29. Januar 2020 Lesezeit: ~5 Minuten

Rezension: „New York City“ von Abe Frajndlich

Das Portrait ist die liebste Disziplin der Fotografie. Nirgendwo fühlt sich das fotografische Medium stärker als im Ablichten von Menschen. Doch nirgendwo lügt die Fotografie auch mehr als in der Portraitkunst – und das schon lange vor der Erfindung digitaler Manipulationstechniken. Dem amerikanischen Fotografen Abe Frajndlich geht es hingegen stets um Wahrheit oder Authentizität. Um jenen Moment, den Cartier-Bresson als „magisch“ beschrieben hat.

Eine große Ausstellung Frajndlichs war im Jahr 2003 im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main zu sehen – nicht zufällig in jener Stadt, in der Frajndlich unmittelbar nach dem Holocaust im Lager für jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa am 28. Mai 1946 geboren wurde. In dem Lager in Frankfurt Zeilsheim warteten nach dem Krieg zeitweise bis zu 5.000 befreite Menschen darauf, eine neue Heimat zu finden. Unter ihnen Abraham, der bis zum Alter von zwei Jahren im Zeilsheimer Lager blieb.

Auch danach lebte Frajndlich die unruhige Kindheit der „Second Generation“: Seine Familie, die ursprünglich aus der Nähe von Łódź stammte, wanderte nach Israel und später nach Porto Allègre in Brasilien aus. Nach dem Tod der Eltern kam Frajndlich nach Cleveland in Ohio. Nach Polnisch, Deutsch, Jiddisch, Hebräisch, Französisch und Portugiesisch wurde Englisch die siebte Sprache, die Frajndlich sprechen lernte.

99¢ Dreams, West 46th. Street, 1999 © Abe Frajndlich

Nach Studien der Literatur und einem Kurzbesuch an einer medizinischen Hochschule schließt Frajndlich sein Anglistik-Studium in Evanston ab. Bald sorgt der Besuch eines Seminars beim berühmten Fotografen Minor White für eine Wende in seinem Leben. Drei Jahre lang arbeitet Frajndlich als Schüler von White:

Die Fotografie wird zur großen Leidenschaft und zu seinem Lebensweg. Der 1976 verstorbene Minor White wurde sein Mentor. Die Beziehung zu White hat Frajndlich in einem Band mit Portraitaufnahmen in Bilder gegossen: „Lives I’ve Never Lived“ .

Bald begann Frajndlich mit der Serie „Masters Of Light“, einer Portraitserie über Fotograf*innen. Doch es ging immer weiter. Immer mehr Autor*innen, Künstler*innen, Architekt*innen und Musiker*innen ließen sich von Frajndlich fotografieren. Seit 1984 lebt und arbeitet Frajndlich in New York. Doch der Kontakt zu Frankfurt am Main sollte nicht abreißen. Vor allem für das schon lange eingestellte Magazin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hat Frajndlich immer wieder fotografiert – und natürlich für die großen anderen, für die „New York Times“, „Life“, „London Sunday Times“, „Observer“ oder „Paris Match“.

In der fotojournalistischen Grauzone zwischen Auftrag und freier Arbeit lässt sich einiges anstellen. Das ist bis heute der erste Eindruck, den Frajndlichs Arbeiten hinterlassen. Frajndlich liebt den Witz, dessen Hintersinn sich erst beim zweiten Hinschauen offenbart. Das gilt für seine berühmten Portraits von etwa Jack Lemmon oder Stephen Hawking genauso wie für viele der Bilder, die der ganz neue Band „New York City“ versammelt.

Verkleideter Mann

Man, Lexington Avenue and 43rd Street, 1989 © Abe Frajndlich

In diesem Buch zeigt der US-amerikanische Fotograf, wie eng er bis heute mit der Stadt New York verbunden ist, die er als seine Muse bezeichnet. Der Band ist ausschließlich in schwarzweiß fotografiert und zeigt die ganze Bandbreite urbaner Fotografie: Monumentale Architekturbilder von Straßenschluchten und spiegelnden Fassaden von Skyscrapern (mitunter solche, wie man sie auch von vielen anderen New York-Fotograf*innen kennt) treffen hier auf Bilder, die ein in die Jahre gekommenes New York der Nebenstraßen zeigen. Spontane, auf der Straße fotografierte Portraits mischt Frajndlich mit stärker inszenierten Bildnissen.

Als „Liebeserklärung“ versteht der Fotograf seine New York-Bilder, an denen man auch die Veränderungen ablesen kann, die die Metropole in den vergangenen Jahren in immer wieder neuem Licht zeigten. „Ich fand Fiktionen schon immer spannender als Realitäten. Doch es gibt auch Momente im Alltag, die sehr geheimnisvoll sein können. Für mich ist die Fotografie die Kraft der Imagination und der Information“, so hat es Frajndlich einmal formuliert.

Frajndlich ist ein Kind der visuellen Kultur des 20. Jahrhunderts, ein Liebhaber der Fotogeschichte – und so finden Fotofans in diesem Buch viele Anspielungen auf die Geschichte der Fotografie. „Ohne ein Fundament kann man nicht bauen“, sagt Frajndlich. „Die Geschichte der Fotografie ist sehr kurz, dadurch aber auch besonders gut zugänglich.“

Brooklyn Bridge, Infrared Film, 1984 © Abe Frajndlich

Was auch seine New Yorker Portraits bestimmt: Sie sind skurril, haben Humor. Doch was bedeutet Humor für Abe Frajndlich? Er hat es einmal so ausgedrückt:

Wenn man über Humor spricht, ist es eigentlich schon zu spät. Aber ich will Ihnen erzählen, was der Schriftsteller Erwin Leiser über den jüdischen Humor gesagt hat: Er sagte über mein Foto von Isaac Bashevis Singer, dass es jüdischen Menschen des 20. Jahrhunderts symbolisiere: Wenn es regnet, hat er einen Schirm, wenn die Sonne scheint, eine Sonnenbrille. Und weil er oft abhauen muss, hat er Turnschuhe an. Aber über meinen eigenen Humor kann ich wirklich nichts sagen.

Informationen zum Buch

„New York City“ von Abe Frajndlich
Sprache: Englisch
Einband: Gebunden
Seiten: 144
Maße: 24,7 x 30,7 cm
Verlag: Hirmer
Preis: 34,90 €

Die zitierten Passagen stammen aus einem Interview, das der Autor mit Abe Frajndlich geführt hat.

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