22. Mai 2011 Lesezeit: ~10 Minuten

Die lange Reise einer Kamera.

Ich wüsste gern, welche Geschichten meine Flexaret VI seit ihrer Herstellung in den 60ern schon erlebt hat. Doch die wahrscheinlich spannendste Reise hat sie erst jetzt gemacht, als ich mich in sie verliebt hatte und um jeden Preis mit ihr fotografieren wollte.

Sie muss ungefähr zwei Jahrzehnte lang in der Vitrine im Flur meines Elternhauses gestanden haben. Zwischen all den anderen alten Kameras. Mein Vater hat dieses Faible für antike Kameras, obwohl er nicht (mehr) fotografiert. Überhaupt mochte er alte Gegenstände.

Weil diese Kameras immer dort gestanden haben, wurden sie zu einem Teil der Einrichtung. Wie ein Stuhl oder ein Tisch, die einfach nur da sind, sodass sie einem nicht mehr auffallen. Vielleicht nur dann, wenn sie plötzlich weg sind.

Dementsprechend hat es ziemlich lange gedauert, bis ich nach meinem Einstieg in die Analogfotografie (Anfang 2009) auf die Idee kam, die Kameras meines Vaters genauer unter die Lupe zu nehmen. Eventuell wäre das eine oder andere Modell davon zu gebrauchen, um wirklich Fotos zu machen.

Erst im Herbst 2010 war ich dann wieder Zuhause und sackte mit dem Einverständnis meines Vaters alle Kameras ein. Ein oder zwei Nachmittage lang beschäftigte ich mich damit, jede einzelne genau anzusehen, um sie zu bestimmen, zu verstehen, wie sie funktionieren und manchmal – bei einigen alten Faltkameras – wie ich sie überhaupt zum Fotografieren öffnen konnte.

Da waren ganz verschiedene Kameras: für Polaroid, Kleinstbildfilm, Kleinbildfilm, Mittelformat und sogar zwei Plattenkameras. Also entschied ich mich dafür, auf einen Ausflug zu einem Freund in Hamburg (von dem ich ungefähr alles gelernt hatte, was ich über Analogfotografie wusste) nur die Mittelformatkameras mitzunehmen und zu testen.

Wir hatten einigen Spaß damit, unter anderem mit alten Boxkameras zu fotografieren, eine Franka Solida Record zu reparieren und einfach jede Kamera einmal auszuprobieren. Eine hatte es mir direkt besonders angetan, weil ich sie wunderschön fand und sie toll anzufassen war: Eine Flexaret VI. Hübsche Bilder machte sie auch, leider belichtete sie auf jedem Film immer nur etwa die Hälfte der Bilder.

Wieder zuhause angekommen untersuchte ich sie eingehend, konnte aber nicht herausfinden, was das Problem war. Ohne eingelegten Film löste sie zuverlässig aus, doch auch zwei weitere Testfilme sahen eher aus wie ein Schweizer Käse. So sehr mir die Bilder auch gefielen, ohne eine gewisse Zuverlässigkeit konnte ich nicht arbeiten.

Ich wollte aber nicht aufgeben und durchsuchte das Internet nach Hinweisen. Ich konnte ja nicht der erste Mensch mit dem Problem sein. Naiv dachte ich, dass ich das Problem in der Mechanik mit etwas handwerklichem Geschick vielleicht selbst beheben könnte.

Um ins Innere der Kamera zu schauen, musste man auf der Vorderseite ein paar Schrauben lösen, die unter der Verkleidung versenkt waren. Meine Versuche endeten leider damit, dass ich zwei Schrauben unter dieser Verkleidung verlor und die letzte Schraube nicht lösen konnte, weil sie zu fest angezogen war.

Ich suchte weiter und fand eine französische Anleitung, um die Kamera von innen heraus zu öffnen. Dazu fehlte mir aber ein Werkzeug und langsam wurde mir klar, dass ich wahrscheinlich nur noch mehr kaputtmachen würde, wenn ich mich weiter selbst daran versuchte.

Also machte ich mich Anfang diesen Jahres auf dem Weg zum Fotoladen meines Vertrauens. Im Untergeschoss wurden auch restaurierte alte Kameras zum Verkauf angeboten, also hatte ich die Hoffnung, dort jemanden zu finden, der mir die Flexaret reparieren könnte. Von dort wurde ich an jemand anderen verwiesen, der sich auf die Reparatur alter Kameras spezialisiert hatte.

Er machte mir nicht viele Hoffnungen: Eventuell wäre die Reparatur möglich, kostet dann aber vermutlich mehr als eine neue Kamera. Oder – je nach Defekt – wäre die Reparatur wegen fehlender Teile unmöglich: Immerhin wurde das Modell in den 60er Jahren in der Tschechoslowakei hergestellt.

Nach fast zwei Monaten des Wartens – in der Kamerawerkstatt herrschte in der Zeit reger Andrang – kam endlich eine Benachrichtigung: „Es tut uns leid, aber Ihre Kamera ist leider irreparabel.“ Enttäuscht holte ich sie wieder ab.

Ich erinnerte mich daran, bei meiner Suche nach Anleitungen zum Öffnen der Kamera von jemandem gelesen zu haben, der sich damit auskennt. Schnell fand ich mehrere Foreneinträge von Flexaret-Besitzern, die von einem slowakischen Ebay-Verkäufer berichteten, der einwandfrei reparierte Flexarets verkaufte.

Also kontaktierte ich ihn und beschrieb ihm das Problem meiner Flexaret. Da mein Slowakisch noch nicht gut genug war, schrieb ich auf Englisch. Zurück kamen einige Zeilen gebrochenes, aber liebenswertes Deutsch, die mich wissen ließen, dass er das Problem schnell beheben könne.

Anfang März schickte ich also meine Flexaret zusammen mit einer Tüte Gummibärchen auf die Reise. In der Sendungsverfolgung der Post tat sich leider zwei Wochen nichts, daher bekam ich es schon mit der Angst zu tun und glaubte meine Flexaret bereits verloren.

Es dauerte etwa weitere zwei Wochen, bis die liebe Deutsche Post mir mitteilen konnte, dass mein Päckchen ganz regulär angekommen sei. So kontaktierte ich meinen Hoffnungsträger, der mir schrieb, dass die Kamera schon repariert sei und er auch ein paar kosmetische Korrekturen vorgenommen hatte.

Via Paypal zahlte ich erstaunlich günstige 30€ und wartete wie auf heißen Kohlen. Am 20. April war es so weit. An der Größe des Päckchens und den vielen bunten, ungewöhnlichen Briefmarken erkannte ich es schon auf dem Arm des Postboten. Ich weiß nicht, ob ich jemals mit so einer Spannung ein Paket geöffnet habe.

Langsam befreite ich die Flexaret aus der vorbildlichen Verpackung aus passgenau geschnittenen Styroporplatten und jeder Menge Bläschenfolie. Beim Abwickeln der Folie sah ich schon, dass auch die fehlende Belederung auf der Vorderseite nachgerüstet wurde. Ich wickelte weiter.

Sogar die Filtertabelle, die auf der Rückseite fehlte, war wieder da. Ich wickelte die letzte Schicht ab: Da war sie in ihrer ganzen Schönheit. Komplett gereinigt und trotzdem mit ihrem eigenen Charakter, z.B. den Schrammen am Modellschild, die ihr mal jemand bei einem Öffnungsversuch zugefügt haben muss.

Ich war hellauf begeistert. Selbst der Fokussierhebel, der vorher vor lauter Verharzung schwergängig war, lief nun sanft wie ein Messer durch Butter. Wenn sie jetzt auch noch zuverlässig auslösen würde, wäre sie perfekt. Angesichts der äußeren Verbesserungen hatte ich daran keine Zweifel, aber wer weiß.

Sofort hatte ich eine Idee für einen Testfilm. Ich hätte zwar auch ganz schnell zwölf Nonsense-Fotos machen können, doch für den Fall, dass sie funktionierte, wollte ich auch mit tollen Bildern belohnt werden.

In meinem Kopf wuchs in den nächsten Tagen das Konzept für eine Portraitserie mit meinem Freund. Nachts lag ich wach, weil ich immerzu daran denken musste. Und wenn ich tagsüber am PC arbeitete, lenkte die Flexaret mich mit einer früher nie dagewesenen Präsenz ab.

Mein Freund stand für zwölf verschiedene Portraits Modell, bei denen ich ihn mit verschiedenen Gegenständen, Verkleidungen oder mit Bemalung fotografierte. Zur Sicherheit machte ich auch digitale Aufnahmen, aber ganz wie auf Film: Nur ein Versuch für jedes Portrait. Das Backup sollte nah am Film bleiben, falls ich es brauchen sollte.

Anschließend entwickelte ich den Film. Das dauerte 16 Minuten, die ich nicht still sitzen oder stehen konnte. Ich war dem Ergebnis unglaublich nah, aber der Film, von dem mich nur der Entwicklungstank trennte, kam mir vor wie Schrödingers Katze: Im Moment waren die Bilder in einem unbestimmten Zwischenzustand von Meisterwerk und unbelichtet.

Nach dem Fixieren holte ich die Spule heraus und dachte schon beim ersten Blick darauf ein lautes „Oh-oh“: Der Film sah schwarz aus. Ich wickelte ihn ab und sah, dass er ganz neblig war, aber weiter innen wurden Bilder sichtbar.

Allerdings hatte ich mich noch nie über einen misslungenen Film so gefreut: Trotzdem ließ sich nämlich erkennen, dass alle Bilder gleichmäßig belichtet waren. Die Flexaret funktionierte wieder!

Dachte ich zumindest. Und fotografierte überschwänglich am Wochenende danach direkt noch zwei Filme mit Katja voll. Die Enttäuschung nach dem Entwickeln fühlte sich dann an wie ein schlechter Scherz: Meine zwei Filme sahen wieder einmal aus wie ein Sieb.

Erst jetzt kam ich auf eine wirklich gute Idee: Statt einem Film spannte ich nur das Papier vom letzten Rollfilm ein, um den Mechanismus zur Filmerkennung auszutricksen. So konnte ich auslösen, ohne Bilder zu verschwenden und gleichzeitig dabei die Kamera von vorn betrachten.

Die Erkenntnis folgte: Beim Weiterspulen zieht ein kleiner Hebel am Objektiv den Verschluss auf, der manchmal aussetzt, weil im Inneren irgendein Zahnrad nicht richtig greift. Mit einem dünnen Stift kann ich den Verschluss aber von außen aufziehen. So kann ich trotzdem fotografieren.

Noch einmal linste ich in die französische Anleitung zur Zerlegung der Flexaret. Wahrscheinlich liegt das Problem irgendwo im Zahnradgewirr unter der Abdeckung auf der rechten Seite. Aber würde ich mich trauen, die Kamera selbst noch einmal zu öffnen?

Nein. Meine Angst, dabei irgendetwas kaputt zu machen, war zu groß. Dabei war ich hin und hergerissen, es doch zu tun. Allein schon, um diesem Artikel das Happy End zu bescheren, auf das ich mich beim Schreiben so gefreut hatte. Doch leider ist das Leben kein Hollywood-Streifen.

Welche Reisen und Abenteuer haben Eure Kameras schon erlebt?

Update, Mai 2012: Nachdem ich noch ein paar Filme mit der Flexaret belichtet habe, läuft sie nun doch richtig rund und braucht beim Spannen keine Nachhilfe mehr. Ende gut, alles gut.

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