22. Juni 2017 Lesezeit: ~9 Minuten

Das Bildformat HEIF – die unbemerkte Revolution

Am 5. Juni 2017 hat Apple auf der Worldwide Developers Conference die Details zum kommenden iOS 11 öffentlich bekannt gegeben. IOS 11 soll im Herbst erscheinen und bringt allerlei Veränderungen und Verbesserungen „unter Haube“. Daneben wurde der Öffentlichkeit auch ein Detail vorgestellt, dass zu grossen Veränderungen im gesamten Bild- und Fotomarkt führen wird. Es geht um das neue Dateiformat für Fotos und Videos. Es hört auf den Namen HEIF (der enthaltene Video-Codec hat den Namen HEVC) und ist relativ neu.

Die scheinbar nebensächliche Änderung, die bislang auch noch kein besonderes mediales Echo gefunden hat, gibt Anlass zur Frage was uns das neue HEIF Format mittelfristig bescheren könnte.

Zuerst einige Fakten

HEIF steht für „High Efficiency Image File Format“ und wurde 2015 von der MPEG-Group präsentiert.

Die technischen Daten und- vor allem die erzielbare Kompressionsrate – sind solide. Die „coding performance“ liegt bei Bildern im Schnitt bei 2,39 wohingegen das altbewährte JPEG gerade mal 1.66 erzielt. Bei gleicher Qualität haben die im HEIF Format gespeicherten Bilder also im Schnitt nur 50-60% der Dateigrösse von vergleichbaren JPEGs. Die auf der offiziellen Homepage von HEIF verfügbaren Beispiele sind schlicht beeindruckend. Wir halten allerdings fest: HEIF ist – wie JPEG – kompressionsbedingt verlustbehaftet (dazu später mehr).

Technisch gibt es also nichts zu meckern; im Gegenteil. Die Probleme liegen an anderen Stellen.

Ein kleiner Ausblick in die Zukunft

Mit iOS 11 wird Apple das neue Format auf allen Geräten, die mindestens über einen A9 Prozessor verfügen, einführen. Im Klartext: Ab einem iPhone 7 wird HEIF künftig die Standardvorgabe sein. In der iOS11-Betaversion der nativen Photo-App kann diese Einstellung zwar auf „Kompatibel“ (d.h. JPEG) geändert werden, aber Hand aufs Herz: Nur wenige Anwender werden überhaupt so weit in die Voreinstellungen vordringen. Und damit wird eine Lawine in Gang gesetzt, die zu erdrutschartigen Veränderungen führen wird.

Wie wird Apples Strategie aussehen?

Wir kennen die bewährte Strategie von Apple. Es werden Fakten geschaffen. Was Apple für gut, richtig und zukunftsweisend hält, wird implementiert. Alte und bisherige Standards werden dabei gerne radikal „über den Haufen geworfen“. Und Rückzieher sind nicht vorgesehen. Wenn Apple also ein neues Bildformat einführt wird damit klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das der künftige Standard sein wird. Punkt.

Natürlich wird es einen auf relativ kurze Zeit befristeten Übergang geben, in dem auch das alte JPEG Format noch unterstützt wird. Auf künftigen Gerätegenerationen wird es aber bald ausschliesslich noch HEIF geben und das gesamte Ökosystem von Apple wird binnen ca. drei bis fünf Jahren auf HEIF umgestellt. Ich gehe davon aus, dass Apple auch die Marktmacht hat, dem Markt einen Systemwandel in Sachen Bildformat aufzuzwingen. In einigen Jahren wird das HEIF Format alle digitalen Systeme und Plattformen als neuen Standard dominieren.

Wer bei JPEG bleiben möchte wäre dann mittelfristig darauf angewiesen, mit alten Geräten und alten iOS Versionen weiter zu arbeiten. Da Apple aber keine Sicherheitsupdates mehr für ältere iOS Versionen bereit stellt, wird ein zusätzlicher Zwang zum Upgrade auf neue Geräte- und Systemversionen ausgeübt. Diese unterstützen dann freilich bald nur noch das neue Format.

Nebenbei: Inwieweit das neue Bildformat von „alten Apps“ verarbeitet werden kann, ist derzeit noch offen. Da die meisten Apps die vom iOS bereit gestellten Bildformate lesen und schreiben können ist es gut denkbar, dass JPEGs über im Betriebssystem vorhandene Bibliotheken für eine Übergangszeit weiterhin geöffnet und gespeichert werden können. Wahrscheinlicher ist es, dass JPEG Bilder zwar geöffnet, dann aber nur im neuen Format wieder gespeichert werden können.

Grössere Softwareschmieden werden ihre Apps zeitnah auf den nativen Support des neuen Formates umstellen; kleinere Softwareschmieden könnten damit grössere Schwierigkeiten haben (oder möglicherweise dann eben einfach keine Updates mehr zur Verfügung stellen).

Wie verhält es sich nun mit JPEG?

Das gute alte JPEG Format gibt es nun schon bereits seit 25 Jahren. Es hat sich als Standard durchgesetzt und wird von Computern, Betriebssystemen und Kameras im Prinzip aller Hersteller verwendet. Billionen von Bildern sind weltweit in diesem Format gespeichert und archiviert. Ich will hier bewusst nicht die Diskussion „RAW vs JPEG“ lostreten. In den Bilddatenbanken – gleich ob privat oder bei kommerziellen Anbietern – werden die Endergebnisse jedenfalls in aller Regel im JPEG Format gespeichert.

Der Zeitraum innerhalb dessen sich JPEG als Standard etabliert hat entspricht ungefähr der Epoche der Digitalfotografie und des neuen „digitalen Zeitalters“. Fotoamateure wie Profis, die gesamte Archiv- und Stockfotowelt, beinahe alle Homepages im WWW, Grafiker, Designer, usw., sind auf JPEG „geeicht“.

JPEG als schützenswertes Kulturgut

Damit ist JPEG – ähnlich wie andere Kulturgüter – eigentlich bereits deswegen schützenswert, weil es beinahe die gesamte Bilderinnerung des bisherigen digitalen Zeitalters des letzten Vierteljahrhunderts enthält und darstellt (im eigentlichen Wortsinn). Um es deutlich zu machen: Wir reden hier über das digitale Bildgedächtnis der Epoche, in der wir die bewegendsten Veränderungen der Menschheitsgeschichte erlebt haben.

Findet nun ein Wechsel zu einem neuen Standardformat (HEIF) innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne statt, droht der Verlust eines erheblichen Teils unseres kulturellen Erbes sowie der Dokumentation der Neuzeit. Damit meine ich natürlich nicht Millionen von Katzenbildern auf Facebook, sondern Bilder, die einen Einblick in das wahre Leben zeigen. Der grösste Teil des digitalen Bildergedächtnisses wird derzeit im WWW publiziert. Wie lange künftige Browserversionen das bald veraltete JPEG Format noch unterstützen werden, steht in den Sternen.

Denn das Problem, dem wir bald begegnen könnten besteht darin, dass es keine Möglichkeit mehr geben könnte, JPEGs zu öffnen und zu bearbeiten. Die Situation könnte vergleichbar mit der älterer digitaler Datenträger werden. In meinen Schränken türmen sich – meist aus nostalgischen Anwandlungen – alte Disketten, Backupbänder, ZIP-Disks und vieles mehr. Zugegeben, alte Floppydisks geben wunderbare Kaffeetassenuntersetzer ab. Die auf ihnen enthaltenen Daten sind aber mit realistischem Aufwand nicht mehr wiederherstellbar. Könnte es sich mit Bildern im JPEG Format in einigen Jahren genauso verhalten?

Geplante Obsoleszenz?

Ein Wandel im Bildformat beinhaltet auch eine besonders perfide Form der geplanten Obsoleszenz, denn die Anwender, die den „Anschluss nicht verlieren wollen“, werden zum Umstieg auf neue Systeme gezwungen. Für ältere Systeme wird es bald keine Updates mehr geben, die eine Bearbeitung des neuen Formates ermöglichen. Spiegelbildlich wird es auf neuen Systemen immer schwerer werden, das alte JPEG Format zu bearbeiten. Gerade deswegen ist es so wichtig, dass das alte „Format der digitalen Erinnerung“ – sprich JPEG – fest in allen künftigen Betriebssystemen „verdrahtet“ wird.

Eine kurze Recherche im Internet ergibt, dass es derzeit noch keine Desktop-Bildbearbeitungssoftware gibt, die das neue HEIF Format unterstützt. Die Nachrüstung dürfte für die meisten Plugin-basierten Systeme kein Problem sein. Aber die Hersteller werden das nur für die aktuellen Programmversionen anbieten, denn schliesslich sollen die Anwender ja zum Kauf von Upgrades animiert werden.

Sicher, es wird in der Umstellungsphase Batch-Conversion-Tools geben (vielleicht sogar eine automatische Umwandlung in der Cloud), mit denen eine Fülle von Bildern „in einem Rutsch“ in das neue Format konvertiert werden können.

Da dabei allerdings von einem verlustbehafteten Format in ein anderes verlustbehaftetes Format konvertiert wird, wird die Bildqualität in jedem Fall darunter leiden. Bestimmt wird es auch webbasierte Umwandlungstools geben, von denen ich allerdings aus prinzipiellen Gründen abraten würde (oder wollen Sie Ihr gesamtes Bildarchiv irgendwelchen dubiosen Seitenbetreibern zur Verfügung stellen?).

Bitte keine Missverständnisse

Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin kein Technikfeind oder ein Feind des Fortschritts an und für sich. Die reine Qualität des neuen Formates ist – soweit es sich aus den technischen Beschreibungen und den zur Verfügung gestellten Beispielen beurteilen lässt – beeindruckend. Der Gedanke, dass die vorhandenen Speicherkapazitäten mit doppelt so vielen Bildern gefüllt werden könnten, ist eine grosse Versuchung. Stromverbrauch und Umwelt würden auch einen Benefit haben.

Meine Kritik richtet sich vielmehr gegen die radikale Veränderung (oder gar Zerstörung) ganzer Ökosysteme im Bereich der Fotografie. Die fotografische Infrastruktur und der fotografische Workflow werden sich an vielen Punkten grundlegend ändern. Ich bin gespannt, wann die ersten Kamerahersteller das neue HEIF Format als Bildformat anbieten werden. Um das wieder in den Zusammenhang mit der geplanten Obsoleszenz zu stellen: Könnte es sein, dass bald Millionen funktionstüchtiger Kameras nur deswegen auf dem Elektronikschrott landen, weil sie kein „in-camera-HEIF“ anbieten?

Philosophischer Ausblick

Wehmütig denken wir an Omas „Fotokarton“ mit einer Fülle von Abzügen aus mehreren Jahrzehnten zurück. Vielleicht mag die bevorstehende Bildformatrevolution für mitdenkende Zeitgenossen ein Anlass sein, wieder mehr analog zu denken und zu fotografieren?

Dieser Artikel erschien bereits im lapplandblog. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung. Das Titelbild dient als Symbolbild und stammt von Oliur Rahman.