dievirtuellegalerie: Ein Interview
Ralf Mohr und Andreas Rohde haben mit dievirtuellegalerie eine Art, Ausstellungen zu besuchen konzipiert, die der aktuellen Zeit von ständiger medialer Verfügbarkeit sehr entspricht. Ausstellungsräume vom Sofa aus besichtigen? Ausstellungen sehen, obwohl sie schon gar nicht mehr in der Galerie oder im Museum laufen? Dies wird hier möglich. Dabei agieren sie gemeinsam mit Kunstschaffenden und Kurator*innen. Hier geben sie Einblicke in ihre Arbeit.
dievirtuellegallerie wurde und wird von Ralf Mohr und Andreas Rohde mit einer Sony Alpha 7 RII mit Fischaugenobjektiv auf dem Panoramakopf Novoflex Slant VR erstellt. Vom PC, Laptop, Tablet oder dem Smartphone aus betritt man dann Räume, die mit 360°-Technik digitalisiert und nachträglich mit Ausstellungsexponaten bestückt worden sind. Das ist eine Besonderheit, denn dadurch müssen beispielsweise die Druckkosten für eine reale großformatige Arbeit nicht mit in eine Produktion einberechnet werden.
Außerdem gibt es die Option, komplett digitalisierte Galerien aus der realen Welt durch diese virtuellen Türen zu betreten und so jederzeit und ortsunabhängig selbstständig zu durchwandern. An die Bilder kann man herantreten und sich Informationen zu Werk und Hintergrund über einen Info-Button einholen.
Digitale Webplattformen zum Besichtigen von Fotografien und Kunst im Allgemeinen gibt es eigentlich zuhauf, Instagram ist vermutlich derzeit das populärste Medium für die schnelle Distribution von Bildern. In Eurer virtuellen Galerie wird dieses massenhafte Digitalisieren oder digitale Zurschaustellen von Bildern ein wenig gezügelt, da die virtuellen Ausstellungen kuratiert werden. Wie kuratiert man eine Ausstellung, ohne dabei tatsächlich vor Ort zu sein? Oder arbeitet Ihr bzw. arbeiten Eure Kurator*innen dafür doch mit klassischen Raummodellen in der Realität?
Durch die 360°-Fotografie, also durch die von uns erstellten Kugelpanoramen, haben wir ja im Prinzip ein 3D-Modell der jeweiligen real existierenden Ausstellungsräume. Die Räume werden von uns vor Ort zuerst genauestens inspiziert: Wir überprüfen genau, wo es sinnvoll ist, fotografische Arbeiten bis zu welcher Größe an den Wänden zu präsentieren. Das machen wir mit dafür speziell angefertigten Modellbildern. Nach dieser Testphase ergeben sich durch unsere Probehängung die Standpunkte für die Aufnahmen unserer Kugelpanoramen. Somit erstellen wir von jedem Raum auch unser eigenes Raummodell aus unterschiedlichen Blickwinkeln in den Raum.
Die einzelnen Editionen werden von ihren jeweiligen Kurator*innen inhaltlich definiert. Fällt die Entscheidung auf weitere fotografische Positionen, wird zunächst in allgemeiner Abstimmung überprüft, welcher Ausstellungsraum für die Arbeiten passt und dann führen wir im virtuellen Ausstellungsraum Probehängungen durch, bis wir für alle Beteiligten die optimale Lösung gefunden haben.
In Eurer Vorstellung bei 12min.me sprecht Ihr auch davon, dass so ein Projekt schrittweise konzipiert wird. Gibt es eine Art Visualisierung Eurer Schritte bis zur finalen Galerie? Oder anders gefragt: Welche Probleme mussten zuerst bewältigt werden und welche Grundvorstellungen standen für Euch am Beginn des Projekts?
Natürlich war die Entstehung von dievirtuellegalerie ein Prozess, bei dem – wie wir gern sagen – viele digitale Späne gefallen sind. Unsere 360°-Aufträge im Kunst- und Kulturbereich (Weltkulturerbe Rammelsberg in Goslar, Schloss Derneburg in Holle oder die Eisfabrik in Hannover), bei denen wir temporäre Sonderausstellungen dokumentiert haben, sind der Ursprung der Idee.
Wir wollten solche Sonderausstellungen mit 360°-Fotografie dokumentieren, mit Zusatzinformationen spicken, ähnlich einem realen Besuch erlebbar machen und somit die Arbeit der Ausstellungsmacher*innen konservieren und lebendig halten. Der nächste Schritt war dann, in unseren virtuellen Ausstellungsräumen solche Kunst- und Kulturerlebnisse selbst zu kreieren und neu zu schaffen.
Mit diesem Gedanken begannen wir, 360°-Panoramen pixelbasiert aneinanderzufügen, an diesen zu hobeln und zu feilen, indem wir unter anderem unterschiedliche Kameratypen getestet und unterschiedliche Arten zur Aufbringung der fotografischen Arbeiten auf die Ausstellungswände überprüft haben, um einen möglichst realistischen Blick auf die Arbeiten zu ermöglichen.
Ihr erwähnt ebenfalls, dass Ihr erstaunt wart, dass es ein solches Projekt nicht bereits gibt, obwohl nun bereits einiges mit VR-Brillen erlebbar gemacht worden ist. Arbeitet Ihr auch an einer Version mit VR-Brille, mit der man sich dann tatsächlich an einem anderen Ort, zum Beispiel im heimischen Wohnzimmer, bewegt und dabei durch Eure virtuelle Galerie flaniert?
Ja, wir arbeiten daran und sind im regen Austausch mit einem Kooperationspartner in Berlin. Wenn das spruchreif ist und ohne spezielle Downloads so einfach zu handhaben wie wir uns das vorstellen, werden wir mehr darüber erzählen. Trotz des inzwischen regen Interesses an VR-Brillen stellen sie leider immer noch eine sehr spezielle Nische dar. Hierbei ist zwischen den High-End-Varianten wie HTC-Vive und der PS4-VR-Brille, die vornehmlich den Gamer*innen ein bereits sehr immersives Erlebnis bieten, und den Einsteigervarianten wie Google Cardboard oder Daydream und Samsung Gear zwar bereits ein recht weites Spektrum abgedeckt, bei denen allerdings noch eine alle Varianten verbindende Steuerung zu fehlen scheint.
Unser Konzept zielt auf einen möglichst unkomplizierten Zugang ab, der bei unseren Touren durch Basistechnologien wie HTML 5, JavaScript und CSS 3 ermöglicht wird, die von modernen Browsern nativ, also ohne zusätzliche Installation, zur Verfügung gestellt werden. Natürlich beobachten wir die weitere Entwicklung der VR-Brillen und der „Augmented Reality“ intensiv und wollen bei entsprechender „Nutzbarkeit“ auch in dieser Richtung gern Inhalte produzieren.
Als Fotografin ist mir der Satzschnipsel „man kann bis ans Pixel herantreten“ aufgefallen. Nun ist ein analoges Filmkorn kein Pixel und bei der Digitalisierung verfälscht man sozusagen den Anblick des Originalbildes durch diese Transformation – wenn auch nur minimal sichtbar. Wie steht Ihr zu diesem Transformationsgedanken im Bezug zur analogen Fotografie, die ja sicherlich auch Bestandteil der virtuellen Räumlichkeiten ist und sein wird?
Schon jetzt werden analog erstelle Arbeiten bei uns in der Galerie präsentiert – also Arbeiten, die klassisch in der Dunkelkamera reproduziert auch schon in realen Ausstellungen präsentiert wurden, aber die nachträglich ebenfalls digitalisiert wurden. Außerdem streben wir mit den Kurator*innen unserer Editionen auch Kooperationen mit realen Ausstellungen an, in denen selbstverständlich auch analog erstellte Fotokunst präsentiert werden kann.
Wie Du selbst sagst, ist die Digitalisierungstechnik mittlerweile so weit fortgeschritten, dass die Transformation vom Filmkorn zum Pixel nur minimal sichtbar ist. Als virtuelle Galeristen freuen wir uns somit, auch analog erstellte Arbeiten von Künstler*innen durch dievirtuellegalerie rund um die Uhr einem riesigen Publikum vorstellen zu können.
Wie im Video erwähnt, gibt es bei Euch bereits verschiedene Rubriken, die von unterschiedlichen Spezialist*innen betreut werden. Möchtet Ihr langfristig mit einem festen Team oder Rubrikpat*innen agieren oder kann es auch so etwas wie ein Takeover der virtuellen Galerie geben?
Klaus Tiedge für „Modern Art Photography“, Prof. Rolf Nobel für „Documentary Discoveries“ und selbstverständlich auch mit Christoph Künne als Kurator der Edition „Docmasters“ sind seit Jahrzehnten erfolgreich im Bereich der Kunst und Fotografie aktiv. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir diese Kuratoren als Partner für dievirtuellegalerie gewinnen konnten.
Mit ihnen und der Edition dievirtuellegalerie decken wir unterschiedlichste künstlerische Ansätze in der Fotografie ab und öffnen unsere Galerieräume somit einem breiten Spektrum Kunstschaffender und ihrem Publikum. Wir sind ein festes Team, aber kein statisches – dievirtuellegalerie ist ein lebendiges Projekt. Uns treiben viele weitere Ideen und Ansätze um, die auch in weiteren Kooperationen münden können.
Gibt es Wunschorte für künftige Ausstellungen, die Ihr gern an ganz speziellen Orten realisiert würdet, an denen zum Beispiel regulär nicht unbedingt Ausstellungen stattfinden oder stattfinden können?
Oh ja, solche Wunschorte gibt es sowohl unter freiem Himmel als auch unter der Erde. Neben den Edition kooperieren wir ja bezüglich der Ausstellungsorte mit anderen Kulturstandorten wie „Schlägel & Eisen“ in Herten oder dem „SchwuZ“ in Berlin. Unser Wunsch ist es, Kulturstandorte zu vernetzen und somit zu stärken. Inspiriert durch Herten würden wir gern unter Tage einen Raum für uns digitalisieren – also einen Ort, der grundsätzlich nicht zugänglich ist und mit der „letzten Schicht“ zukünftig auch nicht mehr sein wird.
Die Errata Editions bieten mit ihren „Books on Books“ die Möglichkeit, vergriffene Bücher oder solche, die einen unerschwinglichen Preis erreicht haben, als reproduzierten Neudruck zu erwerben. Ein Buch verpackt in einem Buch. Stellt Ihr Euch für Eure Arbeit so eine Rubrik ebenfalls langfristig vor? Um zum Beispiel Zugang zu historischen Arbeiten zu ermöglichen, die vielleicht aus konservatorischen Gründen gar keinem Licht mehr ausgesetzt sein dürfen?
Die Wurzeln unserer beruflichen Tätigkeit liegen bei uns beiden im Druckbereich, auch wenn wir diesen schon lange digital bedienen. Da wir selbst noch den Bleisatz gelernt haben, gibt es verständlicherweise auch eine große Liebe zum Buch. Somit ist die Präsentation der Arbeiten unserer Künstler*innen in Buchform als Erweiterung neben der Ausstellung in unseren Galerieräumen eine der Ideen, die wir als nächstes in unser Portfolio einbinden wollen.
Wie schon erwähnt, präsentieren wir schon jetzt vor Jahren erstellte analoge Fotografien in unseren Ausstellungen, die sich natürlich auch in Büchern wiederfinden darf. Was weitere historische Arbeiten betrifft, stehen wir in Kontakt mit einer Wiener Künstlerin, die mit Andy Warhol in der Factory zusammengearbeitet hat, und sind gespannt, was ihre Negativstreifen so zu Tage fördern.
Eure Galerie bietet auch den Kauf bzw. Verkauf von Arbeiten an. Ein wenig ist es ja dann so, als würde man die sprichwörtliche Katze im Sack kaufen, da die digitale Version der gedruckten nicht exakt entspricht. Üblicherweise sieht man in einer Galerie das Original vor sich und trifft dann eine Kaufentscheidung. Wie verändert diese Tatsache den Umgang mit Fotografien?
Die digitalen Daten, die Künstler*innen bei uns einreichen, werden von uns genau auf ihre Reproduzierbarkeit hin geprüft. Der Weg bis zum gedruckten Kunstwerk ist durchkalibriert und garantiert somit höchste Qualität. Wir möchten ein Kunsterlebnis im virtuellen Raum ermöglichen, das so hautnah wie nur möglich, barrierefrei für jede*n rund um die Uhr und in Kürze auch mehrsprachig verfügbar ist.
Dem Digitalen sei Dank haben wir außerdem die Möglichkeit, so viele Hintergrundinformation über die Künstler*innen zu erhalten, wie diese bereit sind, preiszugeben. So planen wir etwa, zukünftig Interviews in die Ausstellungen als Text, aber auch als Video- oder Audiospur mit einzubinden. Dass die gedruckte Version nicht exakt der digitalen am Bildschirm entsprechen wird, ist uns dabei bewusst. Wir sind aber von der Qualität unserer Reproduktionen absolut überzeugt, sie wird glücklicherweise besser sein.
Die Bilder in der virtuellen Galerie sind sehr klassisch an Wänden präsentiert. Fotografie geht jedoch als Medium weit über diesen klassischen Rahmen – im wahrsten Sinne des Wortes – hinaus und kann in sehr vielfältigen Formen dargestellt werden. Installationen, fotografische Raumtransformationen, minimale und überdimensionale Formate etwa tauchen häufiger in der Welt der Fotografie auf. Kann die virtuelle Galerie so etwas technisch umsetzen oder gibt es irgendwann Grenzen einer sinnigen Sichtbarmachung der Arbeiten im virtuellen Raum?
Im Moment verwenden wir einen eher als klassisch zu bezeichnenden Weg der Präsentation mit der Zielsetzung, auf die ausgesuchten Motive zu fokussieren. Aufgrund der digitalen Grundvoraussetzung können die virtuellen Ausstellungsräume, auch für die von Dir angesprochenen Sonderformen, aber zum Beispiel auch für Videoinstallationen, hervorragend genutzt werden. Überdimensionale Darstellungen bieten sich für die Darstellung in der virtuellen Ausstellung geradezu an, da keine realen Vorproduktionskosten anfallen.
Hier würden wir allenfalls die Kreativität als Begrenzung sehen. Die erwähnten minimalen Bildformate bieten sich allerdings nur bedingt an. Die Besucher*innen unserer Ausstellungen können zwar schon ziemlich dicht an die Motive heranzoomen, aber wir können die reale Betrachtung in unseren Ausstellungen verständlicherweise nur imitieren. Hier würden wir die Grenze zur sinnigen Sichtbarmachung ziehen.
Ich danke Euch für Eure Zeit und das Interview! Euer Projekt ist noch jung und sicher wird viel Weiteres passieren, das nun noch gar nicht absehbar ist. Wir bleiben gespannt und freuen uns natürlich über eine rege Diskussion zu dieser vielleicht auch kontrovers zu betrachtenden Verschiebung der Seherfahrung im Bezug zur Fotografie in den Kommentaren.
Wir danken Dir und freuen uns auf alle Kommentare, denn nur durch Kommunikation und Austausch können wir unsere Konzeption verbessern!
Dieses Interview wurde von kwerfeldein-Redakteurin Tabea Borchardt geführt.