Geheimnisse der Kreativität
Kreativität. Was für ein großer, für ein mächtiger, aber auch sehr schwieriger Begriff. In meiner Wahrnehmung suggeriert er häufig eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Kreativen als die fantasievollen Genies im Gegensatz zur Masse der Langweiligen. Immer verbunden mit der Aufforderung „sei auch Du kreativ, denn nur so schaffst auch Du etwas Besonderes”, was aber gleichzeitig ja irgendwie auch alles Nicht-kreative disqualifiziert.
Aus meiner Sicht gibt es jedoch gar keine klare Trennung zwischen kreativ und nicht-kreativ und damit auch keine objektive Kreativität:
Das Wort Kreativität bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch vor allem die Eigenschaft eines Menschen, schöpferisch oder gestalterisch tätig zu sein.
Und genau hier wird es spannend. Wer oder was definiert denn „schöpferisch oder gestalterisch“? Und für wen? Jede Kultur hat da sicher ihre eigene Antwort, wahrscheinlich sogar jede*r von uns. Und ist nicht jedes aufgenommene Foto, gemalte Bild, komponierte Musikstück, jeder Werbespruch etwas Schöpferisches, Gestalterisches? Selbst wenn ich ein anderes Foto eins zu eins kopiere, habe ich doch auch etwas geschaffen, ist diese Idee ein anderes Bild zu kopieren ein gestalterischer Prozess.
An dieser Stelle greift vermeintlich eine andere Definition:
Kreativität ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu oder originell und dabei nützlich oder brauchbar ist.
Aber auch hier stelle ich mir die Frage: Ab wann ist denn etwas nützlich oder brauchbar? Braucht man Fotos, Werbesprüche, stylische Autos, dunkle Schokolade mit Meersalz oder Bier mit Himbeergeschmack?
Meine kreative Definition und Vorgehensweise
Für mich selbst, meinen Anspruch an meine eigene fotografische Kreativität habe ich mir daher folgende Definition erarbeitet:
Kreativität ist etwas, was ich vorher (so) noch nicht gemacht habe.
Das können eine für mich neue emotionale Bildsprache, eine neue Bildgestaltung wie auch die neue Anwendung von Technik(en) sein. Damit stellt sich dann aber gleich die nächste Frage: Wie schaffe ich es, kreativ zu werden? Ich habe viel über solche Prozesse gelesen und mich häufig gewundert über so manche Empfehlung.
Allerdings gibt es auch hier ganz sicher keine absolute Wahrheit und objektive Anleitung. Ich erhebe daher an dieser Stelle auch überhaupt keinen Anspruch auf eine solche, sondern schildere subjektiv meine persönliche Herangehensweise. Wie komme ich zu meinen Ideen? Wie gehe ich vor, um für mich meinen Anspruch an neue kreative Bilder zu erfüllen? Und hoffe, Euch damit die eine oder andere Anregung und Hilfestellung für Eure eigene kreative Herangehensweise geben zu können.
Grundsätzlich hat der Prozess zur Entwicklung von kreativen Ideen aus meiner Sicht nichts mit Genialität zu tun, sondern vor allem mit Fleiß, Arbeit, Selbstkritik und Wollen. Kreativität ist für mich keine Eigenschaft, sondern eine Leistung.
Mut
Meine besten kreativen Lehrmeister sind meine drei Kinder. Aus nichts können sie ganze Welten erschaffen. Je weniger sie dabei zur Verfügung haben, desto mehr Ideen entwickeln sie. Und sie schämen sich nicht für ihre kreativen Arbeiten, sondern sind im Gegenteil stolz darauf. Kinder kennen keine Grenzen, alles ist erlaubt. Sie haben keine Vorurteile, keine internen Korrektoren, sie probieren einfach ohne jegliche Restriktionen aus.
Aus meiner Sicht ist genau das ein sehr wesentlicher Aspekt. Kreativität erfordert Mut, Offenheit für Neues und Feedback. Sie erfordert vor allem aber auch die Frustration, das Scheitern und den offenen Umgang damit. Ich freue mich daher immer sehr über konstruktive Rückmeldungen zu meinen Bildern.
Natürlich stimme ich nicht immer damit überein, habe hier und da eine andere Sichtweise. Aber ich überlege immer, was und welche Rückschlüsse und Ideen ich aus Kritik ziehen kann. Und ich messe mich dabei nur mit mir selbst – im Vergleich mit anderen wird es nämlich immer jemanden geben, der besser und kreativer ist.
Neugierde
Dazu sind Kinder sind neugierig. Immer. Sie wollen alles wissen, alles lernen, alles ausprobieren, ihre eigenen Erfahrungen machen, ihre eigenen Grenzen kennenlernen. Es ist für mich unglaublich spannend, mit meinen Kindern durch die Gegend zu ziehen. Sie machen mich auf so viele Details, so viele Zusammenhänge, so viele eigentlich sinnlose Selbstverständlichkeiten aufmerksam, die wir Erwachsenen mit der Zeit immer fragloser akzeptiert und adaptiert haben.
Aber gerade auch diese große Neugierde und Unbefangenheit ist für mich eine wichtige Zutat meiner Kreativität. Ich probiere daher ständig neue Dinge aus: Ich fotografiere mit ungewöhnlichen Objektiven wie etwa einem Fischauge. Ich bearbeite und beschneide ältere Bilder neu, spiele mit Kompositionen. Immer wieder hinterfrage ich meine Bilder kritisch: Was könnte ich besser oder anders machen? Ich nehme Bilder bewusst gegen jede fotografische Regel auf, einfach um zu schauen, was dabei herauskommt. Aber genau dieses „spielerische, kindliche“ Element bringt mich regelmäßig auf neue Ideen.
Inspiration
Die wichtigste kreative Zutat ist für mich allerdings die Inspiration. Eigentlich alle Filmschaffenden, Autor*innen oder Modedesigner*innen lassen sich inspirieren. Nehmen Vorhandenes und interpretieren es neu. Ich versuche daher, mein Gehirn mit maximal viel Input zu füttern. Bei Kinofilmen (bevorzugt Science-Fiction) fokussiere ich mich auf einzelne Einstellungen, Techniken, Bildsprachen. Ich blättere in Magazinen, Bildbänden, durchstöbere Webseiten, schaue mir jede Menge andere Fotos an oder sehe bewusst Werbung.
Außerdem tausche ich mich ganz bewusst regelmäßig mit anderen Fotograf*innen, bevorzugt aus mir fremden Sparten, aus und versuche Einflüsse sowie Techniken aus unter anderem der Portraitfotografie, dem Lightpainting oder der Tierfotografie in meine eigenen Fotos mit einfließen zu lassen.
Aus all diesen Eindrücken generiert meine kreative Hirnregion – eine kreative Idee keimt wohl in der rechten Hälfte des Gehirns, wird im linken Stirnlappen weiterbearbeitet und dort auch bewertet – permanent Ideen. Die meisten Ideen entstehen so beim Joggen, Kinder ins Bett bringen oder auf der Toilette.
Anschließend bringe ich die Einfälle digital zu Papier, sortiert in einer Notizen-App. Einfälle für Artikel – wie etwa diesen hier – für Vorträge, Workshops, Podcastfolgen, Webseitenlayout und vor allem natürlich Bilder.
Gemeinsam mit meinem Kollegen Olaf veröffentliche ich seit diesem Jahr auch einen Podcast. Über Kreativität haben wir uns in der zweiten Folge unterhalten. Hört doch mal rein.
Ich habe einmal in einer Kolumne gelesen:„Kreativprogramme sind etwas für Unkreative“.
Ich glaube, das gilt heute mehr denn je, weil wir uns dank angeblich künstlicher Intelligenz immer weniger Gedanken machen müssen.
Aus einem Land der Dichter und Denker wird zunehmend ein Land der Anwender.
Dass wir kaum Kreative, umso mehr aber Anwender folgerichtig auch in der Politik haben, weil wir Kreative kaum wirklich ernst nehmen, macht sich in vielen Bereichen bemerkbar. Denn es wird nicht mehr perspektivisch und zukunftsorientiert gehandelt, sondern auf Situationenen reagiert.
Kulturhaushalt ist der erste, an dem eingespart wird.
Je reicher und satter wir werden, desto weniger müssen wir uns Gedanken machen, um so unfähiger werden wir zur Kreativität und zum Denken.
und da passt die Beobachtung von Deinen Kindern bestens: Sie sind noch frei, noch nicht zugemüllt, noch nicht faul- sie denken noch, sie träumen noch.Sie haben noch Visionen. Und wenn ich dann an ein Bibelzitat denke, dass denen dasHimmelreich ist, die so werden wie die Kinder……dann ist das doch was ziemlich Geiles, sich von dem ganzen Pseudo-Kreativmüll, dem ganzen erdrückenden MUST HAVE zu befreien und enlich wieder Visionen zu haben……
Ja, Kreativität ist für mich, eine Vision zu haben.
Danke schön und Du hast Recht, Visionen sind es die die Menschheit nach vorne bringen, Visionen sind es, die das Leben doch eigentlich erst lebenswert machen. Visionen der eigenen Zukunft – und gerade in unserer satten Welt verlieren wir das in der Tat leider viel zu häufig. Visionen würden aber auch dazu führen, dass wir mehr auf uns selber schauen und nicht nur nach 1000enden von Likes gieren, aber so langsam schweife ich ab :-)
Danke, ein schöner Artikel. Bei vielen Gedanken nicke ich beim Lesen und gleichzeitig spüre ich einige Unsicherheit in dem, was Du schreibst. Unsicherheit ist nichts schlechtes, im Gegenteil. Sie kann auch für Offenheit und Suche stehen. Einige Deiner Überlegungen gehen für mich auch über die Frage der Kreativität hinaus und beginnen leise am Thema Kunst oder Handwerk anzuklopfen.
Meiner Meinung nach steckt die beste Definition von Kreativität in Deinem ersten Zitat: „schöpferisch oder gestalterisch tätig zu sein“. Mit Betonung auf „tätig sein“. Machen. Und das ist nicht nur eine Definition. Es ist gleichzeitig das beste Kreativprogramm. Du handelst ohnehin danach. Ich schreibe das mehr als meine Zusammenfassung und als Ansporn. Und wenn sich jemand fragt, wo er anfangen soll… …#kwerfeldein52 ;-)
Danke schön für die nette Rückmeldung, das freut mich sehr!
Schöpferisch und gestalterisch sein kulturell einzuordnen versuchen, ist glaube ich zu groß gedacht. Ich halte das für höchst individuelle Kriterien. Denn jeder, der über das alltäglich Wiederkeherende hinaus zu denken und zu schaffen beginnt, ist kreativ! Für mich steckt in Kreativität immer ein (für mich) neuer Gedanke, einen neue Idee, und auch ein Stückchen Neuland an sich. Ob Ergebnisse von Kreativität einen Nutzen haben müssen, oder Rechtfertigung als Kunst, ich denke nein. Die Kinder sind da ein super Beispiel für. Was interessiert sie Nutzen oder Kunst? Um die neue Idee und den gelebten Moment geht´s.
Was ich 100pro unterschreibe, ist der Aspekt der Inspiration. Dazu zählt meines Erachtens, sich von Energieräubern zu trennen, und mit positiven Vorbildern zu umgeben. Es hilft ungemein, wenigstens einen Menschen um sich zu haben, der der eigenen Kreativität ein bisschen Wind unter die Flügel bläst, denn je kreativer man wird, um so weniger ist man Gleicher unter Gleichen.
„Es hilft ungemein, wenigstens einen Menschen um sich zu haben, der der eigenen Kreativität ein bisschen Wind unter die Flügel bläst, denn je kreativer man wird, um so weniger ist man Gleicher unter Gleichen.“ – super, dem ist nichts hinzuzufügen!