22. Mai 2020 Lesezeit: ~6 Minuten

Rezension: Aapo Huhta – Omatandangole

Aapo Huhtas aktuelles Buch „Omatandangole“ nimmt uns mit auf die Reise in eine ferne Welt. Eine Welt mit zwei Sonnen und ganz viel Sand. Eine Welt, in der die Zeit eine andere Rolle zu spielen scheint, als wir sie kennen und in der uns Orte fremd und vertraut zugleich vorkommen.

Es ist eine Welt, die greifbar sein kann, es aber nicht sein möchte; Gegenständliches wird metaphorisch. Es ist eine Welt, die wir auch aus unseren dunkelsten Träumen kennen könnten.

„Omatandangole“ bedeutet auf Oshiwambo „Trugbild“ oder „Fata Morgana“ und offenbart damit bereits im Titel, dass wir uns nicht auf den Pfaden unserer gewohnten Realitäten befinden. Ziemlich schnell drängen sich Fragen auf: Was sehe ich hier? Warum sehe ich es? Und warum möchte ich trotzdem weiterblättern?

Surreales Bild

„Omatandangole“ ist das Ergebnis von Aapo Huhtas zweijähriger Verarbeitung seiner eigenen Vergangenheit. Die Tatsache, dass er dabei im abschließenden Erklärtext nicht besonders konkret wird, unterstützt die Vermutung, dass das Buch viel mehr ist als nur die autobiografische Auseinandersetzung eines Autors mit sich selbst.

Um uns dem Werk zu nähern, möchte ich einen kurzen Ausflug in die europäische Ideengeschichte wagen in Bezug auf etwas, das uns das Buch über noch beschäftigen soll: Den Raum und damit auch die Zeit. Dass Raum und Zeit nicht einfach absolut existieren, sondern im Verhältnis zueinander und zu anderem entstehen, ist eine noch recht neue Erkenntnis, die auf Albert Einsteins Raumzeit zurückgeht.

Selbst Kant und Leibniz dachten Raum und Zeit noch als getrennte Kategorien, die eigenständig, wenn auch relational, existieren. Es sollte sogar noch über Einstein hinaus bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts dauern, bis sich Theorien über Raum und Zeit – und ihre Bedeutung für uns und die Gesellschaften – ihren Weg in die Sozialwissenschaften bahnten.

Eine der zentralen Erkenntnisse: Raum und Zeit, virtuell oder physikalisch, werden jeweils und zueinander durch unsere Vorstellungen konstruiert. Sie existieren nicht einfach, sondern müssen erst geschaffen werden.

Was bedeutet das jetzt für „Omatandangole“? Aapo Huhta reiste für sein aktuelles Buch nach Namibia. Ein Land, das für seine atemberaubenden Landschaften, sein faszinierendes Licht, die verschiedenen Ethnien und Sprachen und – das darf nie vergessen werden – für die brutale deutsche Kolonialgeschichte bekannt ist.

Und obwohl es sich dabei also um eine konkrete Örtlichkeit handelt, an der fotografiert wurde, zeigt „Omatandangole“, an dem Huhta zwei Jahre lang gearbeitet hat, alles andere als das. In diesem Buch werden Ort, Raum und Zeit neu geschaffen – durch das Buch und durch unsere Betrachtung.

Schon beim Aufschlagen werden wir fröhlich-vorahnungsvoll empfangen von einer warmen, farbigen Wüstenlandschaft mit zwei Sonnen, die uns auf einer Doppelseite entgegenscheinen. Die nächste Seite wirkt dann schon gleich weniger warm: Monochrom mit grobem Korn reckt sich uns eine Wand aus dürrem Gestrüpp vor einer kargen Gebirgslandschaft entgegen und wir stellen auf den kommenden Seiten fest, dass die Farbigkeit und Wärme des Empfangs eher die Ausnahme ist. Harte, kontrastreiche Bilder in schwarzweiß begegnen uns.

Die ersten Seiten sind so intensiv wie das Buch in seiner Gänze. Es verlangt uns einiges ab. Es begegnen uns blitzende Sanddünen in der Düsternis, ein schwarzes Pferd auf einer schwarz geteerten Landstraße inmitten einer gleißenden Einöde, das surreale Abbild einer Heuschrecke auf dem Weg vom Dunkel- ins Hellfeld, ein zu einem Fetisch stilisierter, toter Baum und ein so hart angeblitztes Gazellenfohlen, dass seine Augenhöhlen uns gespenstisch anstarren – und das alles auf den ersten zwölf Seiten.

Zwei kämpfende HundeHaus hinter einer Düne

Es wäre töricht, davon auszugehen, dass der Rest des Buches es uns leichter machen würde. Kein Zweifel, „Omatandangole“ spricht zu uns. Während wir beschreiben können, was wir gegenständlich sehen – Dünen, Tiere, abstrakte und konkrete Landschaften – lädt uns „Omatandangole“ dazu ein, auch den negativen Raum zu erkunden und damit das, was wir nicht sehen:

Es fehlen Portraits. Wir sind größtenteils allein auf unserer Reise, nur einmal begegnen wir einem Einsiedler, aus sicherer Distanz sehen wir ein paar Menschen in der Wüste, auf den letzten Seiten Kinder, die sich von uns entfernen. Florales Leben fehlt beinahe gänzlich.

Jede Seite, jedes Bild suggeriert ein Überleben durch Anpassung in einer destruktiven Welt. Der Mensch scheint die Dominanz über diese Welt verloren oder gar nicht erst erlangt zu haben. Wir sehen auch keine Zivilisation, nicht einmal gesellschaftliches Zusammenleben. Wenig Liebe weit und breit.

Mann mit Maske

Es liegt an uns, den Raum zu konstruieren, den uns „Omatandangole“ anbietet, und die düsteren Leerstellen mit unseren Erfahrungen zu füllen. Gleichermaßen großzügig geht der Text mit der erzählten Zeit um. Es gibt fünf Kapitel, die alle durch ein farbiges Landschaftsfoto eingeleitet werden: Selbstverständlich mit zwei Sonnen, aber unterschiedlichen Sonnenständen. Es ist unklar, ob es sich bei der Geschichte um einen Tag handelt oder ob sich die erzählte Zeit über einen größeren Rahmen erstreckt.

Es ist noch nicht einmal ersichtlich, ob unsere Kategorien von Zeit hier greifen. Ersichtlich ist nur ihre Relativität. Und dass wir irgendwie Teil der Geschichte sind – Gäste mit Ausstiegshilfe, denn es gibt einen „Exit Plan“, mit dem wir am Ende des letzten Kapitels die Geschichte verlassen können: Der Track der Kinder, mit denen wir auf den letzten Seiten den Horizont einer Sanddüne erklimmen und dahinter verschwinden können. Nach all den Strapazen löst sich alles Schritt um Schritt in Wohlgefallen auf.

Kinder laufen auf einer Sanddüne

Die Fotografien wurden bewusst auf Film aufgenommen, augenscheinlich auf grobkörnigem Film. Ohne Time Code, ohne GPS-Verortung, zeit- und ortlos. Die harten Kontraste, mit denen die Bilder aufgenommen und entwickelt wurden und der besondere, strukturierte Druck des Buches tun ihr Übriges. Alles an „Omatandangole“ kommuniziert mit uns und zieht uns in seinen Bann.

„Omatandangole“ gehört zu den Büchern, die manchmal ratlos werden lassen, die man aber auch nicht aus der Hand legen kann. Und wenn man es doch mal aus der Hand gelegt hat, dann nur für kurze Zeit.

Buchcover

Informationen zum Buch

„Omatandangole“ von Aapo Huhta
Sprache: Englisch
Einband: Gebunden
Seiten: 88
Verlag: Kehrer
Preis: 38 €

11 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

    • Diese Frage kann man sich bei den meisten Bildern und Bildbänden stellen. Welchen Sinnn Fotografie hat, ist eine Grundsätzliche.
      Vielleicht wird uns das Buch beim Betrachten innerlich verlangsamen, das alleine währe schon ein Sinn.
      Ein weiterer könnte sein, zu üben, ein Bild wieder zu betrachten, etwas in ihm zu suchen, entdecken zu wollen und uns selbst fragen, ob wir es in der heutigen Zeit noch aushalten, Fragen zu haben, auf die es nicht unbedingt eine Antwort gibt. Ob wir es aushalten, einmal nichts zu entdecken.
      Vielleicht sind es Bilder, die uns Hunger spüren lassen in unserem Denken und Fühlen.
      Das währe das erfrischende Gegenteil vom satten Bild, dass uns keinen Raum mehr für Appetit lässt.

  1. Nach der Lektüre des Artikels bin auch ich etwas ratlos bzw. ideenlos. Es soll mehr sein als nur eine Auseinandersetzung mit sich selbst – da hier jedoch jegliche Angaben über den Autor des Buches fehlen und er selbst ja offenbar wenig dazu beigesteuert hat (laut Angaben des Artikelautors), hätte genau hier für mich die Aufgabe der Recherche bestanden, wenn ich dieses Buch rezensieren hätte wollen, bevor Kant & Co. als Kategorie Universalwaffe herabgezogen werden. Mir erscheint das etwas diffus und akademisch abstrakt…. Das eine oder andere Foto ist als Einzelwerk schon spannend, die Rezension macht mich aber nicht neugieriger.

    Grüße, Wilhelm

    • warum nicht abstrakt? Warum alles zu Ende recherchiert? Warum alles analysiert? Damit wir es selbst nicht mehr tun müssen?
      Viele Bilder unbekannter Fotografen berühren und vermitteln einen Inhalt, auch ohne die Biografie des/der Fotografierenden zu kennen.
      Aber das Buch mit seinen Bildern bietet doch geradezu eine unvoreingenommene Möglichkeit, den Fotografen zu entdecken. Denn ein Bild sagt ja nicht nur etwas über das Abgebildete aus, sondern auch über den, der es gemacht hat.

      Nur ein Beispiel: Ich habe viele Jahre europaweit im Einrichtungsdesign gearbeitet. Für mich gehört das Sichtbare grundsätzlich mit dem Unsichtbaren zusammen. Das bedeutet, dass die Einrichtung viel über den Inhaber/Bewohner/Nutzer aussagt. Genauso wie ein Bild oder ein Text, der von ihm/ihr stammt.
      Das haben wir sogar experimentiert. Ich habe Bilder einer Einrichtung gesehen und den Besitzer beschrieben. Umgekehrt habe ich den Kunden kennen gelernt und danach zielgerichtet seinen Lebensraum entworfen.
      Und genau das kann dieses Buch- uns in diesem den Fotografen zu entdecken und kennen zu lernen.

      Ich kann dieser Buchbeschreibung durchaus etwas abgewinnen und mich macht sie neugierig.

    • Hi Wilhelm,

      vielen Dank für dein kritisches Feedback. Es tut mir leid, dass dich der Text nicht abholt. Das Buch wurde hier bewusst als alleinstehender Text verstanden, bei dem der Fokus auf den Fotografen nicht helfen würde. Es kam mir bei der Bearbeitung so vor, als lenkte das eher zu sehr ab. Daher verzichtet der Artikel dieses Mal darauf. Deine Kritik macht mir aber klar, dass ich bei ähnlichen Fällen doch nochmal überlegen sollte, ob ich den Ansatz nicht etwas aufweiche.

      Viele Grüße und schönes Wochenende!

      Christopher

      • Man kann es nie jedem Recht machen. Und meines Wissens gibt es auch keine Norm, wie eine Abhandlung inhaltlich verfasst sein soll. Ist mir zumindest entgangen. Ich finde auch den Begriff des Erwartens zu hoch gehängt. Erwarten kann man zwar alles- aber es hat auch etwas mit Einfordern zu tun. Und das hat schon eine gewisse Dreistigkeit. Vor allem, wenn man kostenlos konsumiert.

  2. Endlich einmal ein Buch, das nicht mit den üblichen Namibia-Bildern daherkommt, die wir alle schon tausendmal gesehen haben, sondern mit einem ganz anderen Blick. Damit muss man sich ganz neu auseinandersetzen. Klasse! Ebenso gelungen der Text, der nicht alles „erklären“ und „deuten“ will, sondern dem Leser (m/w/d) eine Eigenleistung abverlangt. Zusammengenommen für mich persönlich eine sehr spannende Form der Fotografie. Allerbesten Dank!

  3. Fotobücher sollen für sich sprechen. Je mehr der Rezensent reindeutelt, desto mehr verlieren die Fotos. Wer diesen Text gelesen hat, kann die Fotos nicht mehr auf seine Weise entdecken. Ein Hinweis auf das Buch und einige Fotos hätten gereicht, Sind die Fotos gut (für den Betrachter), so wird das Buch gekauft; sind sie nicht gut (für den Betrachter), rettet auch ein noch so bedeutungsschwangerer Text das Buch nicht,

  4. Von hundert Namibia-Bildern zeigen 50 irgendwelche Himbas und die anderen 50 dieselben kahlen Bäume des Dead Vlei.

    Insofern schonmal sehr gut, dass wir hier ganz andere Bilder sehen.

    Der große Bogen von Aapo Huhtas Verarbeitung der Vergangenheit via Albert Einsteins Raumzeittheorie bis zum Verweis „bewusst auf Film aufgenommen, augenscheinlich auf grobkörnigem Film“, das ist mir zu viel „Gelaber“, sorry.

    Ich vermute aber, dass ich das Buch, wenn es meins wäre, lieben würde für sein Anders-sein.