Die 5 Fotobücher des Monats
Liebe Leser, auch der August neigt sich dem Ende zu und während eine leichte Kühle den Herbst ankündigt, bietet sich diese Zeit doch geradezu an, um drinnen bei einer Tasse Kaffee in Fotobüchern zu schmökern.
Wir (Tilman und Martin) sind jedenfalls ständig auf der Suche nach neuen Schmuckstückchen, die wöchentlich auf dem Fotobuchmarkt erscheinen. Und neben persönlichen Lieblingsfotograf*innen, bei denen wir sehnsüchtig auf Neuerscheinungen warten, werden auch wir ständig von unbekannten Talenten überrascht.
So präsentieren wir Euch heute eine Mischung aus spannender Straßenfotografie und spannendem Fotojournalismus. Dass sich beide Genre sehr nahe stehen und doch soweit auseinander liegen können, zeigen die nun folgenden fünf Fotobände.
Aapo Huhta: Block*
Aapo Huhta hat es geschafft, mich wieder zu begeistern. Nachdem ich mich zum Ende des letzten Jahres von der Straßenfotografie verabschiedet habe, interessieren mich Bücher aus diesem Genre nur noch selten. Doch als das Rezensionsexemplar „Block“ aus dem Verlag Kehrer in meinen Händen lag, wollte ich es nicht mehr loslassen.
Huhta, seines Zeichens finnischer Fotograf und Magnum-Liebling, fotografierte zwischen 2014 und diesem Jahr Menschen auf den Straßen New York Citys. Jedoch verzichtete er auf die üblichen Situationskomiken und den schon beinahe nervig gewordenen starken Kontrast gängiger Straßenfotografie, sondern erlaubte sich den Spaß des Minimalismus.
Die Aufnahmen des Finnen bringen alte Sehgewohnheiten ganz durcheinander, denn Huhta reduziert nicht nur inhaltlich, indem er meist nur eine Person ins Bild setzt. Nein, er nimmt die Farbsättigung zurück und lässt seine Protagonisten vor leeren, gleichförmigen Hintergründen auftreten. Meist vor Beton.
Reduktion findet sich auch in der Ausgestaltung des Bandes, der anstatt des erwarteten Vorwortes prompt mit dem ersten Bild beginnt, das gerade einmal einen Fuß zeigt und den Rest der Person in einem Schlagschatten verschwinden lässt. Jedes Bild des Buches bekommt eine ganze Seite Platz, die gegenüberliegende wird freigehalten und so finden sich auf 94 Seiten 39 Farbarbbildungen.
„Block“ kann ich allen wärmstens empfehlen, die sich abseits gängiger Straßenfotografie für die Dokumentation des öffentlichen Lebens begeistern können.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 94 Seiten
Verlag: Kehrer
Größe: 12 x 1,5 x 30,4 cm
Preis: 34,90 €
Concealed: She’s Got a Gun*
Als ein Freund der Fotografin Shelley Calton beim Friseur nur knapp einer Schussverletzung entging, weil sich aus der Pistole einer Frau, die ihre Handtasche fallen ließ, ein Schuss löste, wurde ein Projekt geboren, das heute in Buchform vor mir liegt. „Concealed“ beschäftigt sich mit Frauen aus Texas, die eine Pistole bei sich führen.
Shelley Calton reiste drei Jahre lang durch Texas und fand insgesamt 70 Frauen, die sich mit Waffe fotografieren ließen: Von Müttern über junge Studentinnen bis zu einer Sexshop-Besitzerin dokumentierte die Fotografin den Durchschnitt texanischer Mittel- und Oberschicht.
Das beunruhigende an den Portraits der bewaffneten Frauen ist, dass sie auf den ersten Blick ganz gewöhnliche Portraits von Frauen sind. Auf der Couch im Wohnzimmer, liegend auf dem Bett mit dem Baby oder einfach stehend auf der Straße wirken die gemütlichen Aufnahmen beinahe langweilig. Doch was das Ganze so abstrus und beängstigend macht, sind die Pistolen, die wie die reinste Selbstverständlichkeit Teil des Bildes sind.
So ist „Concealed“ Provokation, Kritik und Empathie-Versuch zugleich. Im Hardcover (natürlich violett) ist eine Pistole eingeprägt und fällt so schon durch die obskure Mischung im Buchladen auf. Zuguterletzt sind auf den letzten Seiten Zitate der Frauen zu lesen, die ihre Beziehung zur Waffe offenlegen – dies jedoch anonym und ohne Namensnennung. Das wäre wohl auch bisschen zu viel verlangt gewesen.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
Verlag: Kehrer
Größe: 26,4 x 24,4 x 1,3 cm
Preis: 39,90 €
Sebastião Salgado: Duft der Träume*
Ich hege eine enge Beziehung zu Kaffee, seit ein paar Jahren fühle ich mich in der „Third Wave“-Bewegung zuhause und meine Lieblingsbohnen stammen aus Kenia und Guatemala. Somit konnte ich Salgados „Duft der Träume“ nicht ausweichen, der mir freundlicherweise vom Verlag Knesebeck zugeschickt wurde.
Sebastião Salgado muss ich hier wohl nicht im Detail beschreiben – der brasilianische Fotograf setzt sich seit jeher für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz ein und hat mit seinen Projekten internationalen Ruhm erlangt, bis 1994 war er Teil von Magnum Photos.
In „Duft der Träume“ dreht sich alles um Kaffee – und zwar insbesondere um das Leben der Menschen, die überall auf der Welt Kaffeekirschen pflücken, trocknen und waschen. Über zehn Jahre lang (ab 2002) besuchte der Brasilianer Kaffeeplantagen in zehn Ländern, in denen Arabica-Bohnen fair und nachhaltig produziert werden.
Salgado ist für seine satten Schwarzweiß-Aufnahmen bekannt, die auch im vorliegenden Buch zur Geltung kommen und Betrachter durch den gesamten Prozess der Kaffee-Ernte führen. Gemischt mit weitläufigen, dramatischen (und leider stellenweise überbearbeiteten) Landschaftsaufnahmen von Kaffee-Feldern stellt Salgado insbesondere den Menschen vor Ort ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit.
Für mich ist „Duft der Träume“ ein unverzichtbarer Band geworden, der mir erneut vor Augen führt, dass ich als Konsument des schwarzen Goldes das Glück habe, nicht nur Genießer einer Planze zu sein, sondern auch Empfänger der Arbeit zahlreicher Arbeiterinnen und Arbeiter der südlichen Hemisphäre.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Knesebeck
Größe: 25 x 4 x 36,3 cm
Preis: 59,00 €
Johannes Kiefer: Die letzte Revision*
Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld bei Schweinfurt war selten in den Schlagzeilen. Dennoch war es in seinen 33 Jahren Betriebszeit des Öfteren im Jahresvergleich das Kraftwerk mit der größten Leistung in seiner Kategorie. Am 27. Juni wurde der Betrieb des Kraftwerks eingestellt. Im Jahr 2014 konnte der Fotograf Johannes Kiefer die letzte Revision des Kraftwerks fotografisch begleiten.
In seinem Buch „Die letzte Revision“ nähert sich Johannes Kiefer dem Kraftwerk über mehrere Kapitel hinweg Schritt für Schritt. Beginnend mit Außenansichten führt er uns unter anderem über das Archiv und den monumentalen Kühlturm bis zum Reaktorraum. So unaufgeregt und teilweise spröde die Bilder auf den ersten Blick auch daherkommen, beweist Kiefer durch eine sorgfältig gewählte Reihenfolge und mit Bedacht gewählten Gegenüberstellungen auf den Doppelseiten doch, dass er genau weiß, was er dem Betrachter kommunizieren will.
Zumindest mir blieb eine gewisse Ironie in den Bildern nicht verborgen, wenn beispielsweise alte Fahrräder in Mitten dieses High-Tech-Komplexes gezeigt werden. Immer wieder auch sind die Bilder über den dokumentarischen Charakter hinaus auch rein grafisch interessant und gut beobachtet. Gut gefallen hat mir auch, wie mit dem Archiv sehr kleinteilige Bilder und mit dem Kühlturm schon fast monumentale Szenen im selben Komplex zu finden sind.
Kiefers Bilder zeigen das Kernkraftwerk insgesamt jedoch in einer undramatischen Nüchternheit, die in starkem Kontrast zur emotionalen Debatte um die Kernenergie steht. Der Kontrast wird umso größer, wenn man sich die Bilder vor Augen führt, die man von Tschernobyl oder Fukushima kennt. Die potentielle Gefahr der Kernkraft verbirgt sich hier hinter einer ganz banalen, beinahe alltäglich anmutenden Industrieanlage.
Ein Buch, das seine Qualitäten Schritt für Schritt offenbart, herausgegeben von einem kleinen Verlag aus Würzburg, günstig bepreist und damit in jeder Hinsicht sehr empfehlenswert.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
Verlag: Peter Hellmund
Größe: 22,2 x 1,7 x 29,7 cm
Preis: 18,00 €
Sepp Werkmeister: New York 60s Photographs*
Wer sich mit klassischem Jazz von Louis Armstrong über Charlie Parker bis Ella Fitzgerald befasst, der kennt mit Sicherheit schon die Musikerportraits von Sepp Werkmeister. Dass er auch ein ausgeprägtes Auge für die Straßenfotografie hatte, war bisher weniger bekannt. In dem nun bei Hirmer erschienenen Band „New York 60s Photographs“ ist eine Auswahl seiner Straßenfotografien aus New York zu sehen.
Anlässlich einer Ausstellung, die seit dem 30. Juli im Münchner Stadtmuseum zu sehen ist, sind in diesem Buch nicht nur schwarzweiße, sondern auch farbige Fotografien des inzwischen 84-jährigen Münchner Fotografen zu sehen. Werkmeister hat sich mehrheitlich in den von schwarzen Amerikanern bewohnten Stadtteilen New Yorks bewegt und dort sehr nah an seine Motive herangewagt.
Das Buch gefällt nicht nur durch starke Bilder, die eindringlich sein können, gleichzeitig aber auch humoristische Züge besitzen, gerade wenn er durch entsprechende Paarung auf der Doppelseite Gegensätze bildet.
Dass solche Bilder gerade nicht von einem der üblichen amerikanischen „Klassiker“ wie Garry Winogrand oder Eliott Erwitt, sondern von einem Deutschen stammen, der nur für kurze Reisen New York besuchte, macht die Bilder umso bemerkenswerter. Die Farbfotografien sind erst recht außergewöhnlich, Farbfilm war zu der Zeit mit seinen relativ geringen Empfindlichkeiten nicht unbedingt die naheliegende Wahl für das Fotografieren sich schnell bewegender Objekte. Wo man heute bedenkenlos ISO 800 oder gar ISO 1600 verwendet, um auch bei geschlossener Blende die Belichtungszeiten kurz zu halten, musste damals ISO 64 ausreichen.
Für Liebhaber der Straßenfotografie ein wirklich interessantes Buch, lesenswert auch das Alphabet-Essay des vor Kurzem verstorbenen Fritz J. Raddatz.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
Verlag: Hirmer
Größe: 16,7 x 2 x 26,9 cm
Preis: 24,90 €
Wie immer hoffen wir, dass für alle Leser*innen etwas dabei war. Und wir wissen schon jetzt: Für den Herbst sind einige tolle Fotobücher angekündigt, die wir Euch dann Ende September präsentieren werden.