Muss ich mich mit Fotogeschichte beschäftigen?
Seit ich mich mit Fotografie beschäftige, setze ich mich auch mit der Geschichte dahinter auseinander. Ich bin ein unglaublich neugieriger Mensch und möchte die Zusammenhänge verstehen. Mich interessiert, wie Menschen die Welt früher gesehen haben und wie Kultur und Technik das Sehen beeinflussen.
Mich fasziniert, welche Ängste damals mit dem neuen Medium einhergingen und ich kann aus diesem Wissen Parallelen zu heutigen Neuerungen, wie dem Thema der künstlichen Intelligenz ziehen. Zusammenfassend kann ich sagen: Ich lerne über die Fotografie die Menschen und Welt besser kennen. Von früher und heute.
Für mich ist die Beschäftigung mit der Geschichte der Fotografie also so selbstverständlich, dass ich bei der Frage zur heutigen Folge kurz gestutzt hatte.
Warum/wann ist es für mich als Fotograf*in wichtig, mich mit der Geschichte der Fotografie auseinanderzusetzen?
Versteht mich nicht falsch, ich möchte die Frage nicht werten. Ich habe nur schlicht nie darüber nachgedacht, dass es für andere Menschen nicht so selbstverständlich ist wie für mich. Deshalb möchte ich für die Antwort auch jemanden zu Wort kommen lassen, der sich schon länger mit der Vermittlung von Fotogeschichte befasst.
Dirk Primbs bringt den Podcast Fotomenschen heraus. Dort gibt er anschaulich und unterhaltsam anhand von spannenden Menschen und Ereignissen Einblick in die Geschichte der Fotografie. Eine absolute Empfehlung für alle, die meine Leidenschaft teilen oder vielleicht nach dieser Folge Lust bekommen haben, etwas tiefer in die Fotogeschichte einzutauchen. Aber lassen wir erst einmal Dirk zu Wort kommen:
Spannende Frage! Ich glaube, zuerst möchte ich eine Gegenfrage stellen: Was meinen wir eigentlich genau, wenn wir in dem Kontext von der Geschichte der Fotografie sprechen? Die gibt es nämlich in verschiedenen Ausprägungen.
Da ist zum Beispiel die Geschichte der Technik und die ist sicher faszinierend. Aber wenn ich meine Kamera beherrsche, muss ich vielleicht nicht unbedingt wissen, wie sie Schritt für Schritt entwickelt wurde.
Artverwandt, aber nicht ganz dasselbe ist dann die Geschichte des „Handwerks Fotografie“, also die Geschichte der Praktiken und Arbeitsschritte, die notwendig wurden, um bestimmte Ergebnisse zu erzählen. Die hingen natürlich sehr von der verwendeten Technik ab und wurden vielleicht auch erst mit bestimmter Technik möglich.
Wer sein Handwerk nun ernsthaft betreiben und beherrschen möchte, sollte vielleicht das eine oder andere auch wirklich einmal selbst manuell ausprobiert haben, statt ausgefeilter Technologie das Ruder zu überlassen. Ich sehe das analog zu Metallwerker*innen, die ja auch erst lernen, von Hand ein Werkstück zu fertigen, bevor sie zum ersten Mal an eine CNC-Fräse gelassen werden.
Nach Technik und Handwerk wenden wir uns jetzt aber dem Inhalt von Fotografien zu. Gute Bilder transportieren Aussagen und Emotionen. Sie ziehen uns in ihren Bann, zwingen uns dazu, inne zu halten und nachzudenken. Wer regelmäßig Fotografien schafft, die nicht nur gut aussehen, sondern uns innehalten lassen, spricht eine Sprache. Diese Sprache ist nicht biologisch vorgegeben, sondern wird eingeübt und sie hat eine Geschichte.
Wer an sich selbst den Anspruch hat, nicht nur fotografieren zu können, sondern einen eigenen Stil, eine eigene Aussage, einen eigenen Beitrag zum Medium leisten zu wollen, kommt meiner Meinung nach nicht drum herum, sich mit dem zu befassen, was vorher im Medium geleistet wurde.
Komponist*innen studieren die Werke alter Meister, Poet*innen lesen viel und genauso ist es bei der Fotografie. Der eigene Stil, die eigene Aussage, der eigene Beitrag profitiert davon, sich mit der Bandbreite der Möglichkeiten befasst zu haben und von den Großen der Vergangenheit zu lernen. Das ist mein „Warum“.
Und wann damit anfangen? Naja, so schnell wie möglich!
Dirks Vergleich mit anderen Kunstrichtungen hat mich persönlich sehr überzeugt und an einen älteren Artikel auf kwerfeldein denken lassen. In „Inspiration oder Plagiat? Ein Drahtseilakt.“ greift Kat Kapo einen spannenden weiteren Ansatz auf: Sie spricht sich darin für die Idee aus, dass beim Umgang mit Plagiaten in der Kunst die gleichen Regeln gelten sollten wie in der Wissenschaft. Sie schreibt:
Als guter Wissenschaftler muss man Notizen über das Gelesene machen und einen Überblick haben. Vergleichbar zeichnet sich ein guter Künstler dadurch aus, dass er oder sie über die historische Entwicklung der Fotografie und verschiedene Vor- oder Zeitgleichdenker informiert ist.
Kommen wir zum Fazit: Natürlich muss ich nicht, wenn ich ein Strichmännlein male oder ein Lied summe, direkt Kunst- oder Musikgeschichte studieren. Aber wenn ich mich ambitionierter in der Fotografie bewege, dann ist ein Grundwissen in Fotogeschichte sehr hilfreich für die eigenen Arbeiten.
Aber wenn ich sie professionell betreibe, würde ich nach den Gedanken von Dirk und Kat Kapo sogar sagen: Es ist ein Muss! Wie seht Ihr das? Diskutiert gern mit und schreibt Eure Meinung zur heutigen Frage. Ansonsten freuen wir uns auch über neue Fragen. Schickt sie uns an kk@kwerfeldein.de – Nächste Frage, bitte!