„Its Flower is Hard to Find“ von Vincent Kohlbecher
Für alle, die auf Fotobücher stehen, an denen man nicht einfach so vorbeiblättert, haben wir heute einen besonderen Schatz: Das aktuelle Buch „Its Flower is Hard to Find“ des Fotojournalisten Vincent Kohlbecher besticht durch eine dichte Bildsprache, kluge Gestaltung und eine analytische Erzählung auf mehreren Ebenen.
Soviel vorab: Das Buch handelt von Polen. Alles andere gleicht erst einmal einem Rätsel – oder besser: einer Reise. Auf die werden wir bereits im Klappentext geschickt, der einem fantastischen Märchen der Romantik gleicht. Darin werden wir aufgefordert, unter größter Anstrengung die Blume des Adlerfarns zu suchen, die in der Johannisnacht blüht. Finden wir diese Blume gegen alle Widerstände, würde sich uns die Zukunft offenbaren und uns Reichtümer erwarten.
On St. John’s Eve
At midnight
The forest bracken blooms.
Growling thunder will make the earth tremble.
Fearn and dread will overwhelm you,
Sending icy shivers up and down your spine.
Your hair will stand on end, defying savage winds.
But if you persevere and get the flower,
It will reveal the future,
As in a looking glass,
And bring you riches.
Kohlbecher besuchte das Land in den vergangenen vier Jahren immer wieder. Dort dokumentierte er, was er sah: Motive aus seiner Kindheit, katholischer Glaube, auch Elemente deutscher Geschichte.
Wie jede gute Erzählung beginnt das Buch mit einem Ei. Oder genauer: einem meterhohen, grünen Ei im Park. Es wird nicht das letzte Bild sein, das uns durch seine Vagheit erst einmal orientierungslos zurücklässt: Eine Frau im Blumenkleid vor einem Pfauengehege, eine Parade ohne Gesichter, eine gemalt wirkende Hauswand in schnöder Umgebung, Wäsche auf einer Leine, Flamingos im Park. Faszinierende, aber zunächst verrätselte Bilder.
Das Buch erschließt sich mit fortschreitendem Lesen, wie Brotkrummen beim Weg durch den Wald. Mit jedem Umblättern erfährt man mehr und das Gesehene ergibt mehr und mehr einen Sinn. Die Aufbereitung ist klug, die Bildsprache sowieso. Der Verlag schreibt dazu: „Kohlbechers Bilder sind wie Texte die aufmerksam gelesen werden wollen.“ Das trifft es ganz gut. Das Buch lebt von der Distanz der Bilder, die aber nicht kalt wirken, vielmehr erzählend.
Es wurde eingangs schon erwähnt: Man kann das Buch nicht einfach durchblättern. Man sollte sich Zeit nehmen, um die Bildsprache und das Arrangement der Bilder auf sich wirken zu lassen. Es ist ein holpriger Weg, auf dem wir uns befinden und manche Wege müssen wir mehrmals gehen. Doch es lohnt sich.
Das Buch ist eine wundervolle Einladung, sich intensiv mit dem vielfältigen Nachbarland Polen und seiner ereignisreichen Geschichte auseinanderzusetzen, ganz besonders aus einer deutschen Perspektive. Kaum ein anderes Land der EU hat so viel erlebt in den vergangenen einhundert Jahren wie Polen: Spielball der Mächte im ersten Weltkrieg, überfallen von Deutschland im zweiten, anschließend Kommunismus, dann Kapitalismus, zwischendrin Papstlieferant und EU-Beitritt – um nur mal ein paar Ereignisse zu nennen.
„Its Flower is Hard to Find“ schließt mit einem Text der polnischen Lyrikerin Wisława Szymborska. Darin heißt es resigniert: „Anyone who planned to enjoy the world is now faced with a hopeless task“. Ihr Text antwortet auf die Frage danach, wie wir denn leben sollen, mit: „The most pressing questions are naive ones.“ Vielleicht auch eine Lektüreanleitung?
Informationen zum Buch
„Its Flower is Hard to Find“ von Vincent Kohlbecher
Sprache: Englisch
Einband: Leinen
Seiten: 104 Seiten, 55 Abbildungen
Maße: 22 x 31 cm
Verlag: Hartmann Books
Preis: 38 €