter den Artikeln sammeln sich vorrangig negative Meinungen und das irritiert nicht nur uns in der Redaktion, sondern auch die eher stillen Leser*innen.

Nun sind negative Kommentare im Internet nichts Ungewöhnliches. Niemand ist an sich erstaunt, dass es im Netz viel Hass, Neid und Häme gibt. Die meisten großen Online-Zeitschriften schließen die Kommentare unter ihren Artikeln oft nach kurzer Zeit und wenn man in eine komische Blase von Twitter eintaucht, scheint die Plattform nur durch Hass aufrechterhalten zu werden.

Dass ich aktuell so oft auf die negativen Kommentare bei uns angesprochen werde, sehe ich deshalb eher als etwas Positives. Denn es zeigt mir, dass man das von kwerfeldein nicht erwartet. Es scheint eher ungewöhnlich.

Nun arbeite ich schon seit über zehn Jahren an kwerfeldein mit. Genug Zeit mich mit negativen Kommentaren auseinanderzusetzen. Zu überlegen, wie ich mit ihnen umgehe und ob sie berechtigt sind, oder eben nicht. Und mich zu fragen, was denn eine gute Kritik ist.

Generell kann man sagen, dass negative Kommentare das eigentliche Stimmungsbild verzerren. Überleg mal, wann Du das letzte Mal etwas kommentiert hast: Wenn Du etwas gut fandst, hast Du wahrscheinlich eher selten „toller Artikel, danke für die Anregungen“ darunter geschrieben. Außer, der Text oder das Foto spricht Dir wirklich aus der Seele und ist weltverändernd für Dich. Aber wenn Dich etwas stört und sei es noch so klein, dann ist der Drang viel größer, das auch zu benennen.

Zusätzlich zieht ein negativer Kommentar oft mehr negative Kommentare nach sich. Wenn ich unter einem Artikel eine Kritik lese, dann komme ich vielleicht erst durch diesen Kommentar darauf, dass ich diesen Punkt im Text selbst auch nicht gut finde. Viele Kommentare wiederholen dann diesen einen negativen Punkt, auf den sie so gestoßen sind und ignorieren die 99 % des restlichen Textes.

Und wer hat Lust, unter eine Handvoll negativer Kommentare dann noch zu schreiben, dass man das Ganze persönlich anders sieht? Dafür müsste man gewillt sein, eine Diskussion loszutreten, bei der es bereits 5 gegen 1 steht. Also belassen es die meisten Leser*innen dabei, bleiben still und wundern sich über diese große Menge Negativität.

Es ist ein Teufelskreis, der mir, die das schon jahrelang macht, nicht mehr ganz so nah geht. Aber für die Gastautor*innen und Fotograf*innen, die sich vielleicht das erste Mal getraut haben, ihre Arbeiten einer gewissen Öffentlichkeit zu zeigen, tut es mir immer leid. Ich weiß, wie viel Selbstzweifel gemischt mit Vorfreude hinter so einer Veröffentlichung stecken. Und wie sehr dann Worte verletzen können.

Kreative neigen dazu, unter 100 positiven Reaktionen auf das eigene Werk diese eine negative Meinung im Internet sehr nah an sich heran zu lassen. Und ja, ich habe schon viel Seelsorge nach einer Veröffentlichung betrieben. Ich hoffe, meine Gedanken zur Entwicklung von negativen Kommentaren helfen einigen, das besser einordnen zu können.

Versteht mich nicht falsch: Wir wollen natürlich auch Kritik. Wir alle wollen wachsen und die eigenen Arbeiten reflektieren. Das geht nicht, wenn alle alles einfach nur toll finden.

Oft ist das eigentliche Problem die Art und Weise, wie kritisiert wird. In den meisten Fällen kennen sich Künstler*in und Kommentator*in nicht. Das macht eine Diskussion heikler. Sicher kennt Ihr das „Vier-Ohren-Modell” von Friedemann Schulz von Thun. Wenn nicht, schaut es Euch unbedingt an, denn es erklärt hervorragend, was bei der Kommunikation alles schief gehen kann und oft auch leider schief geht. Vor allem, wenn man sich nicht kennt und das Gegenüber überhaupt nicht einschätzen kann.

Um die Kommentarkultur auf kwerfeldein zu verbessern, möchte ich Kritik nicht unterdrücken oder gar löschen. Ich möchte nicht die Kommentare irgendwann ganz schließen müssen, weil sich sonst niemand mehr traut, seine Werke zu zeigen.

Aber ich denke, dass einige sich beim Schreiben von Kommentaren mehr Gedanken machen müssen. Wenn ich richtig genervt bin und meiner Wut Luft machen will, dann weiß ich doch eigentlich schon, dass mein Text überhaupt nicht konstruktiv werden kann. Die Wut vorher rauslassen, Musik laut aufdrehen, schreiend mitsingen und wild durch die Wohnung tanzen, hilft mir persönlich sehr. Meine Nachbarschaft hasst diesen Trick. Aber hey, danach bin ich auf jeden Fall ausgeglichener. Oft merke ich dann auch, dass das ganze Problem einen weiteren Energieaufwand gar nicht wert ist.

Wenn es mir danach immer noch wichtig genug ist, dazu etwas zu schreiben, dann versuche ich, nicht nur das Negative zu benennen, sondern im Bestfall auch mindestens einen positiven Aspekt herauszugreifen. Ganz ehrlich: Nichts ist einfach nur schlecht. Im Normalfall haben nicht nur die Künstler*innen lange mit ihrer Arbeit gehadert und sie mehrfach hinterfragt, bis sie irgendwann den Mut gefasst haben, sie zu präsentieren. Auch ich mache mir Gedanken dazu, was ich publiziere und was nicht. Und im letzten Schritt sieht auch meine Redakteurin Aileen noch einmal über den Text und die Bilder.

Wenn Ihr also einen Artikel nur blöd findet, standen davor mindestens schon drei Menschen, die etwas Positives darin sahen. Wer hat nun Recht? Am Ende ist Kunst einfach zu stark von Geschmack, Erwartungen und Erfahrungen abhängig. Kunst ist subjektiv und es gibt keine richtige oder falsche Meinung. Aber gerade deshalb sollten wir so vorsichtig mit ultimativer Meinung sein.

Schlechte Kritik verhindert Gespräche. Weil sich eine Person überhöht, sich vor das Werk stellt und herauspoltert, wie scheiße alles ist. Vom Bild, über den Rahmen bis hin zur Wand, an der es hängt. Wer hat dann noch Lust, sich daneben zu stellen und mitzureden?

Gute Kritik findet auf Augenhöhe statt. Sie behält das große Ganze im Blick und krallt sich nicht an einem Detail fest. Gute Kritik bereichert Artikel und kann zu tollen Diskussionen führen.

In diesem Sinne, kommentiert gern unter diesem Artikel. Schreibt, wie Ihr das seht und verratet gern auch, wie Ihr Wut im Bauch verliert, ohne Eure Nachbarschaft gegen Euch aufzubringen. Schreibt mir auch gern eine Themenidee oder Frage an: kk@kwerfeldein.de – In diesem Sinne: Nächste Frage, bitte!

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