Die junge Fotografie und die Romantik I
In den letzten Jahren tauchen bestimmte Motive immer wieder in der jungen Fotografie auf. Wobei der Begriff „junge Fotografie“ nicht als zu statisch angesehen und überstrapaziert werden sollte. Aber einige dieser Motive, die stark an den Leitgedanken der Romantik erinnern, möchte ich ein wenig mehr beleuchten, da die Häufigkeit ihres Auftauchens und die Reaktionen darauf kontroverser nicht sein könnten.
Doch bevor ich beginne, möchte ich meinen Äußerungen ein Zitat voranstellen, das mich bei der Zusammenstellung der Motive begleitet hat.
In „Liebe, Tod und Teufel – Die schwarze Romantik“* von Mario Praz heißt es in der Einleitung:
Literaturwissenschaft setzt das Vorhandensein einer Kulturgeschichte voraus: der Kulturgeschichte eines bestimmten Lebenskreises sowie eines Einzelwesens. Selbst wenn ein Kunstwerk, dessen Verfasser in Vergessenheit geriet, in die Kulturgeschichte eingegangen ist, so ist doch dieses Kunstwerk ohne den Künstler nicht denkbar. Tendenzen, Motive, Moden, die zu der Zeit des Dichters an der Tagesordnung waren, bilden ein unerlässliches Hilfsmittel zur Deutung seines Werks.
Nun bewegen wir uns natürlich nicht auf den Pfaden der Literaturwissenschaften und auch wissen wir nicht, welches der Bilder unserer Zeit wohl in die Kulturgeschichte eingehen oder für immer verpuffen wird. Aber darum geht es auch nicht. Da ich aber die Fotografie als eine Sprache definiere, die anstatt Worten eben Bilder verwendet, möchte ich genau unter dieser Prämisse, also der festen Verbindung zwischen Werk und Ersteller, die folgenden Bilder betrachten.
Das immer am häufigsten besprochene und diskutierte Motiv bei kwerfeldein ist die junge Frau bzw. das Mädchen und die Natur.
Kritiker spotten nur allzu gern über die Austauschbarkeit des Sujets oder üben sogar Kritik an einer Verzeichnung des Frauenbildes unserer Zeit. Aber betrachten wir es aus Sicht der Romantik, ist es vollkommen legitim und erzählt uns außerdem viel mehr über das Gefühl einer ganzen Generation, wenn wir nur genau hinhören, anstatt zu belächeln.
Mensch und Natur
Wir finden junge Frauen, aber auch Männer, in der Waldestiefe, in Bachläufen, Waldseen, Höhlen oder am Meer. Sie schließen dabei oft ihre Augen oder schauen abwesend in die Ferne, als wollten sie nur lauschen – der Stille in sich selbst oder dem Gespräch der Natur. Jedenfalls ist das das gängige Klischee, wenn die Begriffe Natur und Frau in einem Gespräch auftauchen.
Tina Sosna
Tina Sosna inszeniert sich in ihren Bildern oft selbst. In den ausgesuchten Bildern schlüpft sie beispielsweise in die Gestalt von Naturgeistern, wie wir sie aus der römischen und griechischen Mythologie kennen. Als Nymphe sitzt sie in einem Bachlauf und sonnt sich oder erhebt sich als unwirkliche Frauengestalt im Morgengrauen oder der Abenddämmerung aus dem See.
Die Natur spielt dabei oft eine große Rolle, da sie mir sehr viel bedeutet und da das der Ort ist, an dem ich mich wirklich heimisch und wohl fühle, wo ich sein kann, wie ich bin. Manchmal spielen auch die von Dir genannten Frauenbilder eine Rolle, indem sie ein wenig Inspiration liefern. Dennoch entsteht das fertige Foto eigentlich immer ganz spontan, da plane ich nicht sehr viel im Vorfeld und lasse mich lieber von der Natur inspirieren.
Katja Kemnitz
Sie ist aber auch Rückzugs-, Sehnsuchts- und Zufluchtsort, wie die Serie „Shelter“ von Katja Kemnitz zeigt; hier sucht sie Orte im Wald auf, die ihr ein Gefühl von Geborgenheit geben. Sie schreibt:
Ich ziehe viel Inspiration aus der Natur, insbesondere dem Wald. Die Ruhe, die Farben – ich fühle mich dort sehr sicher. Deshalb bin ich auch oft allein im Wald und mache Selbstportraits. Ich genieße den Frieden und die Ruhe um mich herum, vermeide den Blick auf die Uhr und fotografiere einfach. Wenn ich eine schöne Stelle entdecke, dann setze ich mich, betrachte sie eine Weile und überlege, wie ich mich darin darstellen könnte.
Allein bin ich sonst nie mit zwei Kindern, Job und Haushalt. Meine Gedanken sind immer bei Dingen, die ich noch machen, an die ich denken muss. Der Wald ist der Ort, an dem ich abschalten kann. Durch die Selbstportraits gibt es keine Erwartungshaltung eines Modells oder Kunden. Ich mache die Bilder ohne Druck nur für mich. Deshalb hat für mich die Entstehung der Bilder mehr Wert als die fertigen Bilder an sich.
Und Feengeschichten inspirieren mich. Ich liebe kitschige Geschichten mit ihren Stereotypen, wie auch die dunklen und unergründlichen Geschichten.
Esthaem
Aber die Natur kann auch als Bedrohung wahrgenommen werden, indem sich die Natur gegen uns stellt oder der Mensch sich unterzuordnen hat. Diese Thematik nimmt der junge Künstler Esthaem in einigen seiner Bilder auf. Er schreibt:
Ich bin der Meinung, dass eine Verbundenheit zur Natur von großer Bedeutung ist, jedoch auch, dass dies bei immer weniger Menschen der Fall ist. Irgendwann holt sie sich jedoch zurück, was ihr gehört – und spätestens nach dem Tod, der in vielen meiner Arbeiten eine prominente Rolle einnimmt, enden wir, in welcher Form auch immer, wieder vereint.
Ines Rehberger
Ebenfalls wird die Natur für unterschiedliche Seelen- und Gefühlszustände „benutzt“. Wir können in ihr Schutz suchen, aber genauso innere Beschränkungen ausdrücken, wie sie Ines Rehberger in ihren Bilder aufzeigt.
Meine Bilder erzählen meist Geschichten und Gefühle aus meinem eigenen Leben. Meist sind diese dann für andere Augen nicht offensichtlich. Beispielsweise das Mädchen mit den roten Haaren, das sich vom Ufer wegdreht; sie wagt es nicht, aufzustehen und sich noch weiter davon zu entfernen. Es ist der Zwiespalt zwischen Fernweh und der Angst, etwas hinter sich zu lassen, beziehungsweise etwas Neues zu beginnen.
Marit Beer
Des Weiteren ist die Natur Ort zum Finden der eigenen inneren Natur:
Ich lasse mich in der Natur leiten. Sobald der Winter sein kaltes Kleid versteckt und die ersten Sonnenstrahlen endlich die Haut wärmen, gehe ich mit Freunden am liebsten in den Wald. Am schönsten ist es immer da, wo sonst keiner ist.
Niemandem begegnen, zu nichts verpflichtet sein und auch nicht „nett Guten Tag sagen“. Einfach dort sein, staunen, das Licht beobachten und wortlos Bilder machen. Und am Ende des Tages das Gefühl mit nach Hause tragen, dass da in mir und dem anderen etwas ist, das mehr ist und nur unter der Schicht aus Erziehung begraben liegt.
Zum Schluss kann die Wahl der Kleidung bzw. Nicht-Kleidung sehr spannend sein. Wenn Kleidung gewählt wird, dann ist es oft ein Rückgriff auf vergangene Epochen, als Kleidung noch wertgeschätzt wurde. Die Bilder wirken dadurch zeitlos und entrückt.
Der nackte Körper ist jedoch die kompromissloseste Wahl, um auszudrücken, worum es in vielen Bildern geht: Das Motiv Natur dient oft als Elysium für den Menschen, als letzte Bastion, die nicht von ihm kontrollierbar ist und der er sich als ihr Geschöpf hingibt.
Damit möchte ich aber vorerst enden. Auf meiner Liste stehen noch weitere Themen, denen ich mich in weiteren Artikeln widmen werde.
Ich habe gemerkt, das es noch viel mehr zu schreiben gäbe und sich mit der Beschäftigung dieses Motivs eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten der Interpretation eröffnet. Wichtig ist mir jedoch, dass die Menschen hinter den Bildern zu Wort kommen und somit zusammengetragen wird, was die Intention ist, solche Bilder zu erstellen.
Aber ich glaube – oder nein, ich weiß auch – dass unsere geneigten Leser diese Gedanken aufgreifen und weiterführen können. Und so ist es auch gedacht. Nicht als wissenschaftliche Abhandlung, sondern als Anstoß, bestimmte Bildthemen genauer zu betrachten und so mehr Antworten über uns und unsere Gesellschaft zu erhalten, ohne vorverurteilend zu sein.
Das Motiv beinhaltet noch so viele Fragen, dass es hier schier unmöglich ist, alles zu erfassen und zu beschreiben. Ich freue mich jedenfalls auf andere Standpunkte, damit ich den meinen noch etwas hinzufügen kann. Freuen dürft Ihr Euch jedenfalls schon einmal auf das nächste Thema: Ich werde mich dem Motiv der Transzendenz nähern.
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