Dr. Paul Wolff & Tritschler. Fotografien 1920–1950
Der 1887 im elsässischen Mühlhausen geborene Paul Wolff gilt als Pionier der Kleinbildfotografie. Der promovierte Mediziner entdeckte die Leica in Deutschland, doch vor dem kleinen Bild arbeitete er mit großen Formaten. Mit Plattenkameras fotografierte der früh nach Frankfurt übersiedelte Wolff zuerst die Straßburger Altstadt, das alte Frankfurt und dann die Bauten des „Neuen Frankfurt“: die Siedlungen des Neuen Bauens.
1926 entdeckte er schließlich die Kleinbildfotografie für sich: Er gewann auf der Internationalen Fotoausstellung in Frankfurt eine Leica-Kamera, an deren Entwicklung bei Ernst Leitz in Wetzlar Oskar Barnack seit 1913 gearbeitet hatte. Von nun an veränderte sich in fotografischer Hinsicht vieles: Mit seinem Kompagnon Alfred Tritschler, mit dem er gemeinsam eine Bildagentur für Buchillustration und Industriewerbung betrieb, verfolgte Wolff nun zumindest in Teilen seines Werks jenen dynamischen Stil Cartier-Bressons, wie ein gerade im Verlag Kehrer erschienener Band eindringlich vor Augen führt.
Seit den späten zwanziger Jahren erschienen bei Karl Robert Langewiesche in Königstein Fotobücher wie „Aus Zoologischen Gärten“ oder „Formen des Lebens“. Wolff wurde immer populärer, machte Karriere im nationalsozialistischen Deutschland, auch wenn er nie Mitglied der NSDAP war.
Große Ausstellungen mit seinen Bildern gingen um die Welt. Lehrbücher zur Fotografie mit der Leica erschienen, die große Auflagen erreichten. Wolff fotografierte die Industrie an der Saar, die Arbeit auf der Völklinger Hütte, die Olympischen Spiele von 1936, den Reichsparteitag oder später auch die Rüsselsheimer Automobil-Industrie.
„Im Kraftwerk von Rüsselsheim“ heißt sein Bildband über Opel. Seine Fotobücher erschienen in hohen Auflagen – von immensem Wert sind auch seine Bilder und Bücher der 1944 bei zwei großen Bombenangriffen zerstörten Frankfurter Altstadt, die im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte aufbewahrt werden.
„Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950“ zeigt nun das ganze Werk in einer großen Publikation – und man kann tatsächlich von einer Wiederentdeckung sprechen. Das Werk der beiden Fotografen zieht sich von der Weimarer Republik bis in die Jahre der frühen Bundesrepublik und ist – das zeigt das neue Buch – alles andere als heterogen. Dynamische Kamera, neue Sachlichkeit, Avantgarde, Neues Sehen – es finden sich vielfältige Einflüsse in den Arbeiten von Wolff und Tritschler.
Sie reisten per Auto, mit dem Schiff oder Zeppelin um die Welt, fotografierten ihre Heimat Frankfurt und das alles mit einem Optimismus und einer Zukunftsgläubigkeit, die Wolff einmal so umschrieben hat:
Der Zufall ließ mich auf der Fotografischen Ausstellung in Frankfurt a. M. eine Leica als Preis gewinnen und seit dieser Zeit gehört meine ganze Neigung dem großen Leben, der unbegrenzten Weite der Welt, all dem, was die Kleinkamera einzufangen berufen ist.
Lange Jahre hatte man nichts mehr von Wolff und seinem Partner gehört, bis die Firma Leica im Jahr 2001 in New York anlässlich des 50. Todestags von Wolff eine Ausstellung organisierte. In der Nachkriegszeit vergessen, wurde sein Werk erst in den vergangenen Jahren wiederentdeckt, das nun auch in der Eröffnungsausstellung des neuen Ernst Leitz Museums für Fotografie und Fototechnik in Wetzlar zu sehen ist. Kuratiert hat die Schau der Wolff-Experte Hans-Michael Koetzle, der auch Herausgeber und Hauptautor des Buches ist.
Koetzle betont, dass es wohl Tritscher war, der Wolff von den Vorzügen der kleinen Kamera überzeugen konnte: „Wolff hatte seine Leica schon ein Jahr, aber begann offenbar erst dann, damit zu experimentieren. Tritschler war der Dynamischere, der Mutigere.“ Sowohl das Buch als auch die Ausstellung zeigen die hohe Qualität der Bildfindungen der beiden Fotografen, was Technik und Komposition betrifft.
Die Unterschiedlichkeit ihrer Sujets macht Wolff und Tritschler zu Bildautoren, die schwer einzuordnen sind. Dokumentationen der Bauten neuer Architektur wie der Frankfurter Großmarkthalle des Architekten Martin Elsaesser wechseln sich im Buch mit idyllischen Naturaufnahmen und Bildern des Landlebens ab.
Wundervoll leichte Modefotografien, teilweise schon mit Agfa-Farbfilmen aufgenommen, konkurrieren mit strengsachlichen, avantgardistischen Stillleben und Pflanzenstudien, die von Albert Renger-Patzsch stammen könnten. Sehr schön auch, dass der von Alessandro Argentato schlicht und elegant gestaltete Band nicht darauf verzichtet, viele Publikationen, Bücher, Mappen, Zeitschriften und Kalender ins Bild zu bringen.
Lichtbildner, Künstler, Bildreporter, Dokumentaristen, Propagandafotografen, Werbe- und Reisefotografen – die Einordnung dieses ungewöhnlich undogmatischen Werks ist nicht ganz einfach. Wolff und sein Mitarbeiter Tritschler waren, so zeichnet sie der Autor Koetzle, eben all das: vor allem auch gutgelaunte, den Luxus liebende Geschäftsmänner, die das leichte Leben schätzen, wie schon das Cover des opulenten, mit vielen Textbeiträgen bereicherten Buchs zeigt, das eine fotowissenschaftliche Lücke schließt.
Und um ein Fazit zum Werk zu ziehen: Gerade in ihren Widersprüchen geben diese beiden Fotografen ein präzises Bild der Zeit wieder. Eines der schönsten Bilder in Buch und Ausstellung ist übrigens die „Eröffnung des Opelbades in Wiesbaden“ aus dem Jahr 1934. Ein Architekturbild von ausgesuchter Noblesse und Leichtigkeit.
Informationen zur Ausstellung
„Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950“
Zeit: 28. Juni 2019 – 26. Januar 2020
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr
Ort: Ernst Leitz Museum, Am Leitz-Park 6, 35578 Wetzlar
Informationen zum Buch:
„Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950“
Sprache: Deutsch
Einband: Halbleineneinband
Seiten: 464
Bilder: ca. 1.000 Farb- und Duplexabbildungen
Maße: 24 x 29 cm
Verlag: Kehrer
Preis: 79 €