Die 3 Fotobücher des Monats
Den einen oder anderen mag die Überschrift etwas irritiert haben: Ja, normalerweise stellen wir an dieser Stelle 5 Bücher vor. Im Juli haben sich die Verlage jedoch zurückgehalten, vermutlich weil die Masse der Neuerscheinungen dann im Herbst in die Läden kommt. Da wir jedoch auf keinen Fall 5 Bücher um der Anzahl willen vorstellen wollen, haben wir für diesen Monat die Auswahl etwas verkleinert. Die vorgestellten Bücher sind es jedoch allesamt wert, näher in Augenschein genommen zu werden.
Keinesfalls wollen wir damit die anderen Neuerscheinungen des Monats zurücksetzen, ein Besuch im Buchladen des Vertrauens lohnt immer. Vielleicht wollt Ihr ja in den Kommentaren loswerden, wo Ihr besonders gern Bücher kauft – sei es im Netz oder vor Ort. Eine Wertung wollen wir hier gar nicht vornehmen, gerade Bücher wie „Chronicles“ hätten es beispielsweise im konventionellen Buchhandel vermutlich schwer.
David Solomons: Up West*
Kürzlich haben wir an dieser Stelle Siegfried Hansens „hold the line“ vorgestellt. Nun tritt mit David Solomons ein weiteres iN-PUBLiC-Mitglied mit „Up West“ an. David Solomons stammt aus London und die Stadt ist auch Thema seines Buchs. Das Londoner Westend, um genau zu sein. Zwölf Jahre lang zog Solomons immer wieder in diesen Stadtteil, um zu fotografieren. Die Bilder dokumentieren das Viertel und seine Menschen.
Jedes Bild ist mit der Straße und dem Jahr, in dem es aufgenommen wurde, untertitelt. Damit wird eine genaue Verortung möglich, auch zeitlich. In seinem sehr lesenswerten und vor allem sehr informativen Vorwort erwähnt iN-PUBLiC-Kollege David Gibson, dass London eine Stadt ist, die sich im Halbstundentakt verändert. Und so gewinnen Solomons Bilder neben ihrer sichtbaren Qualität noch den Wert eines Zeitzeugnisses und einer Referenz für den Leser und Besucher dieser Straßen. Was steht noch so wie zum Zeitpunkt der Fotografie, was hat sich verändert?
Solomons vermeidet es, in seinen Bildern einfach nur vordergründig auf schnelle Effekte zu vertrauen. Es gibt diese Bilder, die die fast iN-PUBLiC-typische Ironie enthalten. Doch oft sind es Szenen, die jedem, der London einmal besucht hat, als typisch erscheinen, ohne beliebig zu sein. Solomons hat ein Auge für den Moment und das gewisse Etwas eines Bilds erschließt sich oft erst bei genauerem Hinsehen.
Die Geduld, mit der er dieses Projekt über diesen Zeitraum hat reifen lassen, ist beeindruckend. Erst recht, wenn gleichzeitig die Bilder so durchgängig wirken. Ein Buch, das gleichermaßen für Freunde der Straßenfotografie und London-Liebhaber mehr als empfehlenswert ist.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 144 Seiten
Verlag: Bump Books
Größe: 21,7 x 2,1 x 25,1 cm
Preis: ca. 42 €
Hellen van Meene: The years shall run like rabbits*
Hellen van Meenes Buch „The years shall run like rabbits“ ist ein schwieriger Fall. Es ist eines der wenigen Bücher, bei denen ich mir gewünscht hätte, es hätte weniger Material. Van Meene liefert hier eine Unmenge Bilder, was andererseits erlaubt, das Buch in mehreren Etappen durchzuarbeiten.
Ganz allgemein gesprochen enthält das Buch Portraits von jungen Menschen, meist Mädchen, meist in der Pubertät, an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Der Umfang entsteht dadurch, dass das Buch mehrere deutlich unterscheidbare Serien enthält.
Portraits von Mädchen, drinnen und draußen aufgenommen, machen fast die Hälfte des Bildteils aus. Dann folgt eine Serie mit Doppelportraits, bei denen sich zum Portraitierten noch ein Hund gesellt. Es gibt eine Portraitserie, in der ganz besonders mit Licht und der Wirkung von Beleuchtung gearbeitet wurde. Eine weitere Serie zeigt Portraits von Mädchen, deren Gesicht völlig durch ihre Haare verdeckt ist.
Bei den portraitierten jungen Menschen handelt es sich nicht um Modelle, viel mehr findet van Meene ihre Motive in der Region, in der sie lebt, rund um Alkmaar in den Niederlanden. Dort sind die Bilder auch entstanden.
Ein schnelles Überfliegen des Buches fällt schwer, weil die Bilder alles andere als beliebig sind. Lässt man sich durch die spannende Einleitung des Kurators Martin Barnes führen, hat man einen noch besseren Zugang zu den Fotografien, nötig ist sie jedoch nicht.
Mir gefällt am Buch die Bandbreite, sei es nun an dargestellten Charakteren wie an Darstellungsformen. Neben sehr künstlich wirkenden Fotos, die stark an klassische Gemälde erinnern, findet man genauso Momentaufnahmen Jugendlicher, wie man sie im eigenen Umfeld auch sehen kann. Van Meene konzentriert sich auf eine kurze Zeitspanne im Leben, die von Veränderung geprägt ist und man spürt, wie vergänglich diese Phase ist.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: Schirmer/Mosel
Größe: 23,3 x 3,5 x 28,9 cm
Preis: 58 €
Shilo Group: Chronicles
Die Ukraine ist in den letzten Wochen aufgrund der Ereignisse in Griechenland aus dem Blickfeld gerückt. Die schwierige Situation im Land bleibt unverändert bestehen. Sehr deutlich wird dies am hier vorgestellten Buch „Chronicles“ der Shilo Group. Hinter dem Namen verbergen sich Sergiy Lebedynskyy und Vladyslav Krasnoshchok.
Die beiden Ukrainer begannen 2010 ihre Zusammenarbeit und die in „Chronicles“ gezeigten Bilder decken den Zeitraum von 2010 bis April 2015 ab. Die drei Teile dokumentieren in chronologischer Reihenfolge das Leben und die Ereignisse in Kharkiv (Charkow), Kyiv (Kiew) sowie in den Regionen Donetsk und Lugansk.
Während wir es gewohnt sind, aus den Nachrichten Bilder aus Krisenregionen mit einem einordnenden Kommentar serviert zu bekommen, verweigert „Chronicles“ jegliche (wertende) Erläuterung. Die Bilder stehen für sich. Ort und Zeitraum, die am Anfang jedes Kapitels stehen, geben dem Leser jedoch genügend Informationen, um die Bilder in den groben Kontext setzen zu können.
Die Fotos selbst sind sämtlich nicht nur in schwarzweiß gehalten, sondern besitzen zudem einen Look, der schon fast holzschnittartig zu nennen ist. Oftmals sehr dunkel, wenige Grautöne, viel Unschärfe. Die Bilder wurden von den Fotografen selbst im Badezimmer, auf sowjetischen Fotopapier entwickelt. Der Vergleich, dass die Bilder den Eindruck von Gedankenfetzen machen, vermittelt sehr gut die Ästhetik, die an Bilder aus der Frühzeit der Fotografie erinnert.
Und irgendwie passt diese aus der Zeit gefallene Ästhetik sehr gut zu den Portraits, den hektischen Straßenszenen von Demonstrationen, den Menschen aus den ländlichen Regionen oder den Momentaufnahmen zerstörter und heruntergekommener Orte. Mich haben die Bilder teilweise sehr an historische Aufnahmen aus dem zerstörten Berlin des Jahres 1945 erinnert.
Irritierend ist, dass die Ästhetik einerseits eine große Distanz zum Geschehen herstellt, die Motive und Situationen den Betrachter andererseits fast magisch in den festgehaltenen Moment hereinziehen.
Ein besonderes Buch, nicht nur für geschichtlich und politisch interessierte Menschen.
Informationen zum Buch
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: Die Nacht Publishing
Größe: 21 x 28 cm
Preis: 48 €
+ Zusatz-Tipp: Das POLADARIUM erscheint demnächst zum fünften Mal. Wieder sind auch Polaroids aus der Redaktion sowie von einigen unserer Gastautoren vertreten. Noch bis zum 1. August könnt Ihr das Poladarium 2016 zum Vorbestellerpreis von 24,90 € erwerben.
Wie jeden Monat hoffe ich sehr, dass für alle Leser auch dieses Mal etwas dabei war. Welcher Band in dieser Auswahl interessiert Euch am meisten?
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