Leidenschaft, die Leiden schafft
Wenn ich mich mit anderen Fotografen unterhalte, kommen wir des Öfteren immer wieder auf ein Thema: Man ist unzufrieden, man hat das Gefühl, in der eigenen Entwicklung stehen zu bleiben, man wiederholt sich selbst. Diese tiefen Löcher, in die man fallen kann, kennt wohl fast jeder, der sich ernsthaft mit der Fotografie auseinandersetzt.
Es ist genauso wie bei einem Musiker, der ein geniales erstes Album aufgenommen hat. Jeder und gerade er selbst erwarten beim zweiten Album eine stetige Weiterentwicklung. Oft verkrampft dadurch der Künstler und es wirkt verkopft. Am Ende sagt man dann immer: „Sing mal wieder so, wie bei Deinem ersten Album.“
Die eigene Entwicklung legt einem eine größere Last auf, als man am Anfang denkt. Der Anfang ist immer so leicht und unbeschwert, es gibt so viel auszuprobieren, alles ist neu, alles fühlt sich aufregend an. Irgendwann findet man aber das Gebiet, das einem am meisten zusagt. Die Lernkurve flacht ab, und die Erfolgserlebnisse verlangsamen sich und bald merkt man, was funktioniert. Das ist auch gleichzeitig die größte Gefahr, denn es kommt zum Stillstand in der Entwicklung, nur weil etwas funktioniert.
Ich verdiene mein Geld mit der Fotografie, bin dadurch sehr oft an Kundenwünsche gebunden und setze diese um. Würde ich aber keine freien Projekte umsetzen, würde ich sehr schnell die Liebe zur Fotografie verlieren. Die freien Fotosessions geben mir Kraft und ich kann Dinge ausprobieren, die ich dann wiederum bei meinen Kunden umsetzen kann. Natürlich kostet ein freies Projekt Zeit – aber dadurch verwirkliche ich Gefühle und Ideen, die in meinem Inneren Stecken. Ich suche mir in den freien Projekte meine Ventile.
Als Fotograf denkt man oft, man ist Einzelkämpfer, man sitzt im Homeoffice, im eigenen kleinen Atelier oder Studio und kocht das eigene Süppchen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ein Austausch zwischen vermeintlichen Konkurrenten einem sehr viel mehr bringen kann, als man ahnt. Dabei rede ich nicht von einem überteuerten Workshop, der Dir am Rande nur eine kleine Geschichte erzählt, sondern davon, sich zu treffen – auf Augenhöhe.
Frag die Fotografen an, die Dich begeistern, gerade wenn diejenigen in Deiner Stadt wohnen und schau mal hinter die Fassade der Fotos, die Dich selbst begeistern. Dabei wirst Du merken, dass jeder nur mit heißem Wasser kocht. Klar hat der eine oder andere ein paar Tricks, aber oft ist es das Wesen eines Menschen, das die Fotos bestimmt.
Vielleicht enttäuscht Dich das Treffen sogar, weil Du mit zu hohen Erwartungen herangegangen bist. Aber Du wirst anfangen, Fotos anders zu betrachten. Andere Personen, die Deine Leidenschaft teilen, lösen in Dir Denkprozesse aus.
Dabei entsteht vielleicht sogar ein neues Projekt im Kopf. Ob es eine Serie oder eine längere Auseinandersetzung mit einem Thema ist, ist dabei egal. Solange man sich ausprobiert, gibt es auch keine Fehler, die man machen kann. Es geht darum, sich selbst zu finden. In der Fotografie, aber auch als eigenständiger Mensch.
Einer meiner Lieblingsmusiker sagte einmal: „Du bist, was du isst.“ Das funktioniert für mich als Fotograf auch: „Du bist, was du fotografierst.“ Bist Du ein provokanter Typ, wirst Du sehr wahrscheinlich auch „lautere“ Bilder fabrizieren, bist Du eher jemand von der nachdenklichen Sorte, hast Du wahrscheinlich eher den Hang zur melancholischen Fotografie.
Wenn Du eine neue Idee hast, dann probiere sie aus.
Wirf Deine eigenen Maßstäbe über Bord.
Man kann es nie allen recht machen, muss man auch nicht.
Wenn man sich mit der Art, mit der man selbst fotografiert, wohlfühlt, kann man auch versuchen, mit dem eigenen Stil einen neuen Level zu erreichen. Trotzdem sollte man nicht nur das machen, was „funktioniert“, sondern das, wonach man sich fühlt. Wenn Du Bock hast, Dich auszuprobieren, mach weiter. Es kann nichts passieren.