12. November 2021 Lesezeit: ~7 Minuten

failure project – Texte über das Versagen

Die Fotografin Jule Wild sammelt auf ihrer Webseite Erfahrungen mit Versagensängsten sowie ganz konkrete Momente, in denen Fotograf*innen versagt haben. Zweifel und Sorgen sind ein großer Teil des Lebens und beim Lesen der Texte habe ich mich sehr verstanden gefühlt.

Deshalb möchte ich es gern mit Euch teilen und habe Jule um ein Interview zu ihrem Projekt gebeten.

Hallo Jule, bevor wir über Dein „failure project“ sprechen, ist vielleicht eine Begriffserklärung wichtig. Was bedeutet das englische Wort „failure“ eigentlich? Ich habe nachgeschaut und im Deutschen gibt so unglaublich viele schöne Begriffe dafür: Versagen, Scheitern, Misserfolg, Fehlschlag, Durchfallen – und das sind nur ein paar. Wie würdest Du es übersetzen?

Einfach als etwas, das schiefgegangen ist. Der klassische Fail vielleicht.

Wie bist Du auf die Idee gekommen?

Das war eigentlich eine total spontane Idee, die aus einem längeren Denkprozess heraus entstanden ist. Im Studium und generell immer, wenn ich mit jungen Fotograf*innen rede, merke ich, dass sehr viele sehr, sehr große Zweifel haben und sehr selbstkritisch sind. Oft sagen sie: „Oh, ich würde ja so gerne, aber ich trau mich nicht so richtig.“ Durch diesen Perfektionismus halten sie sich selbst zurück.

Aus der Erkenntnis entstand die Idee, dass man diese Geschichten sammeln könnte: all diese Dinge, die schiefgehen, weil sie bei allen schiefgehen. Alle haben eine Geschichte, bei der etwas richtig, richtig schiefgegangen ist. Oder Dinge, die man sich vielleicht einfach nicht getraut hat und die man im Nachhinein bereut.

Hat Dich überrascht, was für Antworten zu Deinem Projekt kamen?

Ich war total überrascht, dass überhaupt etwas kam. Viele Texte kamen auch gar nicht von meinen Freund*innen oder Leuten, die ich kenne, sondern wirklich einfach von wildfremden Menschen, die meine Frage irgendwie auf Instagram gesehen haben. Das fand ich schon sehr beeindruckend, dass sich fremde Leute so öffnen und sich sogar für das Projekt bedanken, weil es ihnen geholfen hat, darüber zu reden und die anderen Texte zu lesen.

In fast allen bisherigen Texten beschreiben sich die Menschen als unsicher und es geht kaum um ganz konkrete Fehlschläge, sondern vor allem diese allgegenwärtige Angst des Versagens, die sie zurückhält. Hast Du das Gefühl, dass die Versagensangst in der Fotobranche besonders groß ist?

Ich dachte eigentlich auch, dass mehr konkrete Geschichten kommen würden. Ich finde es aber auch ganz schön, dass sich das Projekt von selbst entwickelt und ich wollte auch gar nicht so viele Vorgaben machen.

Und ja, Versagensangst und Zweifel sind riesig in der Fotografie, weil es auch ein so unsicherer Job ist und man so schlecht etwas planen kann. Viele Fotograf*innen sind mit Herzblut dabei und dann entwickeln sich natürlich auch Ansprüche an sich selbst. Es haben schon sehr viele Menschen in der Fotografie damit zu kämpfen.

Ich habe auch darüber nachgedacht, warum das so ist und ich denke,e ein Grund ist, weil man als Fotograf*in nie ein objektives Ergebnis hat. Ergebnisse gibt es in fast allen Berufen, aber in den meisten kann man sie bewerten. Ein Maurer zum Beispiel hat die Mauer als Ergebnis und wenn die Mauer steht, ist es eine gute Mauer. Aber als Fotograf*in machst Du ein Foto und weißt nicht, ob es jetzt wirklich seinen Nutzen erfüllt. Die Bewertung des Fotos kommt ja meistens von außen und ist sehr subjektiv. Das macht eine große Unsicherheit.

Ich denke auch, weil das Produkt oft etwas sehr Persönliches ist. Wenn jetzt jemand meine Mauer kritisieren würde, geht mir das weniger nah, als wenn jemand ein Fotoprojekt kritisiert. Man macht sich immer auch ein Stück verwundbar mit dieser Bewertung der eigenen Arbeiten.

Ja, viele nehmen das sehr persönlich. Sie fühlen nicht „das Bild ist schlecht“, sondern „ich bin schlecht“.

Auf jeden Fall. Das habe ich auch schon sehr oft mitbekommen, dass Menschen durch negative Kritik sehr, sehr demotiviert wurden und plötzlich alles in Frage gestellt haben.

Du lädst ein, selbst Texte einzureichen und schreibst, dass Du handgeschriebene Texte bevorzugst. Warum?

Weil es dann noch einmal persönlicher ist. Was mir auch gefällt, ist, dass man durch die verschiedenen Handschriften sieht, dass es wirklich viele Leute sind. Dann ist es noch einmal offensichtlicher, dass es eine Masse von Personen ist, die sehr ähnliche Sachen beschreibt.

Bis jetzt habe ich mich in jedem Text irgendwie wiedererkannt und finde das sehr beeindruckend. Auch, weil die Texte schon weltweit eingeschickt wurden. Das Projekt ist nicht auf Deutschland begrenzt.

Das ist auch der Grund, warum das Projekt auf Englisch gehalten ist und nicht auf Deutsch, oder?

Genau, ich wollte mehr Leute einschließen. Und gleichzeitig weiß ich auch von vielen Freund*innen, dass Deutschen es irgendwie leichter fällt, auf Englisch über emotionale Dinge zu schreiben. Vielleicht ist es eine emotionalere Sprache, in der Dinge einfach besser klingen.

Bleibt das Projekt ein rein Schriftliches? Ich kann mir vorstellen, dass es Dich als Fotografin schon in den Fingern juckt, einige Geschichten zu visualisieren.

Ich habe mich noch gar nicht soweit da rein gedacht. Ich war tatsächlich erst einmal überrascht, dass es überhaupt Anklang fand. Die Idee war ursprünglich ja eher eine kleine Schnapsidee, die ich einfach mal ausprobieren wollte.

Ich denke, ich mag, dass das Projekt auch mal weg vom Visuellen ist. Wenn ich anfange, Bilder zu machen, wäre entweder ich schon wieder zu sehr drin oder die Personen bleiben weniger anonym, wenn sie selbst Bilder einreichen würden.

Gehst Du seit dem Projekt anders mit Versagensängsten oder Fehlschlägen um? Hast Du das Gefühl, es macht etwas mit Dir?

Es nimmt sehr viel Druck raus, auf jeden Fall. Mir persönlich hat es schon geholfen.

Wenn man mitmachen möchte, kann man Dir einfach den Text über eine E-Mail schicken. Gibt es die Möglichkeit, das anonymer zu machen? Ich kann mir vorstellen, so manche Geschichten sind vielleicht so persönlich, dass man nicht unbedingt die tiefsten Gedanken und Fehlschläge offen einer fremden Person schicken möchte. Auch wenn Du den Text dann anonym veröffentlichst.

Das ist eine gute Idee, eine anonyme Möglichkeit einzurichten. Gut, dass wir darüber reden. Theoretisch kann man es mir auch per Post schicken. Falls da jemand motiviert ist, würde ich mich natürlich auch sehr freuen. [Anmerkung der Redaktion: Jule hat nach dem Interview ein anonymes Kontaktformular eingebunden.]

Ich hoffe, da kommen noch ganz viele Zuschriften, weil es mir beim Lesen auf jeden Fall gut getan hat und ich mich auch in vielen Sachen wieder gefunden habe. Eigentlich ist es ja ein bisschen schräg, dass die Fehler von anderen gut tun.

Ja, auf jeden Fall.

Danke für das Gespräch!

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