17. November 2021 Lesezeit: ~7 Minuten

Image Eaters

„Image Eaters“ ist eine Fotoserie, die sich auf poetische Weise auf die Bilderzeugung und Bildverbreitung in einer von ihr dominierten Ära konzentriert und gleichzeitig die bidirektionale Beziehung zwischen den Schöpfer*innen sowie Vertreiber*innen von Bildern, Menschen und Maschinen hinterfragt.

Die Grundidee entstand aus der Erkenntnis, dass es eine Korrelation zwischen Bildern und Lebensmitteln gibt: Nahrung ist ein Grundbedürfnis jedes Lebewesens, sie ist entscheidend für Wachstum und Überleben, während Bilder im Gegenteil alles andere als überlebenswichtig sind.

Kugel aus pinken Energieblitzen, umgeben von vielen Händen

Mir ist das Vokabular aufgefallen, das für Bilder verwendet wird: Zum Beispiel nennen wir in den sozialen Medien unseren endlosen Bildlauf „Feed“ (wie „Futter“) oder wir sprechen davon, dass „ein System der künstlichen Intelligenz mit Bildern gefüttert werden muss, um trainiert zu werden“.

Mir wurde klar, dass es eine neue Art von „Kreaturen“ – KIs und Algorithmen – gibt, die auf Bilder angewiesen sind, um sich zu entwickeln und damit zu überleben. Und da diese intelligenten Systeme und Maschinen immer mehr Bereiche unseres Lebens bestimmen, sind auch wir nun auf Bilder angewiesen, aber in Arten und Weisen, die wir noch nicht begriffen haben.

Smartphone über einem Stein

Ist in dieser neuen Welt, in der jeder von uns eine Reihe von Gesichtsmerkmalen ist, gefangen in der eigenen bequemen Filterblase und in der Aufmerksamkeit die Währung ist, während unsere Entscheidungen vorhersehbarer sind denn je – ist dann noch die Fähigkeit, selbstständig zu denken, eine grundlegende? Wenn wir sie nicht zum Überleben brauchen, dann vielleicht zumindest, um unsere menschliche Natur zu bewahren.

Die Technologie entwickelt sich ständig weiter und wir werden immer abhängiger von Bildern. Diese Serie strebt danach, zu hinterfragen, was ein Bild heute ist, während Bilder verwendet werden, um dies zu erreichen.

Spiegel liegen auf kariertem Stoff

Bilder wurden von Menschen seit den frühen Stadien unserer Evolution geschaffen, um Botschaften an andere Menschen zu übermitteln. Eine der wichtigsten Veränderungen der heutigen visuellen Kultur ist die Tatsache, dass es Bilder gibt, die nicht mehr von Menschen, sondern von Maschinen produziert werden.

Und darunter sogar Bilder, die nur von Maschinen gelesen werden sollen, was sie für das menschliche Sehen buchstäblich unsichtbar macht. Gesichtserkennungssysteme erkennen unsere Identität, indem sie unsere Gesichtszüge in eine Reihe von Punkten – Gesichtsmerkmale – übersetzen. Aber wer sind wir in den Augen der Maschinen?

unscharfes Portrait mit bunten Lichtpunkten im GesichtLichtstrahl durch eine Lupe auf Handfläche gerichtet

Wer sind wir? Was ist unser Schicksal? Ist es noch in die Linien unserer Hände eingeschrieben, wie wir glaubten? Es scheint, dass die Daten, die aus unserem Online-Leben generiert werden, mehr über uns selbst verraten können, als wir uns jemals vorgestellt haben.

Jeder unserer Klicks wird überwacht, jede unserer Bewegungen im digitalen Raum wird zu wertvollen Daten für Algorithmen und ihre Schöpfer*innen. Wir, die Benutzer*innen auf der anderen Seite, haben einen verschmierten, passwortgeschützten Bildschirm.

verschiedene Glasobjekte in blauem Raum

You feed me with images so I can compose your feed
You update me so I can update you
You flood me with content and I put it into context
You teach me to see so I can show you what you want to see
I learned from you and I learned about you
I see through your lenses and you see through me
You forget about me cause I’ m everywhere
You want me to be like you
You created me but do I re-create you?

rote Linien über Augen einer BüsteHand und Blase in der Luft

Unser langen Herumgescrolle, intime Gespräche, schuldbewusste Freuden, formelle E-Mails und Essensbestellungen werden zu einem Schmierfleck, ununterscheidbar von den anderen, auf einer dunklen Oberfläche.

Unsere Augen sind unsere Wegweiser in den digitalen Räumen, die wir bewohnen, aber gleichzeitig werden sie in dieser Aufmerksamkeitsökonomie ständig ins Visier genommen. Die Überexposition gegenüber Reizen, die wir erleben, kann zu einer Art „Blindheit“ führen.

Es sieht aus wie Liebe: In den Echokammern und sogar unter unseren „engen Freund*innen“ in den sozialen Medien werden Views und Likes als Zuneigung, Unterstützung und Fürsorge gezählt. Filterblase – ein Begriff, der beschreibt, dass die sozialen Medien, Suchmaschinen und andere Algorithmen uns Material aussetzen, mit dem wir uns wohlfühlen. Aber ist das tatsächlich ein gemütlicher Ort oder eine Falle? Was passiert, wenn diese Blase platzt?

im Kreis verlaufende Spiegelung eines künstlichen Auges

Wir halten unsere Momente mit großer Unerbittlichkeit fest, um sie mit der Welt zu teilen, aber die heutigen Bilder sind weniger Erinnerungsobjekte wie früher, sondern eher ein Beweis für den Moment, auf den sie sich beziehen.

Sie werden auf Bildschirmen angezeigt, sie strahlen Licht aus und verschwinden nach einer Weile aus dem Blickfeld, sie bewegen sich ständig und ersetzen sich alle ständig gegenseitig in einem nie endenden Strom und dann verschwinden sie. Nach ihrem „Moment“ leben sie in unseren Erinnerungen, physisch oder digital.

Smartphone filmt Verbrennen eines PapiersFrau hält sich zwei blitzende Smartphones vor die Augen

Digitale Bilder unterscheiden sich grundlegend von analogen. Sie sind kein einzelnes Objekt, es gibt keinen Prototyp und seine Kopien. Digitale Bilder sind Code, eine Folge von Nullen und Einsen, die auf Remote-Servern und in Clouds gespeichert sind. Jedes einmal geteilte Bild kann ewig leben, selbst wenn es gelöscht wird, überlebt es immer noch an unzugänglichen Orten.

Bildschirme und Linsen, transparente Objekte, Bildträger, die Basis unserer digitalen Zivilisation. Jeder Teil der realen Welt, den wir im digitalen Universum sehen können, wurde durch irgendeine Art von Objektiv an etwas wie einer Kamera erfasst und dann durch Code übersetzt, um auf einem Bildschirm angezeigt zu werden. Sichtbar ist nur das, was Linsen erfassen können. Diese Objekte sind die Basis unserer digitalen Kultur.

leuchtend grüne Würfel in einer dunklen Spiegelumgebung

Was ist normal, was wird akzeptiert, was ist wahr? Sind diese Fragen noch relevant? Fake News, Deep Fakes, Echokammern, Trollfarmen vermehren sich, formen nach Belieben und verzerren den Wahrheitsbegriff in einer noch nie dagewesenen Weise und Größenordnung. Was könnte unser Leitfaden sein, um in dieser sich ständig verändernden, verschlagenen Landschaft zu navigieren?

Das Internet ist zu einem parallelen, von Menschenhand geschaffenen Universum geworden, in dem jede Ecke dieser physischen Welt und vieles mehr dokumentiert ist. Wir haben es geschafft, eine Welt in einer anderen Dimension zu schaffen, die derjenigen, in der wir leben, ähnlich sieht, sich aber in ihrer Natur grundlegend unterscheidet. Aber sollte Kosmogonie nicht ein Privileg der Natur oder der Götter sein?

zwei Seifenblasen auf einem runden Spiegel, der Himmel mit Wolken zeigt

Die Spiegelphase ist eine kritische Phase in der Entwicklung eines Kindes, in der es sein eigenes Spiegelbild als sich selbst erkennt und somit seine Existenz und sein Selbstverständnis verwirklicht. Auf der anderen Seite verliebte sich Narziss nach der griechischen Mythologie in sein Spiegelbild, was dazu führte, dass er in einem Wasserbecken ertrank. Was verrät unsere Fixierung auf unser Aussehen über uns? Wie wird diese Schwachstelle von uns ausgenutzt und von wem? Gibt es zugrunde liegende Gefahren?

Schere, Stein, Papier. Ein ständiger Kampf, das Physische und das Digitale. Kann es jemals einen Gewinner geben? Das Streben nach Macht und Kontrolle ist immer ein relevantes Thema. Der Gewinner bekommt alles im Monopolyspiel dieser digitalen Giganten.

Dieser Artikel wurde für Euch von Redakteurin Aileen Wessely aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

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