05. Oktober 2021 Lesezeit: ~10 Minuten

Mit ICM-Technik zu abstrakten Landschaftsfotos

Mein erstes ICM-Bild habe ich als Alu-Dibond auf der Veranstaltung „Kunst in Licher Scheunen“ 2017 gesehen. Dort hat Gottfried Römer alias Painto seine Werke vorgestellt und verkauft. Ich war fasziniert von den Farbverläufen, hatte damals aber keine Vorstellung davon, wie einfach sie zu erzeugen waren. Selbst noch weit von professioneller Fotografie entfernt, hatte ich nicht einmal Zeit für eine Recherche und erste Schritte gefunden.

Seit Ende 2018 erst fotografiere ich professionell und habe mich mit kreativen Fototechniken wie der ICM beschäftigt. Als ich dann Ende Februar 2019 anfing, die englische Küste zu fotografieren, fand ich mich in Mawgan Porth an der Westküste Englands zu Sonnenaufgang in dem Dilemma, dass ich eine wunderschöne Landschaft und Stimmung nicht in einem klassischen Landschaftsbild festhalten konnte. Es gab einfach zu viele Hunde- und Menschenspuren auf dem nassen Strand. Das Meer war weit draußen und es gab keine Chance, diese störenden Spuren zu entfernen, außer durch aufwändige Bildbearbeitung.

Damals habe ich das erste Mal mit einfachen horizontalen Bewegungen experimentiert. Entstanden sind schöne, abstrakte Farbverläufe, da sich die Pastellfarben des Himmels auf dem nassen Sand spiegelten. Da war schon ein leichtes Kribbeln im Bauch. Hatte ich doch den Bedingungen wieder ein Schnippchen geschlagen und war mit Bildern nach Hause gekommen, die die Atmosphäre widerspiegelten, ohne dass störende Details ablenkten.

Rückblickend merke ich, dass es mir schon damals wichtig war, dass besondere Strukturen und Elemente der Landschaft noch zu erkennen sind, zum Beispiel das Flussbett des ins Meer fließenden Baches.

Bald gehörte das Verwischen der Konturen durch ICM zu meinen Lieblingsbeschäftigungen bei fotografisch schlechtem Wetter. Ich habe gute Landschaftsfotos bei Sturm und Regen, in tiefem Nebel, bei kalten ungemütlich Temperaturen oder sengender Hitze gemacht. Aber gerade wenn das Wetter mir als Landschaftsfotografin das Leben schwer macht, das Licht flach und diffus ist oder die interessanten Aspekte der Landschaft in harten Schatten liegen, gehe ich trotzdem raus und weiß, dass ich mit ICM immer noch eine Möglichkeit habe, interessante Fotos mit nach Hause zu bringen.

Besonders während der Pandemie, als der Umkreis, in dem ich mich bewegen durfte, sehr begrenzt war, habe ich Zeit gefunden, viele verschiedene Kamerabewegungen in immer gleicher Landschaft oder mit ähnlichen Objekten auszuprobieren und zu verfeinern.

Die grundlegende Technik dazu ist unglaublich einfach. Alles, was man braucht, ist eine Kamera und lange Belichtungszeiten. Graufilter in den Stärken 64x und 1.000x, um das einfallende Licht zu reduzieren, habe ich immer im Gepäck. Aber die Bewegungen, die man machen kann, sind unglaublich vielfältig und wollen geübt sein, damit das Ergebnis nicht reiner Zufall ist.

Die schöne englische Küste auf meinen Wanderungen festzuhalten, ohne ins Klischee abzugleiten, geht manchmal nicht mit einem klassischen Landschaftsbild. Blauer Himmel, helle Sanddünen, weiße Wellen und eine unglaubliche Farbenvielfalt des Meeres sind traumhaft schön, aber fotografisch eine Herausforderung. Zu oft sieht man diese Elemente auf Urlaubsbildern.

Mit der Technik der bewussten Kamerabewegung bleiben diese unglaublichen Farben erhalten und Konturen verschwimmen. Es ist kein Bild wie das andere. Trotzdem weiß ich schon vor Ort, wenn mir ein Bild gelungen ist. Intuitiv schwingt es in mir, wenn ich die Stimmung im Bild eingefangen habe und die Bewegung der Kamera gerade richtig und passend dazu war.

Aber schon bald merkte ich, dass ich in ähnlicher Landschaft bei gleichen Lichtverhältnissen oft sehr ähnliche Bilder produzierte – meist ruhige, meditative, pastellfarbene oder türkisblaue, horizontale Farbverläufe mit Elementen wie Bachläufen, heranrollenden Wellen und Strand. Heute hole ich die Kamera in solchen Situationen erst raus, wenn es irgendein Element gibt, das mein Foto grundlegend anders machen wird.

Zum Beispiel, wenn die Klippen wie Zähne oder Klauen ins Meer hineinrutschen und ich dieses Rutschen durch meine Bewegung noch verstärken kann – dann entsteht wieder etwas Neues. Ansonsten genieße ich den Augenblick.

Obwohl mir das Experimentieren mit unterschiedlichsten Kamerabewegungen riesigen Spaß macht, ist es kein Selbstzweck. Ich verliere mich nicht in den Tausenden unterschiedlichen Bildern, die dabei entstehen und ich bleibe nicht länger dabei, als ich bei einem klassischen Landschaftsbild bleiben würde. Und auch bei ICM-Versuchen geht es mir oft so, dass keines der Bilder das zeigt, was ich zeigen wollte.

Beim klassischen Landschaftsbild suche ich die beste Perspektive und das beste Licht. Auch Einfachheit und Klarheit sind mir wichtig. Nicht unbedingt minimalistisch, aber auch nicht mit zu vielen unterschiedlichen Details. Erst wenn ich das nicht so bekommen kann, wie ich es mir vorstelle, freue ich mich an den Möglichkeiten, die mir die bewusste Kamerabewegung bietet, mir wichtige Aspekte, zum Beispiel das Licht, die Atmosphäre, tolle Farben oder bestimmte Formen doch noch einzufangen.

Wie so oft entdeckte ich das Motiv einer tiefen Schlucht mit Felsen und jungen Bäumen auf einer meiner vielen Wanderungen. Und auch wie so oft war es nicht die beste Tageszeit zum Fotografieren und ein komplett grauer Himmel machte es mir zusätzlich schwer. Das Landschaftsbild selbst wird durch die ungünstigen, hohen Kontraste und die vielen Details der Bäume dieser schönen Schlucht ohne aufwändige Bildbearbeitung nicht gerecht. Die Maler*innen vergangener Zeiten konnten in ihrem Bild den einen oder anderen Baum einfach auslassen. Das geht in der Fotografie leider nur mit stundenlanger Bildbearbeitung.

SchluchtVerschwommenes Bild

Also überlege ich, wie mir bewusste Kamerabewegung helfen kann. Dabei ist die Entscheidung, welche der möglichen Kamerabewegungen am besten zu meiner Landschaft passen, oft schon eine ganz bewusste. Bei der Schlucht hier ist es eine Kombination aus vertikaler und schwenkender Bewegung in Richtung Boden. Dadurch kommt nicht zu viel Licht ins Bild. Viele Details gehen verloren, aber der Charakter dieser schönen Schlucht mit Lichtkegel und jungen Bäumen bleibt erhalten.

Die abstrakte Technik setzt natürlich für mich nicht grundlegende Elemente der Landschaftsfotografie wie Bildgestaltung oder das richtige Licht außer Kraft. Wenn an einem wolkenverhangenen Himmel doch noch die Sonnenstrahlen durchkommen und Schilfhalme im Wasser anleuchten, dann ist dies für mich immer noch der bessere Moment für ein Foto. Die Kamerabewegung verwischt dann nur die Konturen und minimale Bewegungen auf und ab reichen, um eine sanfte Einheit zwischen Wasser und Schilf zu erzeugen und alles Störende verschwimmen zu lassen.

Surreales Bild von Gräsern im Wasser

Ohne dieses Licht wäre die Aufnahme nur halb so schön. Da warte ich auch schon mal eine gewisse Zeit auf das Wolkenloch. Mittlerweile denke ich, ein gutes Gefühl dafür zu haben, ob es sich lohnt, zu warten und in der Zwischenzeit die Technik zu verbessern oder doch noch einmal wieder zu kommen, wenn das Licht besser ist. Wenn dann das Licht da ist, wird das Bild besonders gut.

Durch die Pandemie in 2020 auf einen sehr engen Umkreis in Bristol beschränkt, habe ich mir die schöne Architektur vorgenommen. Jetzt waren Bewegungen gefragt, die die Linien an den Fassaden von Kirchen, Kulturhallen und alten Villen hervorheben.

Auch hier macht es am meisten Spaß, bei gutem Licht zum Beispiel zur blauen Stunde rauszugehen, wenn die Gebäude schon mit warmem Straßenlicht angeleuchtet werden. Es sind vor allem Mülleimer, Kaugummiflecken, Straßen- oder Hinweisschilder, durch die ein klares Bild für mich nur als Dokumentation, aber nicht als etwas Künstlerisches zu gebrauchen ist.

Unscharfes Gebäude

Jetzt bewege ich die Kamera bei einer langen Belichtungszeit von ungefähr vier bis sechs Sekunden in Form eines in die Luft gemalten Vierecks. Das sind keine großen Vierecke, aber kontinuierlich bis zum Ende der Belichtungszeit durchgehalten. Das ist wie eine Mehrfachbelichtung durch eine sehr lange Belichtungszeit. Auch dadurch verschwimmen Konturen, lassen aber Linien nicht weich werden, sondern vervielfältigen sie und werden damit den Gebäuden mehr gerecht.

Wenn ich mit einer Bewegung gute Ergebnisse erzielt habe, versuche ich, sie in einem ganz anderen Kontext anzuwenden, zum Beispiel in einem deutschen Wald statt an Bristoler Gebäuden. Nicht immer funktioniert das, aber oft entstehen so ungewöhnliche Bilder und ich lerne wieder etwas mehr darüber, welche Bewegung welche Stimmung unterstreicht.

Unscharfes Waldbild

So freue ich mich jedes Mal aufs Neue, mittlerweile ganz unterschiedliche Kamerabewegungen zu beherrschen. Mit beherrschen meine ich vor allem ein Gefühl dafür, welche Bewegungen und Belichtungszeiten für welche Landschaft passend ist. Zusammen mit der Offenheit für den Zufall, der in jeder Aufnahme eine Rolle spielt, eröffnet mir diese Technik, Landschaften auf künstlerischem Weg zu zeigen.

Meine ICM-Bilder sind meist Einzelbilder. Ganz selten benutze ich die Mehrfachbelichtungsfunktion meiner Kamera. Für mich ist die Aussage, die ich durch meine Bewegungen vor Ort gewinnen kann viel wichtiger, als hinterher ein perfektes Bild am Computer zu erschaffen.

Tanzendes Haus

Der besondere Reiz dieser Technik liegt vor allem in der neuen Möglichkeit, mit widrigen Bedingungen umzugehen, aber auch die die Einzigartigkeit des entstandenen Bildes fasziniert mich. Genauso werde nicht einmal ich selbst so ein Bild noch einmal fotografieren können.

Jeder noch so kleine Unterschied in der Bewegung wirkt sich auf das Ergebnis aus. Deshalb werde ich noch viel Zeit damit verbringen, meine Bewegungen zu verfeinern und sie den Belichtungszeiten und der Landschaft noch besser anzupassen.

Wundervolle Bilder können direkt vor der Haustür entstehen und brauchen keine spektakuläre perfekte Landschaft mit perfekten Lichtverhältnissen. Aber auch milliardenfach fotografierte Orte lassen sich noch einmal neu zeigen.

Ähnliche Artikel