Kreativ-Neurose
Ich bin kein weißes Blatt Papier, so wie jenes, das gerade vor mir liegt und auf dem sich ganz zaghaft Worte bilden. Es gibt aber manchmal Momente, in denen wünschte ich mir das. Innerlich komplett weiß zu sein und dann einen Stift zu nehmen und anzufangen.
Meine Welt aber ist gefüllt. An den Moment, als alles noch weiß in mir war, erinnere ich mich nicht. Und das ist auch gut so. Ich bin angefüllt mit Gedanken, die nicht immer ordentlich nebeneinander liegen. Mit meinen Händen versuche ich oft das, was nicht in Worte zu fassen ist, festzuhalten – mit meiner Kamera.
Und weil ich eine Kamera habe und weil man oft nach Orten sucht, an denen es Gleichgesinnte gibt, kenne ich jetzt einen Haufen Fotografen. Anfangs ist das noch toll. Da hilft man sich gegenseitig oder steht zusammen in der Dunkelkammer. Bringt sich unterschiedliche Sachen bei, lernt vom anderen. Wenn man dann fast alles kann und seine Richtung gefunden hat, verdichtet sich plötzlich alles.
Ich lasse mich gern inspirieren, nicht ausschließlich von Fotografen, aber eben auch. Manchmal sammle ich zu einem Thema verschiedene Bilder, weil ich an einer bestimmten Serie arbeite. Man nennt das bei den Kreativen auch gern „Moodboard“. Ist was ganz Normales. Ja.
Aber letztens packte mich die Kreativ-Neurose bzw. -Depression. Ich konnte plötzlich nicht mehr fotografieren. Alles, was mir vorschwebte, alles, was ich dachte zu beginnen, braute sich zu einem übel stinkenden Brei zusammen.
Da saß ich nun mit meiner Neurose und sagte ihr erst einmal nett guten Tag, fragte höflich, was das denn jetzt solle, ob wir nur einen Tee zusammen trinken oder sie gedenke, länger zu bleiben.
Sie blieb zwei Wochen. Es waren für mich die schlimmsten. Alles, was ich sah, wurde bewertet, ob Arbeiten im Netz oder Arbeiten von Freunden. Das alles im meinem Kopf gab es schon, war schon verbildlicht.
Woher kam diese Neurose nur? Hatte ich zu viele Bilder gesehen? Warum dachte ich in allem, was ich anpackte, nur eine Kopie von einer Sache zu sehen? Und ja, ich hatte auch Angst vor Plagiatsvorwürfen, denn diese findet man zu Hauf im Netz und das fängt schon bei ganz kleinen Dingen an. Da liegt die Haarsträhne zufällig genauso wie bei einem anderen Bild oder es wurde eine ähnliche Technik benutzt oder ganz ähnliche Materialien.
Die Einzigartigkeit kannst Du Dir gleich mal aus Deinem Köpfchen kratzen, dachte ich mir. Das war der erste Paukenschlag, den ich der Neurose um die Ohren pfefferte. Der zweite folgte auf dem Fuße, denn es muss nicht immer sofort ein unglaublich tolles Werk aus meinen Händen fließen für das mir ein Kunstsammler vor die Füße fällt. Ich kann auch einfach machen, stehe nicht unter Erfolgsdruck und wenn auf einem Film mal nix ist, dann ist da halt nix.
Ich legte also alles erst einmal schön zur Seite, denn so konnte das ja nicht weitergehen. Ich fing an, zu schreiben und zu zeichnen. Das lockerte das Nervenkostüm schon einmal erheblich. Ich fing auch an, leckere Kekse und Kuchen zu backen, meine Wand erhielt in dieser Zeit einen neuen, taubengraublauen Anstrich und ein paar Pflänzchen machten sich auch ganz gut auf der Loggia.
Nach zwei Wochen war dann der Spuk vorbei. Ich füllte die Kowa mit einem Rollfilm, spannte ihn und freute mich über das säuselnde Geräusch. Ich legte auch ein paar Materialien zurecht, mit denen ich arbeiten wollte und freute mich über den Menschen, der da neben mir stand und Lust hatte, ein bisschen mehr in meine Welt einzudringen.
Was auf dem Film ist, verrate ich Euch natürlich nicht. Meine Bilder verschwinden jetzt immer in einem schwarzen Kasten mit Datum, der verschlossen wird. Damit Plagiatsvorwürfe erst gar nicht entstehen können.
Scherz.