Schrift und Bild
Schrift und Bild sprechen auf den ersten Blick zwei völlig unterschiedliche Wahrnehmungsweisen an. Das Bild ist visuell, die Schrift ist narrativ. Schrift hat eine klare Leserichtung, Bilder hingegen eine unstrukturierte Dichte an Informationen – kurzum: Es scheint sich um ein gegensätzliches Verhältnis zu handeln.
Doch was passiert, wenn beide Medien zusammentreffen?
Bilder und Schrift begegnen uns im Alltag immer wieder gemeinsam. Kein Lexikon verzichtet auf Bilder, keine Zeitung kommt ohne Text aus. Wir kennen die Illustrationen in Büchern oder die Sprechblasen im Comic. Ebenso normal erscheint uns die Tatsache, dass beinahe jedes Kunstwerk einen Titel hat, der uns erklärt, was wir sehen.
Doch wie verhält es sich intermedial in der Kunst? Genau dieser Fragestellung habe ich mich in den letzten Monaten im Zuge meiner Examensarbeit genähert. Literatur und Fotografie haben für mich schon immer eine starke Anziehungskraft gehabt und durch meine Fächerkombination Deutsch und Kunst habe ich auch in meinem Studium eine große Schnittmenge entdeckt. Darum habe ich die beiden Elemente Schrift und Bild fotografisch zusammengeführt, um ihre gegenseitige Wechselwirkung zu untersuchen.
Ich wollte durch meine praktische Arbeit und theoretische Reflexion herausfinden, wie sich der Text ins Foto einfügt, was für eine Beziehung er mit dem Bild eingeht und ob sich Schrift und Bild ergänzen, illustrieren, beweisen, widersprechen oder gar miteinander konkurrieren können.
Als Werkzeuge habe ich meine Kiev88, einige Handvoll abgelaufener Rollfilme und die SX70 benutzt und verschiedene Konzepte ausprobiert. Zuerst habe ich in den Schauplatz Schrift eingefügt. Dafür habe ich meinen Modellen Buchstaben und Wörter auf die Haut gemalt, gestempelt, gelegt oder projiziert, ihnen Schilder umgehangen oder Schrift in ihre Umgebung gebracht.
Diese erste Serie hat für mich einige Fragen zum wechselseitigen Verhältnis beantwortet und die Fotos haben durch die unvorhersehbaren Farbergebnisse und Scanfehler ihre ganz eigene Ästhetik entwickelt.
Liedtexte, Lyrik oder Literatur, oftmals ist es ein Text, der einen inspiriert und Einfluss auf das Foto hat. Warum also sollte diese Quelle nicht auch einmal selbst im Foto erscheinen?
Ob Magrittes berühmter Schriftzug „Ceci n’est pas une pipe“, der die Problematik von Sprache und dem bezeichneten Gegenstand aufzeigt, die niemals deckungsgleich sind oder Wallace Bermans Credo „Art is Love is God“. Ich habe mit Zitaten verschiedener Künstler gespielt und diese in meine Fotos integriert.
Im weiteren Verlauf habe ich begonnen, die Schriftelemente nachträglich ins Foto zu integrieren und ihnen damit eine ganz andere Autorität und Dominanz zukommen lassen.
Durch bedruckte Folien oder kleine Buchstabensuppe-Nudeln haben die Handabzüge in der Dunkelkammer textuelle Zusätze erhalten oder ich habe mit Etiketten, Prägeband und Tesafilm die Fotos mit Schrift versehen.
Polaroid-Lift-Transfer in Bücher oder Literaturausschnitte in Fotos, am Ende sind mir immer mehr Möglichkeiten eingefallen, die beiden Medien miteinander zu kombinieren.
Die Fotos nachträglich zu verändern, war für mich zudem eine ganz merkwürdige Erfahrung, da ich bisher bei meinen Bildern den Zufall immer als wegweisendes Element hatte und sehr selten meine Fotos bearbeitet habe. Doch indem ich ausschließlich analog experimentiert und bearbeitet habe, sind es am Ende doch wieder die zufälligen Fehler, die das Foto interessant und liebenswert machen.
Ich habe erfahren, dass sich durch Schrift im Foto nicht nur neue Sinnzusammenhänge bilden können, auch wird die Schift manchmal der Schlüssel zur Botschaft oder sie gibt zumindest vor, ein Zugang zu sein.
Braille-Schrift, fremde Sprachen oder Schriften aus anderen Kulturen, manchmal wurde der Text nicht zu einer inhaltlichen Aussage, sondern zu einem eigenen ästhetischen Element im Foto. Konkrete Poesie oder Collagen aus Fotos und Wörtern, es gibt unzählige Möglichkeiten, künstlerisch mit Schrift und Bild zu arbeiten.
Am Ende meiner praktischen Arbeit hatte ich verschiedene Serien, die symbiotische, konkurrierende und erklärende Beziehungen von Schrift und Foto darstellen. Ich musste mich in der Examensarbeit für 20 Mittelformat- und Polaroid-Bilder entscheiden, die ich dann kunstwissenschaftlich analysiert habe und so zu verschiedenen Künstlern Verbindungen ziehen konnte.
Die Fotografinnen Shirin Neshat und Sophie Calle spielten dabei immer wieder eine Rolle, weil beide ganz eigene Zugänge zu dem Thema Schrift und Bild gefunden haben und für mich immer wieder Inspirationsquellen waren.
Sophie Calle beispielsweise baute einmal aus alten Briefen und Fotos beeindruckende Collagen und Shirin Neshat malte in „Women of Allah“ auf ihre Frauenportraits mit feinster Tusche persische Gedichte.
Die theoretische Reflexion der Arbeit, die wissenschaftliche Untersuchung von Schrift-Bild-Beziehungen in zeitgenössischer Kunst und die Grundsatzdiskussion um das Verhältnis von Sprach- und Bildwissenschaft konnte ich hier natürlich nur anreißen. Die Präsentation der fotografischen Ergebnisse soll im Mittelpunkt stehen und vielleicht inspirieren oder zum Nachdenken und Experimentieren anregen.
Für mich war die intensive Beschäftigung mit dem großen, aber fruchtbaren Komplex Intermedialität Schrift-Bild eine wichtige Erfahrung, die nicht nur eine Menge Arbeit und Spaß gemacht hat, sondern mir auch eines bewiesen hat: Schrift und Bild, keines durch das andere ersetzbar, aber jedes durch das andere bereicherbar. Denn das Gesamtkunstwerk ist ja bekanntlich mehr als die Summe seiner Teile – oder wie der Schriftsteller und Maler John Berger es treffend ausdrückt:
Die Fotografie, als Beweis unwiderlegbar, aber unsicher, was den Sinn angeht – erhält Sinn durch Worte. Und die Worte, die für sich allein nur eine allgemeine Aussage sind, erhalten eine spezifische Authentizität durch die Unwiderlegbarkeit der Fotografie. Zusammen sind die beiden sehr machtvoll; eine offene Frage scheint zur Gänze beantwortet zu sein.