10. Februar 2021 Lesezeit: ~7 Minuten
kwerfeldein – kurz erklärt
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kurz erklärt: Warum fotografieren Männer Frauen*?
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kurz erklärt: Warum fotografieren Männer Frauen*?

Daniela stellte uns eine Frage, die es in sich hat und über die man sicher auch ein ganzes Buch schreiben könnte. Wir versuchen, sie in unserem Format „kurz erklärt“ heute wieder in maximal fünf Minuten zu beantworten. Die Frage lautet: Warum fotografieren Männer so häufig Frauen*?

Um diese Frage zu beantworten, gehen wir in der Geschichte zurück und sehen uns zunächst in der Malerei um. Beim Besuch eines Kunstmuseums sind die Gemälde, die dort zu sehen sind, vorrangig von Männern gemalt. Malerei war bis vor fast genau 100 Jahren eine Männerdomäne, wie so vieles. Erst 1919 wurden Frauen an Kunstakademien zugelassen.

Doch selbst wenn sie damals zum Pinsel griffen, wurden sie nicht ernst genommen. Deshalb haben hauptsächlich Männer unsere Sicht geprägt, auf Kunst und wie wir Bilder wahrnehmen. Sie stellten Frauen oft als Objekte dar, verletzlich und vielfach auch erotisierend.

Heute haben sich Frauen in der Kunst etabliert. Warum drehen sie den Spieß nicht einfach um? Warum fotografieren sie nicht vermehrt Männer und machen sie zu ihrer Fantasie? Natürlich gibt es auch das, aber viele Künstlerinnen setzen sich in ihren Portraits mit dem historisch gewachsenen, einseitigen Frauenbild auseinander und zeigen ein Gegengewicht. Dafür fotografieren sie wieder Frauen und oft auch sich selbst. Aber eben anders.

Katharina Bosse zum Beispiel behandelt in ihrer Serie „A Portrait of the Artist as a Young Mother“ die gesellschaftliche Rolle der Mutter in Selbstportraits, die weder romantisch, melancholisch noch erotisch sind. Alina Gross thematisiert in ihren Arbeiten die weibliche Sexualität und unrealistische Körperbilder.

Nackte Frau auf einem Sofa mit dem Rücken der Kamera zugewandt
Detailaufnahme einer Blüte an einem Po

© Alina Gross

Franziska Steimel, Leiterin der Städtischen Galerie Böblingen, bringt es gut auf den Punkt: Für einen Mann sei es nicht nachzuvollziehen, wie sich der Körper einer Frau nach der Geburt eines Kindes verändere, sagte sie in Bezug auf die Ausstellung „Die Klasse der Damen – Künstlerinnen erobern sich die Moderne“. Und das sind eben Themen bzw. Bilder, die Männer in dieser Art und Weise nicht machen können. Und Bilder, die jahrhundertelang gefehlt haben.

Ihr merkt, das Thema hat einen lange Historie. Also zurück zur Ausgangsfrage. Warum fotografieren Männer auch heute noch mehrheitlich Frauen? Warum fotografieren sie sich nicht ebenfalls selbst oder andere Männer und gehen Themen an, die sie direkt betreffen?

Ein Grund könnte sein, dass Frauenbilder schlicht erfolgreicher sind. Schauen wir uns auf Instagram um, sehen wir wie im Kunstmuseum viele Frauenportraits. Die erfolgreichsten zeigen sie leicht bekleidet und in sinnlichen Posen.

AlgorithmWatch hat sich das genau angesehen und bei seiner Analyse festgestellt, dass Bilder von Frauen in Unterwäsche oder Bikini deutlich öfter im Newsfeed erscheinen als sie gepostet werden. 13 % aller geposteten Bilder zeigten leicht bekleidete Frauen, im Newsfeed wurden diese Bilder allerdings deutlich häufiger angezeigt: In Summe 56 % häufiger als sie gepostet worden sind.

Es ist durchaus naheliegend, das sich Menschen auf Bilder spezialisieren, auf die sie eine besonders große Resonanz bekommen.

Damit wir hier nicht nur über Männer sprechen, die vorwiegend Frauen fotografieren, möchten wie sie natürlich auch selbst zu Wort kommen lassen. Ben Bernschneider antwortet auf die Frage:

Die Frage klingt so reißerisch, obwohl ich dahinter so gar nichts richtig sehe. Ich weiß nicht, warum Männer das machen, ich weiß nur, dass ich Dinge fotografiere, die ich schön finde, die mein Interesse wecken. Und so wie andere Männer Oldtimer und Autos fotografieren und vielleicht Autofotografen geworden sind, ist es so, dass ich mich schon als Vierjähriger nicht für Autos interessiert habe, sondern eben für Frauen, die ich immer schön fand, die ich immer bewundert habe.

Und mehr als die Schönheit, wie sie auch bei einem Montblanc-Füller oder einer schönen Ledertasche rauskommt, gibt’s da nicht. Ich bn glücklich verheiratet. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich mich irgendwie zu einem der unzähligen Modelle hingezogen gefühlt habe. So gar nicht. Also das ist so überhaupt nicht mein Interessengebiet, was das angeht.

Aber ich kann Schönheit, subjektive und objektive, erkennen und bewundern. Deshalb fotografiere ich wahrscheinlich Frauen. Weil ich sie am schönsten finde, von allem.

Person in weiß gehüllt

Model: Jott © Martin Neuhof

Frauenportrait

Model: Nhi Le © Martin Neuhof

Martin Neuhof sieht das ähnlich. Er berichtete uns Folgendes:

Eigentlich ist die Frage relativ einfach zu beantworten. Das hat etwas mit meiner eigenen Prägung zu tun. Ich habe damit angefangen, mich durch meinen Freundeskreis zu fotografieren und da waren hauptsächlich Frauen dabei. Und da hatte ich die Kamera von meinem Vater oder Großvater genommen und einfach rumexperimentiert. Und da habe ich natürlich die Menschen genommen, die am ehesten zur Verfügung standen in meinem Umfeld. Und daran hat man dann auch den Spaß gewonnen und die ersten Erfahrungen gesammelt und irgendwie habe ich damit nie aufgehört.

Mir wurde oft die Frage gestellt, warum ich denn keine Männer fotografiere bzw. weniger Männer fotografiere als Frauen, gerade in meinen freien Projekten. Und ich glaube, das hat einfach etwas mit Anziehung zu tun, mit Spannung in der Fotografie zwischen Mann und Frau. Und ich glaube, deshalb bin ich auch immer dabei geblieben.

Wir haben noch andere Fotografen gefragt, die aber nicht alle hier zu Wort kommen können. Daher gibt es jetzt hier auch kein abschließendes Urteil. Was sich aber feststellen ließ: Heterosexuelle Männer fotografieren Frauen, weil sie sie schön finden. Ganz einfach und häufig ohne Hintergedanken, was man in einige Richtungen deuten kann.

Die Bilder kommen in sozialen Netzwerken zusätzlich besonders gut an und die Art und Weise, junge Frauen in verletzlichen, sensiblen und erotischen Posen zu portraitieren, ist auch historisch begründet.

Habt Ihr noch Ergänzungen? Was meint Ihr? Lasst es uns gern in den Kommentaren wissen. Und damit Ihr nicht denkt, dass zu dem Thema wieder nur ein Mann zu Wort kommt: Bei uns entstehen solche Berichte immer im Team, um möglichst ausgewogen zu berichten, deuten und erklären! Und jetzt: Nächste Frage, bitte! Schickt sie an kk@kwerfeldein.de.

* Geschlecht ist nicht-binär und „Frauen“ meint in diesem Kontext genau genommen eher „weiblich gelesene Personen“. Da das Thema ohnehin schon komplex genug ist, um es in dieser Kürze angemessen zu behandeln, haben wir die vereinfachende Prämisse der Frage in diesem Fall übernommen.

Quellen

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