23. März 2023 Lesezeit: ~12 Minuten

Why can’t you Globeheads reason?

Während der Pandemie habe ich persönlich das erste Mal Verschwörungstheorien als etwas Ernstzunehmendes erlebt. Plötzlich waren da Menschen, die nicht an das Virus glaubten und den Versuch, es einzudämmen, als geheimen Plan der Regierung werteten. Du hast Dich in Deiner Arbeit aber schon vor der Pandemie mit Verschwörungstheorien beschäftigt. Was war Dein Berührungspunkt mit dem Thema?

Ich bin tatsächlich durch die Netflix-Doku „Unter dem Tellerrand“ über die Flat-Earth-Theory auf das Thema gestoßen und habe dann angefangen, mich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich habe zum Beispiel viel in Facebook-Gruppen gestöbert, weil die sozialen Medien perfekte Echokammern für solche Gruppen sind.

Während meiner Recherche sind auch zwei Bücher zum Thema erschienen, es wurde also im Hintergrund schon von vielen behandelt. Als die Pandemie angefangen hat und die damit im Bezug stehenden Verschwörungstheorien aufgekommen sind, hat es aber natürlich noch einmal eine ganz andere Gewichtung bekommen.

War Dir während Deiner Recherche bereits diese Ernsthaftigkeit bewusst? Dinge wie die Mondverschwörung oder Echsenmenschen erscheinen auf den ersten Blick doch eher albern.

Teilweise ja. Es gibt zum einen die individuellen Geschichten. Beim Lesen der Facebook-Gruppen habe ich mir oft gedacht, dass viele dieser Menschen ja auch Kinder haben. Was dort geschrieben wird, ist nicht nur absurd, sondern es wird eine regelrechte Hetze gegen die Wissenschaft und Menschen, die an sie glauben, betrieben. Der Gedanke, dass in diesen Familien auch Kinder aufwachsen, die dem Ganzen komplett ausgeliefert sind, ist durchaus beängstigend.

Das Politische ist die zweite Ebene. In den USA ist schon länger zu beobachten, dass es gerade in Verbindung mit den sozialen Medien auch für die Demokratie gefährlich werden kann. Hier sind Fake-News auch ein wichtiger Stichpunkt. Wenn man sich die Zahlen ansieht, sind die Verschwörungstheoretiker*innen aber immer noch verschwindend gering. Es gab schon immer Menschen, die quer gegen den Strom geschwommen sind und je mehr man das hervorhebt, umso größer wirkt auch das Problem.

Aufgeschlagene Buchseite

Jetzt hast Du selbst ein Buch zum Thema veröffentlicht. Hattest Du den Gedanken, dass Du der Gruppe dadurch mehr Macht geben könntest? Oder hast Du Maßnahmen ergriffen, um das zu verhindern?

Ich hatte nicht das Gefühl, den Leuten mit meinem Buch mehr Macht zu geben. Nur weil Menschen über diese Ideologie lesen, glauben sie nicht selbst daran. Ich versuche in meinem Buch auch herauszuarbeiten, dass der Glaube an diese Ideologien nichts mit dem Bildungsstand oder IQ zu tun hat. Der Diskurs wird auch stark angefeuert durch diese gegensätzlichen Seiten, die die anderen als falsch darstellen und nicht aufeinander zugehen. Ich habe mit dem Buch versucht, dazwischen zu agieren. Ich wollte nicht „die“ und „uns“ darstellen, sondern einen gemeinsamen Nenner finden und herausarbeiten, was der Hintergrund ist.

Die Flat Earth Theory war mein Ausgangsthema, aber ich bin während meiner Auseinandersetzung damit auch auf Fragen gestoßen, die viel allgemeiner sind und uns als Menschen betreffen. Was beeinflusst unsere Wahrnehmung? Wie interagieren wir mit Menschen, die ein anderes Weltbild haben? Ist es schlimm, unterschiedlicher Meinung zu sein? Woher weiß ich, ob ich mit meinen Überzeugungen richtig liege?

Den Gedanken findet man auch im Titel wieder, den ich sehr mag. Darin wechselst Du die Perspektive und fragst nicht: „Why can’t you flat earthers reason?“, sondern „Why can’t you globeheads reason?“ Wie schwer ist es Dir gefallen, Dich in die „andere Seite“ zu denken?

Zum Teil war ich sehr entsetzt, wie man das alles wirklich glauben kann und wie man sich gegen andere Meinungen versperren kann. Was mich aber noch mehr beschäftigt hat und was die Arbeit angetrieben hat, war die Reflexion meiner eigenen Glaubensätze. Ein Beispiel, das ich auch im Buch anführe und das natürlich weniger Relevanz hat als der Glaube an eine flache Erde: Ich habe als Kind gedacht, eine bestimmte Salatsorte sei gesünder als andere. Als ich gefragt wurde, warum ich das denke, wusste ich nur, dass meine Mutter mir das mal gesagt hat. Ich hatte es bis zu dem Zeitpunkt nie hinterfragt. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, weil ich mich so ertappt gefühlt habe.

Ich hinterfrage in meiner Arbeit stark, wie ich selbst mein Wissen konstruiert habe und warum ich so überzeugt bin, dass ich richtig liege. Wenn beide Seiten so fest von ihrem Standpunkt überzeugt sind und Beweise für ihre Sicht haben, wer hat dann recht?

Ich kann Deine Salatgeschichte gut nachvollziehen. Mich erinnert es an den Spruch meiner Mutter, dass meine Augen schlecht werden, wenn ich heimlich im Halbdunkeln lese. Ich hatte als Kind wirklich lange Angst, ich könnte erblinden. Aber irgendwann habe ich einen Augenarzt getroffen und ihn als Experten einfach gefragt.

Ja, natürlich. Aber erst einmal muss man überhaupt darauf kommen, dass die eigene Überzeugung nicht stimmen könnte. Ob der Salat gesünder ist oder die Augen beim Schielen stecken bleiben, sind natürlich sehr oberflächliche Sachen. Wenn man dann irgendwann darauf stößt, dass man falsch lag, ist es halt so. Aber je größer der Glaubenssatz wird und je mehr es in den Kern geht, wie Deine Welt aussieht, desto weniger ist er anfechtbar.

Wir trennen uns alle ungern von unseren Überzeugungen und wollen mit unseren Annahmen richtig liegen. Daher kann ich mir vorstellen, dass es schwer sein kann, sich von etwas zu lösen, das man zu wissen glaubt. Auch wenn es sich dabei um Verschwörungstheorien handelt, die für die meisten Menschen absurd klingen und nicht mit der Wissenschaft vereinbar sind. Dazu kommt, dass es ja oft ein Teil des Konzepts einer Verschwörungstheorie ist, dass sich „die Bösen“ oder „die Anderen“ verschworen haben, und versuchen, bewusst zu täuschen. Wenn das in der eigenen Wahrnehmung wahr ist, hat man sicher ein ganz anderes Bild von Wissenschaft und Medien.

Das Buch ist Deine Abschlussarbeit in Fotografie. Aber Du hast Dich dem Thema nicht klassisch in einer Reportage oder Portraits genähert, sondern die Natur von Verschwörungstheorien in verschiedenen Screenshots, Memes und konzeptionellen Bildern dargestellt. Wie bist Du darauf gekommen?

Als ich das Thema gefunden habe, hatte ich einen Kurs bei Sara-Lena Maierhofer. Sie hat mich gerade am Anfang sehr unterstützt. Als ich ihr von meiner Themenidee erzählt hatte, dass ich mich mit den Leuten in Verbindung setzen möchte, um sie zu portraitieren und ihre Geschichten aufzuschreiben, gab sie mir den Impuls, zu hinterfragen, ob ich mich dem Thema nicht auch ohne Portraits nähern könnte.

Daraufhin habe ich die Sachen, die ich bis dahin gesammelt habe, als Teil des Projekts gesehen und nicht als Vorrecherche zum eigentlichen Projekt. Mittlerweile denke ich auch nicht, dass es förderlich gewesen wäre, wenn ich direkten Kontakt zu Menschen gehabt hätte, die Verschwörungstheorien anhängen.

Ihre Sichtweise hast Du dann aus den Facebook-Gruppen bekommen?

Genau, ich war in diesen Gruppen stille Beobachterin. Es war auch gar nicht so einfach, da rein zu kommen. Am Anfang muss man Fragen beantworten wie: „Was hältst Du von 9/11?“ oder „Ist der Regierung zu trauen?“. Davon habe ich auch einige Screenshots im Buch. Nur wenn man sie „richtig“ antwortet, wird man aufgenommen.

Es gibt auch eine starke Polarisierung innerhalb dieser Gruppen. Sobald jemand eine Frage stellt – selbst wenn die Person sagt, dass sie an die flache Erde glaubt und nur wissen möchte, wie der Mond aufgehängt ist – wird schnell ein Troll vermutet und die Person aus der Gruppe entfernt. Das Gedankengut wird absolut geschützt. Ich habe mich beim Lesen wie ein Eindringling gefühlt.

Ich dachte bisher, Verschwörungstheorien und ihre Anhänger*innen wären sehr vielfältig. Dass jemand, der nicht an Corona glaubt, nicht automatisch auch die Mondlandung anzweifelt.

Das hängt schon alles stark miteinander zusammen. Ich habe bei meiner Recherche auch eine schon etwas ältere Studie aus den 90er Jahren gelesen. Darin hat man versucht, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren und Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, zu finden. Dinge wie Alter oder Bildungsstand haben keine Rolle gespielt. Was relevant war, war ein unsicherer Job, in finanziellen Schwierigkeiten zu sein oder keine intakte Familie oder keinen Freundeskreis zu haben.

Das bedeutet: Wenn Menschen sich unsicher fühlen, sind sie gepolt darauf, Gefahren zu sehen. Das macht sie sehr anfällig für Verschwörungstheorien, weil diese ein Gefühl von Kontrolle zurückgeben. Alles passt plötzlich zusammen. Man hat die Gefahr enttarnt. Das funktioniert tatsächlich mit sehr vielen verschiedenen Theorien, die dann auch noch irgendwie zusammenpassen. Das ist jetzt sehr stark verkürzt, aber erklärt ein wenig, warum diese Gruppen so agieren und warum die Mitglieder an sehr viele verschiedene Verschwörungen auf einmal glauben.

Du hast im Buch nicht nur mit Screenshots und Memes gearbeitet, sondern auch mit inszenierter Fotografie. Aus einer Kaffeekanne fließt die Flüssigkeit nach oben und trotzt der Schwerkraft. Über zwei Selbstportraits, die mit sehr unterschiedlichen Brennweiten aufgenommen wurden und dadurch sehr verschieden wirken, steht „Is this what I look like?“ Wie bist Du bei der Entwicklung dieser Bildideen vorgegangen?

Lass uns als Beispiel die Bilder des Bücherstapels nehmen. Darin greife ich die Frage auf, über die wir schon kurz gesprochen haben: Was ist eigentlich Wissen? Damit zusammenhängend: Wie komme ich an dieses Wissen? Ich habe in der Serie mit optischer Täuschung gearbeitet und wollte zeigen, dass etwas von einer bestimmten Perspektive aus total logisch erscheint und perfekt zusammenpasst. Aber wenn man sich nur ein kleines Stück zur Seite bewegt oder es dreht, fällt es auseinander und wird dekonstruiert.

Dafür habe ich einen Bücherstapel fotografiert und auf die Fläche gelegt. Das Ganze dann verzerrt noch einmal ausgedruckt und wieder hin geklebt. Aber dann auch aus der Perspektive, in der es falsch aussieht, fotografiert.

Ich habe mir im Vorfeld zu diesem Interview ein paar Videos zum Thema flache Erde angesehen und fand das nur schwer auszuhalten. Du bist noch viel tiefer eingestiegen und hast Dich wochenlang mit dem Thema beschäftigt. Wie ging es Dir dabei?

Ja, ich musste mich dem auch immer wieder entziehen. Ich habe aber auch eine gewisse Empathie für die Menschen bekommen, die da reinrutschen. Diese Videos sind rhetorisch sehr gut gemacht und es wird so stark auf einen eingeredet, dass man sich selbst sehr schnell sehr klein fühlt. Danach ging es mir oft nicht so gut.

Was mir auch aufgefallen ist: Youtube schlug mir noch Tage danach immer wieder solche Videos vor. Es ist ein Kaninchenbau.

Die sozialen Medien unterstützen das leider total. Wenn man nur ein oder zwei Sachen ansieht, hat man es plötzlich überall. Wenn man sich viel im Internet aufhält, wird es so schnell zur eigenen Realität.

Hat sich durch die Pandemie Deine Perspektive auf das Thema noch einmal geändert?

Nicht unbedingt. Ich würde mir wünschen, dass das Thema medial etwas anders aufgegriffen würde und dass es mehr Empathie gibt. Man muss nicht verstehen oder akzeptieren, was diese Menschen glauben, aber es muss eine gewisse Toleranz geben. Das hört natürlich an der Stelle auf, an der es gewaltvoll wird. Diese Grenze zu finden, ist tatsächlich nicht einfach. Gerade bei Corona war das natürlich super schwierig, weil schon eine Gefahr davon ausgeht, wenn viele Leute nicht an den Virus glauben und sich dadurch auch nicht an die Maßnahmen für die Eindämmung der Pandemie halten.

Informationen zum Buch:

„Why can’t you Globeheads reason?“ von Charlotte Hansel
Verlag: Eigenverlag
Bindung: Offene Bindung
Preis: 35 €

* Das Wort „Theorie“ in Verschwörungstheorie ist irreführend, denn es impliziert, dass es sich um eine wissenschaftliche Theorie handelt, die falsifizierbar ist. Es liegt aber in der Natur von Verschwörungstheorien, dass sie weder wissenschaftlich noch falsifizierbar sind, daher wäre die Bezeichnung Verschwörungsideologie wohl passender. Da das Wort Verschwörungstheorie weit verbreitet ist, hat Charlotte Hansel es auch in ihrer Arbeit benutzt.